Jan van Aken: Warum ich als Linker Sanktionen manchmal richtig finde
Sanktionen Es gibt einige Gründe, warum die Linke sich mit Sanktionen schwertut. Aber wer sie ganz verneint, verzichtet auf ein wichtiges politisches Instrument
Sanktionen treffen manchmal auch Menschen, die mit aktiver Politik nicht viel zu tun haben
Foto: Kirill Kudryavtsev/AFP/Getty Images
Lange Zeit haben wir uns eingerichtet in einer undifferenzierten Ablehnung von Sanktionen. Gerade meine Generation ist geprägt von der brutalen Erfahrung Anfang der 1990er Jahre, als im Irak wohl mehr als eine halbe Million Menschen infolge der allumfassenden Sanktionen starben. Im Russland-Ukraine-Krieg stellt sich nun aber ganz aktuell die Frage, welche nicht-militärischen Druckmittel es überhaupt geben könnte, um einen Aggressor zu stoppen.
In der Linken gibt es allerdings immer wieder Stimmen, die Sanktionen grundsätzlich ablehnen. So behauptete Yaak Pabst jüngst im Freitag, Sanktionen seien ein „Bluff des Westens“, ein bloßer Ausdruck „imperialistischer Logik“ und führten so gut wie nie zu einer substanziellen Verände
ein bloßer Ausdruck „imperialistischer Logik“ und führten so gut wie nie zu einer substanziellen Veränderung der Politik in den betroffenen Ländern. Das sind steile Thesen, für die es in der wissenschaftlichen Literatur kaum Belege gibt.Und sie stehen in grobem Widerspruch zu emanzipatorischen Bewegungen in der ganzen Welt, für die Boykottaufrufe ein wichtiges Mittel waren und sind. Boykotte haben sich nicht nur gegen Konzerne wie Nestlé, sondern immer wieder auch gegen Staaten gerichtet, ob nun gegen das Südafrika der Apartheid, gegen die israelische Besatzungs- und Siedlungspolitik oder gegen den Faschismus in der Türkei in den 1980er Jahren.Was aber, wenn die von unten initiierten Boykottaufrufe von Staaten getragen werden? Sind sie dann quasi kontaminiert? Ist individueller Boykott von Apartheidsfrüchten richtig, aber ein staatliches Embargo falsch? Das leuchtet nicht ein.Auch in der Charta der Vereinten Nationen sind wirtschaftliche Sanktionen vorgesehen, um eine militärische Eskalation zu vermeiden. Bei internationalen Konflikten sind drei Stufen angedacht: zunächst die „friedliche Beilegung von Streitigkeiten“, also Diplomatie.Populäre Mythen über SanktionenDanach Zwangsmaßnahmen, zunächst einmal „Maßnahmen unter Ausschluss von Waffengewalt“. Erst im letzten Schritt folgen Militäreinsätze. Eine Position, die grundsätzlich gegen jegliche Form von Wirtschaftssanktionen steht, nimmt der internationalen Konfliktlösung somit ein wichtiges Instrument. Es bleibt dann nur die Diplomatie, und wenn diese scheitert, wird sich der Druck für militärische Aktionen, für Waffenlieferungen und Auslandseinsätze noch mal erhöhen. Es erhöht hoffentlich das Verständnis für Sanktionen, wenn man ein paar populäre Mythen hinterfragt.1. Sanktionen haben noch nie etwas bewirktFalsch. Man denke an das Ende des Apartheidregimes in Südafrika oder auch das Einlenken der Türkei nach russischen Sanktionen 2015. Das Problem einer genauen Bewertung: Sanktionen stehen selten allein, Diplomatie und andere außen- oder innenpolitische Kräfte spielen immer auch eine Rolle. Insofern lässt sich kaum je exakt bestimmen, welchen konkreten Beitrag Sanktionen zu einem bestimmten Ergebnis geleistet haben. Das Standardwerk der Sanktionsliteratur Economic Sanctions Reconsidered kommt bei der Bewertung von 174 Sanktionsregimes zwischen 1919 und 2000 zum Schluss, dass rund ein Drittel der Sanktionsregimes politisch ihr Ziel zumindest teilweise erreicht und die Sanktionen dabei einen erheblichen Beitrag geleistet haben.2. Sanktionen sind ein Instrument der Starken gegen die SchwachenDas ist oft, aber nicht immer richtig. Die antikolonialen Sanktionen Indiens gegen Portugal oder Indonesiens gegen die Niederlande in den 1950er-Jahren widerlegen die Behauptung. Auch die Sanktionen der Arabischen Liga gegen Israel oder die der Türkei 1998 gegen Italien sind nicht wirklich als imperialistisch zu bezeichnen. Aber es stimmt schon, dass ein Großteil der Sanktionen von großen Staaten gegen kleinere gerichtet war. Von den 174 in Economic Sanctions Reconsidered betrachteten Sanktionsregimes wurden 81 allein von den USA durchgeführt, weitere 27 von den USA mit einigen Alliierten. Die Sowjetunion bzw. Russland hatten 13 und China drei Sanktionsregimes erlassen. In 19 Fällen gab es Sanktionsbeschlüsse der UNO respektive des Völkerbundes.3. Sanktionen treffen nie die RichtigenDas mag bei allgemeinen Wirtschaftssanktionen richtig sein. Dann können die Eliten über Umwege ihren Lebensstandard sichern, während die Mehrheit der Bevölkerung die Wucht der Sanktionen tragen muss – wie Anfang der 1990er Jahre im Irak. Aber personenbezogene Sanktionen können natürlich „die Richtigen“ treffen – wenn „die Richtigen“ auf die Sanktionsliste kommen. Auch andere Sanktionen können so gezielt sein, dass sie auch die Richtigen treffen. So trafen die russischen Sanktionen gegen den türkischen Tourismussektor 2015 gezielt einige der wichtigsten Leute in der Regierungspartei AKP und waren deshalb auch recht schnell erfolgreich.4. Sanktionen brauchen Jahre, bis sie etwas bewirkenEine rein militärische Betrachtungsweise von Konflikten braucht meist viele Jahre bis zu einer Friedenslösung. Demgegenüber könnten starke wirtschaftliche Einschnitte deutlich schneller wirken – wenn sie dem Zielland eine klare Aufhebungsperspektive bieten. Die Erfahrung lehrt auch, dass Sanktionen nur dann eine Chance haben, wenn sie sehr schnell und maximal verhängt werden. Die gegenwärtige Politik der EU gegenüber Russland hat deshalb keinerlei Aussicht auf Erfolg; wenn Sanktionen schrittweise erlassen werden, hat das Gegenüber Zeit, sich darauf einzustellen.Es braucht klare BedingungenUnter welchen Bedingungen können Sanktionen also sinnvoll eingesetzt werden, ohne sich gleich zum Büttel des US-Kapitals oder zum Spielball innerimperialistischer Auseinandersetzungen machen zu lassen? Klar ist: Sanktionen dürfen kein beliebiges Mittel sein, um irgendwelche Politikziele durchzusetzen. Eine emanzipatorische Zielstellung ist wichtige Vorbedingung aus linker Sicht, so wie seinerzeit in Südafrika, als es um Solidarität mit bedrohten, unterdrückten Menschen ging. Seit der humanitären Katastrophe der Irak-Sanktionen Anfang der 1990er wird fast nur noch von „gezielten“ Sanktionen gesprochen.Gemeint sind damit personenbezogene Sanktionen (Reiseverbote, Konten einfrieren), aber auch gegen spezifische Wirtschaftszweige gerichtete Sanktionen, etwa gegen die Rüstungsindustrie. Auch der Vorschlag von Thomas Piketty zur Sanktionierung von 20.000 Multimillionären in Russland zur Beendigung des Ukraine-Krieges kann immer noch als „gezielt“ bezeichnet werden, weil er sich nicht gegen die Bevölkerung, sondern speziell gegen die kremlnahe Wirtschaftselite richten würde.Etwas heikler sind Sanktionen zur Durchsetzung internationaler Normen, etwa zur Einhaltung des Atomwaffenverbotes. Das kann aus meiner Sicht nur dann richtig sein, wenn es keine doppelten Standards gibt. Insofern müssten die Atom-Sanktionen gegen den Iran also ähnlich auch gegen Pakistan, Indien oder Israel verhängt werden.Eine Perspektive bietenKonsens besteht darüber, dass Sanktionen nur dann eine Wirkung erzielen, wenn das jeweilige Gegenüber (das Zielland) sehr genau weiß, unter welchen Bedingungen die Sanktionen wieder aufgehoben werden. Sanktionen, die eher auf eine allgemeine Schwächung eines Gegners abzielen, sind aus linker Sicht abzulehnen.Eine Illusion müssen wir uns allerdings nehmen. Es gibt wohl keine Sanktion, die nicht auch Unbeteiligte trifft. Selbst wenn sehr gezielt die Rüstungsindustrie eines Landes boykottiert wird, werden wahrscheinlich Menschen in dem Betrieb arbeitslos. Das Kriterium kann also nicht heißen, es darf keine Nachteile für die breite Bevölkerung geben, sondern sie müssen minimiert werden. Was das meint, muss im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit diskutiert werden. Wichtig: Wenn es um Angriffskriege geht, dann gibt es ja immer mindestens zwei Bevölkerungen, die betroffen sind: Die im überfallenen Land und die im möglicherweise sanktionierten Land – dies muss bei einer Abwägung stets mitgedacht werden.Oder um es konkret zu machen: Die Ärmsten der Armen in der Ukraine verlieren gerade alles. Sind unter diesem Gesichtspunkt nicht Sanktionen denkbar, die auch und in begrenztem Maße die Ärmsten der Armen in Russland treffen, wenn sie denn eine Chance auf ein Ende des Krieges eröffnen? In eine solche Abwägung müssen auch Folgen für andere Länder einbezogen werden, Nachbarländer zum Beispiel, die möglicherweise stark in ökonomische Mitleidenschaft gezogen werden. Oder global gesehen, wie im vergangenen Jahr die horrenden Gaspreise, die vor allem in den ärmsten Ländern brutale Auswirkungen hatten. Mag schon sein, dass nach diesen Kriterien viele oder gar die meisten Sanktionsregimes der vergangenen Jahre abzulehnen wären. Aber eben nicht alle und nicht prinzipiell.Placeholder authorbio-1
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