Frau Stockmann, worum geht es in dem Film Rheinland?
Hannah Stockmann: Rheinland ist ein Film über das Schicksal von Afrodeutschen und ihren Familien im Rheinland während des zweiten Weltkriegs. Während des ersten Weltkriegs hatte Frankreich afrikanische Soldaten im Rheinland stationiert – auch gegen ihren Willen. Manche der Soldaten blieben in Deutschland und gründeten hier Familien. Die Kinder dieser Menschen wurden hier geboren und wuchsen hier auf, aber sie wurden wegen ihrer Pigmentierung als Fremde – als nicht deutsch – angesehen.
Man beschimpfte afrodeutsche Kinder in jener Zeit auch als „Rheinlandbastarde“.
Hannah Stockmann: Die Menschen waren nicht nur Beschimpfungen ausgesetzt. Die von den Nationalsozialisten eingesetzte geheime Kommission Nr. 3 sollte dieses vermeintliche „Problem“ unter Kontrolle bekommen. Viele Afrodeutsche wurden so Opfer von Gewalt und von Zwangsterilisationen. Da passierten unvorstellbar schreckliche Sachen. Rheinland erzählt die Geschichte dieser Menschen aus der Sicht des 12-jährigen Afrodeutschen Joachim und seiner Familie.
Hatte die Figur des Joachims ein konkretes Vorbild oder steht er sinnbildlich für alle Afrodeutschen jener Zeit?
Hannah Stockmann: Joachim ist ein Sinnbild für alle Afrodeutschen, die während der Zeit des Naziregimes in Deutschland lebten. Doch haben wir auch die Biographien verschiedener Afrodeutscher aufgegriffen, welche damals verfolgt wurden und jene Zeit miterlebt haben. Zu denken ist da vor allem an den Holocaust-Überlebenden Theodor Wonja Michael, der auch das Buch schrieb „Deutsch sein und Schwarz dazu“.
Weshalb haben Sie sich auf diesen Zeitabschnitt konzentriert und nicht stattdessen den Rassismus in der heutigen Zeit thematisiert?
Hannah Stockmann: Diese Frage bekommen wir tatsächlich oft zu hören. Wir wollten diesen Teil der Geschichte mittels des Mediums Film aufarbeiten. Das lag uns am Herzen, da uns dieses Thema auch persönlich berührt. Noch heute wird viel zu wenig über das Schicksal der sogenannten „Rheinlandkinder“ und der Afrodeutschen gesprochen, auch nicht im Geschichtsunterricht. Dieser Teil der deutschen Geschichte wird gern unter den Teppich gekehrt, wir wollen ihn da hervorholen.
Weshalb meinen Sie, dass man diesen Teil der Geschichte gern unter den Teppich kehren würde?
Hannah Stockmann: Es wird einfach nicht darüber gesprochen, das sieht man auch schon bei der Aufarbeitung der deutschen Kolonialzeit in Afrika. Bedauern wird zwar teilweise ausgedrückt, aber von staatlicher Seite wird z.B. keinerlei Verantwortung für den Genozid an den Herero gesehen. Es wird auch keine Verantwortung in Bezug auf die Zwangssterilisation von Afrodeutschen übernommen – dafür gäbe es keine Beweise. Da spielt die Angst um Reparationszahlungen natürlich auch eine entscheidende Rolle. Viele fühlen sich beschuldigt. Dabei geht es gar nicht darum, jemandem die Schuld zuzuschieben, sondern die Vergangenheit aufzuarbeiten und gemeinsam eine bessere Zukunft zu entwickeln.
Wie ist die Situation von Afrodeutschen in Deutschland heutzutage?
Hannah Stockmann: Das kann ich nur indirekt beantworten, da ich das als Weiße nicht am eigenen Leib erfahre. Aber aus meiner Sicht haben Afrodeutsche und ihre Familien auch heute mit Rassismus zu kämpfen. Beschimpfungen, Bedrohungen und Gewalttaten sind keine Seltenheit. Eine sehr unangenehme Situation haben wir letztes Jahr beim Dreh eines Kurzfilmes in Ückermünde erlebt. Wir hatten uns einen dortigen Strand als Drehort für einen Kurzfilm ausgesucht, und als wir dort ankamen, war alles voll mit Rechtsradikalen, überall nur Glatzen. Wir wurden von allen Seiten feindselig angestarrt und bekamen es mit der Angst zu tun. Dann erschienen auch noch zwei alte Frauen und fragten unfreundlich, was wir denn hier zu suchen hätten. Wir erklärten denen, dass wir einen Kurzfilm machen wollten. Ihre Reaktion: „Gut, dann seid ihr abends ja wieder weg!“
Handelt es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem oder findet sich Rassismus nur in bestimmten Kreisen?
Hannah Stockmann: Es mag gesellschaftliche Gruppen geben, in denen Rassismus verbreiteter ist, aber es ist vor allem ein gesamtgesellschaftliches Problem. Da spielt die sogenannte soziale Herkunft der Diskriminierenden keine Rolle. Dies zeigt sich z.B. schon im Alltag an Fragen, die Afro- und Schwarzen Deutschen gerne gestellt werden, wie „Wo kommst du denn her?“, „Willst du irgendwann zurück in deine Heimat?“ oder ähnliches. Außerdem gibt es die üblichen Klischees über Schwarze Menschen, die von den Medien bedient und aufrechterhalten werden. Die meisten weißen Menschen denken sich nichts dabei. Sie haben das so verinnerlicht. Wir hoffen, dass wir mit unserem Film zu einem Umdenken beitragen können.
Hat sich die Situation in den letzten Jahrzehnten verbessert?
Hannah Stockmann: Das ist schwer zu beantworten. Natürlich gibt es Konjunkturen. Mal ist Rassismus präsenter, mal weniger. Dies hängt auch mit der suggerierten wirtschaftlichen Situation zusammen. Aber Phänomene wie Rassismus bleiben immer bestehen, denke ich. Sie wechseln nur ihre Form.
In den Medien treten verhältnismäßig viele Afro- und schwarze Deutsche in Erscheinung. Zu denken ist da beispielsweise an Steffi Jones, Samy Deluxe, Karamba Diaby oder Theodor Wonja Michael. Beim Thema Integration scheint es jedoch meist vor allem um Menschen mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund zu gehen. Weshalb?
Hannah Stockmann: Bei dem Ganzen darf man nicht vergessen, dass Afrodeutsche schlichtweg Deutsche sind, als Gruppe aufgrund ihrer Größe weniger auffallen und nicht „integriert“ werden müssen – Deutschland ist ihr Land. Allerdings wird in den Medien meist nur von Flüchtenden aus Afrika oder von besonders dramatischen Ereignissen berichtet, wie zum Beispiel der Ermordung von Oury Jallouh. Auch deswegen war es uns wichtig, mit diesem Film auf Afrodeutsche aufmerksam zu machen. Es sind nicht nur Menschen mit nicht-deutschem Pass, die tagtäglich diskriminiert werden, sondern schlichtweg all diejenigen, die nicht in das vereinfachte Bild „Deutsch = weiß“ passen.
Weshalb wird der Film mittels Crowdfunding finanziert?
Hannah Stockmann: Für so ein Projekt braucht man natürlich Gelder. Wir sind ein relativ junges und kleines Unternehmen und es gestaltete sich schwierig, an konventionelle Filmförderung zu kommen, denn gefördert wird nur, wer schon einen „Celebrity-Status“ erreicht hat. Auch viele Sponsoren wollen nicht mit politischen Themen in Berührung kommen. Da uns dieser Film wichtig ist und wir ihn unbedingt realisieren wollen, versuchen wir daher über Startnext an die nötigen Gelder zu kommen, um dann eine finanzielle Basis vorweisen zu können und wieder den Weg über die konventionelle Filmförderung zu versuchen. Die 30.000 Startnext-Euro wollen wir, sobald wir aus anderer Quelle gefördert werden, an Organisationen spenden, die sich mit dem Thema Rassismus beschäftigen. Welche Organisationen das sein sollen, werden wir unsere Unterstützer_innen entscheiden lassen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Hannah Stockmann wurde 1987 im süddeutschen Filderstadt geboren. Nach ihrem Studium der Politikwissenschaft gründete Stockmann zusammen mit Jeremiah Mosese und Julius B. Franklin die Filmproduktionsfirma Mokoari Street Productions. Sie lebt mit ihrem Mann in Berlin.
Kommentare 13
Danke für das interssante Interview und mit diesen interessanten Hintergründen. Es stimmt, es gibt diese "schwarzen Deutschen", die hier schon eine lange Geschichte haben.
Die wirken darum auch überhaupt nicht fremd. Ich hatte neulich so ein herrliches Recontre mit einem an der Tankstelle. Der berlinerte und war so was von zu Hause hier, da kommen solche Fragen nach der Herkunft oder so, überhaupt nicht auf.
Zu diesem Themenbereich gibt es die unter die Haut gehende Geschichte von Hans-Jürgen Massaqoi mit dem Titel "Neger, Neger, Schornsteinfeger", in der er seine Geschichte schildert. Er war als Diplomatenkind mit afrikanischem Vater und deutscher Mutter, die gesamte Nazizeit über in Deutschland, die meiste Zeit davon in Hamburg.
"„Wo kommst du denn her?“, „Willst du irgendwann zurück in deine Heimat?“
In welcher Muttersprache Zunge redest Du denn?
100 Jahre 1914- 2014 seit dem Ersten Weltkrieg.
Armin Mueller Stahl beschreibt in seinem Buch
"Dreimal Deutschland und zurück"
welche Art Zäsur der Erste Weltkrieg im Baltikum, Finnland, Sankt Petersburg, Memelland, Tilsit in Ostpreußen war. Bis zum Sommer 1914 wurde nicht nach Herkunft, Muttersprache, Gestalt, Aussehen, Tracht gefragt, da wurde dort in vielerlei Weise bereits in der Schule, zuhause, mehrsprachig kommuniziert.
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges war das schlagartig anders. Allerorten in Europa wurde Fremdländisches registriert, selektiert, interniert, ausschleißlich dem Nationalem galt von nun an, anders als zuvor in den Vielvölkerstaaten Russland, kaiserlichem Deutschland, k.u.k. Österreich- Ungarn, Italien, Osmanisches Reich, United Kingdom of the british Empire Respekt und Achtung, wie da erst bei Menschen aus eigenen Kolonien und denen des Feindes.
Merkwürdigerweise fällt mir Roberto Blanko als "Vorzeige- Neger" und "Unterhaltungsclown für Truppenbetreuung" in dem Kriegs- Film "Stern von Afrika" mit Joachim Hansen, Marianne Koch aus dem Jahr 1955 ein.
Übrigens!
Herzlich Willkommen in der Freitag Community!
tschüss
aus Hamburg
JP
Im Memelland (ehemals Ostpreußen) gab es womöglich unter den französischen Besatzern, gemäß Völkerbundsmandat, bis 1920 auch Soldaten aus französischen Kolonien in aller Welt, voran aus Afrika, Marokko, Algerien, die dort, dem französischen Kolonialregime entronnen, zivil weiter lebten, Familien gründeten?
Massaquois Autobiographie ist wirklich sehr interessant, auch seine spätere Zeit in den USA.
Vielen Dank!
Danke, freut mich zu hören. Viele Menschen denken sich natürlich nichts Schlimmes dabei, wenn sie Mitmenschen nach ihrer Herkunft fragen, doch viele Betroffene fühlen sich hierdurch ausgegrenzt. Es muss darum gehen, hierfür ein Bewusstsein zu schaffen.
"Danke, freut mich zu hören. Viele Menschen denken sich natürlich nichts Schlimmes dabei, wenn sie Mitmenschen nach ihrer Herkunft fragen, doch viele Betroffene fühlen sich hierdurch ausgegrenzt. Es muss darum gehen, hierfür ein Bewusstsein zu schaffen."
Es kann aber auch einfach Interesse an der Person sein, die einen diese Frage stellen lässt. Da kommt m.E. sehr auf die Umstände an.
Wenn man einer Person von Beginn an Respekt entgegenbringt, wird die Frage nach der Herkunft, ich frage meist eher nach den Wurzeln, auch nicht negativ aufgefasst. Meine Erfahrung.
Genau, es kommt auf die Handhabung an.
Eine kleine historische Korrektur.
Während des ersten Weltkriegs gab es noch keine französischen Soldaten im Rheinland.
Die allierte, hauptsächlich französische Besatzungszeit dauerte von 1919 bis 1930.
Vor einigen Monaten war ich bei einem Vortrag mit anschließender Diskussion über "Alltagsrassismus" Die Dozentin, eine Afro-Deutsche übrigens, meinte, dass die Frage "Woher kommst du/kommen Sie." rassistisch wäre. Also ähnlich wie auch in diesem Beitrag.
Bei der anschließenden Diskussion meldete ich mich dann und fragte die Dame, ob es rassistisch ist, wenn ich sie (die Dozentin) frage woher sie kommt. Sie bejahte. Dann fragte ich, ob es rassistisch ist, wenn ich meinem Sitznachbarn (einen Weißen) das gleiche frage. Sie verneinte, denn er wäre ja, genau wie ich weiß, und somit wäre das kein Rassismus. Dem Widersprach ich, denn ich war und bin der Meinung, wenn ich einen Menschen anders behandeln soll wie andere Menschen, nur weil er vielleicht farbig ist oder eine andere Religion hat, dann ist das auch Rassismus.
Daraufhin meinte sie, dass ich diese Frage ja nicht stellen bräuchte.
Meine Antwort war, dass ich mich für mein Gegenüber aber interessiere und wenn ich den Dialekt klasse finde und den nicht einordnen kann, oder Wörter nicht kenne oder den einen oder anderen Vornamen interessant finde, dass ich dann frage, wo her dieser Mensch kommt. Denn wenn mir verboten wird, mich für meine Mitmenschen zu interessieren, dann ist das auch eine Art von Rassismus, aber auf jeden Fall ist es Diskriminierung.
Ich habe übrigens die Erfahrung gemacht, dass die meisten Leute mir antworten wo sie herkommen. Oft testen diese Leute mich auch mit ihrer Antwort, wenn sie z.B. sagen: Schwarzwald (was mir vollkommen reicht). Ab und an sagen sie dann aber auch, dass sie z.B. in Teheran geboren, in Bayern aufgewachsen sind und seit 4 Jahren in Schleswig-Holstein wohnen. Da kommen wunderbare Gespräche bei raus. Und außerdem: Auch sie können mich ja fragen, woher ich komme. Und vielleicht erzählte ich dann auch meine Familiengeschichte angefangen von den Hugenottenkriegen ;)
Aktuell dazu Arabella Kiesbauer bei Markus Lanz http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2158680/Markus-Lanz-vom-21.-Mai-2014?bc=sts%3Bsuc&flash=off