Smartphone-Verbote: Filmt, was das Zeug hält!

Popkultur Smartphones werden bei Events immer öfter verboten – damit droht ein Zurück zur Alleinherrschaft über die Bilder
Ausgabe 16/2024
Smartphone-Verbote: Filmt, was das Zeug hält!

Illustration: Johanna Goldmann

Ich bin süchtig. Sonnenuntergang, Fußballspiel, Konzert: Nichts davon entgeht der 12-Megapixel-Kamera meines Smartphones. Tagein, tagaus entstehen Videoschnipsel, die entweder in dessen Galerien versinken oder, wenn gut gelungen, einen glamourösen Auftritt in einer meiner Instagram-Stories feiern. Dann regnet es Flammen und Herzen, die mir versichern: Du bist nicht unsichtbar. Denn klar ist heute: Nicht gepostet, nicht passiert.

Doch die stetige Endorphinzufuhr, die ich in diesem Prozess erlebe, ist gefährdet. Zumindest, wenn es um Konzerte, Fashion-Shows und andere Kulturevents geht, auf denen immer häufiger Smartphone-Verbote gelten. Kürzlich machte das Luxuslabel The Row diesbezüglich auf sich aufmerksam, als es seinem Publikum bei der New York Fashion Week untersagte, die Show mit dem Smartphone zu filmen. Ein wenig war das ein Marketing-Coup: Auf Social Media sprach man im Anschluss daran für Tage kaum über etwas anderes. Vor allem aber ist ein solches Smartphone-Verbot als Abschottung einer Kulturelite und Entdemokratisierung – in diesem Fall – der Modeindustrie zu verstehen.

Bewegte Bilder sind das „stärkste“ Medium, das Menschen bisher erfunden haben. Deshalb ist es eine demokratische Frage, wer sie wie empfangen, herstellen und versenden kann. Erst, um 1980, versprachen VHS-Kassetten und Videorekorder, audiovisuellen Content aus dem Monopol des linearen Fernsehens sowie des Kino-Systems zu befreien. In den 1990ern machten dann bezahlbare Camcorder und laientaugliche Schnittprogramme die Herstellung bewegter Bilder für breitere Schichten gangbar. Und seit den Smartphones sowie Social Media können Einzelne audiovisuellen Content nicht nur zu ihren Bedingungen empfangen und selbst herstellen, sondern auch senden.

Die „Video-Revolution“, die etwa der Künstler Nam June Paik schon zu Beginn des Prozesses mit dieser Entwicklung der Bewegtbildtechnik verband, ist zwar ausgeblieben: Die Demokratisierung audiovisuellen Contents führte nicht automatisch dazu, dass sich die Menschen auch mehr als Gleiche begegneten. Immerhin aber ist die alte Einbahnstraßensituation einer Alleinherrschaft über bewegte Bilder kaum noch vorstellbar – es sei denn, man setzt mit Macht durch, was technisch schon lange Geschichte ist. Doch gerade dies scheint nun Trend zu werden: quasi eine Video-Konterrevolution.

Denn bei allen Problemen, die der exzessive Social-Media-Gebrauch mit sich bringen mag, hat doch die minutiöse Dokumentation von Fashion-Shows und anderen Events der Popkultur für eine breitere Zugänglichkeit derselben gesorgt. Nicht nur beim Zugang zu Oper, Theater und Ballett, sondern auch bei Taylor-Swift-Konzerten und Balenciaga-Shows geht es um Zugang zu kulturellem Kapital. Und der ist, wie so vieles, höchst ungleich verteilt. Man schaue nur auf die Ticketpreise für Konzerte von Stars wie Beyoncé, die sich zwischen 120 und 600 Euro bewegen. Wenn Popstars twerken und Topmodels stolpern, können nur diejenigen zuschauen, die sich solche Preise leisten können. Gerecht ist das nicht.

Klar, Eliten haben sich schon immer durch Abschottung definiert, und Luxus wird erst durch die Verknappung einer Ressource zu selbigem. Doch „Pop“ kommt von „populär“, da sollte der Zugang gerade kein Luxus sein. Die Ausbreitung sozialer Medien wirkte in diese Richtung – zum Bedauern der Popindustrie, denn wieso sollte ich mir noch ein teures Billie-Eilish-Ticket kaufen, von dem ich jede Sekunde im Livestream auf Instagram mitverfolgen kann? Solche Smartphone-Verbote bei Events der Popkultur berauben Medienleute eines wichtigen Arbeitsmittels und das gewöhnliche Publikum eines zentralen Teils des Kulturgenusses – denn das ist das Filmen nun einmal längst, ob man diesen Umstand nun mag oder verachtet.

Ich jedenfalls mag ohne mein Smartphone nicht wirklich leben – auch nicht für einen Abend lang, noch viel weniger in einer Welt voll Elitenbildung und Abschottung. Also, ob aus Sucht nach Instagram-Likes oder aus reinem Altruismus: Holt eure Smartphones raus und filmt auf solchen Events, was das Zeug hält. Gegen die Entdemokratisierung der Popkultur.

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