Machtkampf: Noch ist Polen nicht verloren

Mit großer Klappe Parlamentarische Mehrheit und die Präsidentschaft genügen der Recht-und-Gerechtigkeitspartei nicht. Das Verfassungsgericht sieht sie von ihren Vorgängern kontrolliert

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Beata Szydło am 16. November während ihrer Vereidigung zur neuen Ministerpräsidentin Polens
Beata Szydło am 16. November während ihrer Vereidigung zur neuen Ministerpräsidentin Polens

Foto: JANEK SKARZYNSKI/AFP/Getty Images

Jede Propaganda hat ihre zentralen Narrative. Wer verfassungsrechtlich umstrittene Entscheidungen der Öffentlichkeit schmackhaft machen will, muss sich aus diesen Quellen bedienen - er muss Anschluss an sie finden. Besonders in kritischen Momenten, in denen die öffentliche Meinung so, aber auch anders "kippen" kann.

In ihrer Fernsehansprache am Dienstagabend, laut sehr knapper Wiedergabe durch Polens Auslandsradio, berief Premierministerin Beata Szydło sich auf das ihrer Partei in den Parlamentswahlen am 25. Oktober übertragene Mandat, und auf die Nationalflagge. Besonders charismatisch hört sich das nicht an. Ein BBC-Artikel, veröffentlicht einen Tag nach den [Update/Korrektur: dem Wahlsieg] für Szydłos Recht-und-Gerechtigkeitspartei, mag einige Hinweise darauf enthalten, was ihren Wahlkampf gleichwohl zum Erfolg verholfen hat.

In Brüssel, Straßburg oder in Deutschland stößt die neue Premierministerin auf weniger Gegenliebe als beim Wahlvolk zu Hause: dass sie bei einer Pressekonferenz auf EU-Flaggen im Hintergrund verzichtete und ausschließlich vor polnischem Rotweiß auftrat, bezeichnete die "Süddeutsche Zeitung" als "Eklat".

Auch in der Flüchtlingspolitik liegen Deutschland und Polen über Kreuz.

Vereinzelt werden Rufe nach erzieherischen Maßnahmen laut: Barbara Wesel, Korrespondentin der "Deutschen Welle" in Brüssel, weiß auch schon welche:

Polen ist der größte Netto-Empfänger von EU-Fördermitteln in ganz Europa. Und Warschau irrt, wenn es in der europäischen Hauptstadt nur die Hauptkasse sieht. Daraus erwachsen auch Verpflichtungen. Erste Pflicht ist auf jeden Fall, die Regeln des Clubs einzuhalten. Wenn Jaroslaw Kaczynski glaubt, er könne sich frech darüber hinweg setzen, muss er eines Besseren belehrt werden. Leider gibt es in der EU kaum Möglichkeiten, offiziell finanzielle Sanktionen zu verhängen. Aber vielleicht finden sich ja allerhand Fehler in künftigen polnischen Projektanträgen… Auf einen so groben Klotz wie den polnischen PiS-Parteichef gehört ein grober Keil.

Um fair zu sein: Wesel bezieht sich nicht auf die Gesinnung der polnischen Regierung, sondern auf den - mutmaßlichen - Verfassungsbruch. Der nicht weiterkochen müsste, wenn der Regierungsversuch dazu nach einem gegenteiligen Entscheid des Verfassungsgerichts beendet gewesen wäre. Aber Polens Präsident denkt nicht daran, ausgerechnet das Verfassungsgericht zu respektieren - es ist ja gerade das Gericht, auf deren personelle Zusammensetzung er Einfluss nehmen will.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz warnte am Montag im "Deutschlandfunk davor, Sanktionen gegen Polen zu verhängen, weil das Rechtspopulisten zu dem öffentlichkeitswirksamen Argument verhelfe,

äußere Kräfte, Fremde, andere Länder, fremde Institutionen würden versuchen, sich in die Innenpolitik ihres Landes korrigierend einzumischen.

Etwas anderes sei

die Debatte. Was sich da in Polen abspielt, hat Staatsstreich-Charakter und ist dramatisch. Ich nehme an, dass wir in dieser Woche im Europaparlament, spätestens in der Januar-Sitzung darüber umfassend diskutieren werden.

Staatsstreichcharakter? Ist es nun einer, oder ist es keiner? Es scheint, da möchte jemand etwas in den Raum stellen, aber ohne sich festzulegen.

Sowohl aus Bemerkungen wie denen des EU-Parlamentspräsidenten als auch aus Medienkommentaren wie denen Wesels allerdings wird sich die regierende Partei Polens mindestens so gut bedienen können wie auf materiellere Formen der Einflussnahme. Polen mag sich zwar eher durch Russland als durch Deutschland bedroht fühlen, aber jedes über das Rationale hinausgehende Gefühl der Bedrohung ist sprunghaft, und kann sich auch nach zwei Seiten wenden.

Man kann das alles natürlich sehr lustig finden; man kann es aber auch ernst nehmen. Wenn ich Pole wäre und Meldungen wie diese hörte, würde ich mir ebenfalls Sorgen machen.

Polen ist noch lange nicht verloren - nicht für sich und auch nicht für die Euroäische Union. Das Verhältnis Brüssel-Warschau (und Berlin-Warschau) wirft aber Fragen auf, und die Antworten, die dem alten Kontinent weiterhelfen können, sind nicht notwendigerweise diejenigen, welche Brüssel, Straßburg oder Berlin vorschweben.

Polen ist mit seiner EU-Skepsis keineswegs allein. Es gibt Skepsis auch in Großbritannien, es gibt sie im Baltikum, und es gibt sie - in anderer Form - bestimmt auch in Griechenland.

Es kann also sein, dass die EU sich ändern muss. Und es könnte helfen, wenn Deutschland sich gelegentlich einfach mal zurückhielte - nicht zuletzt verbal.

Dass Jerzy Popiełuszko sich dafür ermorden ließ, dass Deutsche darüber bestimmen, wer die polnischen Grenzen wie verteidigt, muss als unwahrscheinlich gelten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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