Die Jugend ist vernünftig. Die Jugend strebt nach Harmonie. Die Jugend hält still. Die Jugend will bloß nichts falsch machen. Die Jugend ist mit der Klimarettung beschäftigt. Und mit ihren Klausuren und Beziehungen – „es ist kompliziert“. Da kann sie sich nicht auch noch um Krieg und Frieden kümmern.
Jeder dieser Sätze begeht Unrecht an den Einzelnen, und doch sind kaum junge Stimmen gegen Aufrüstung und Militarisierung zu vernehmen. Wer, trotz zu erwartender Diffamierung als „Putinist“, öffentlich nach den Ursachen des laufenden Krieges fragt, gehört eher zu den älteren Semestern. Zwar hatte etwa der AStA Hamburg im Juli zur bundesweiten Friedensdemo aufgerufen und „NEIN zur Aufrüstung – JA f
11; JA für Zukunft“ geflaggt. Und kurz nach dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine waren die Straßen voll mit jungen Menschen. Aber die sogenannte Zeitenwende mit ihren 100 Milliarden für die Bundeswehr haben 49 Jusos und 27 Mitglieder der Grünen Jugend im Bundestag fast durchweg durchgewunken. Auch wenn man fairerweise erwähnen muss, dass die neun SPD-Gegenstimmen von jüngeren Politikern kamen, Altersdurchschnitt 34.Das „Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz“ bezeichneten drei jüngere Abgeordnete der Ampelkoalition (Altersdurchschnitt 43) im Spiegel nur als einen „ersten Schritt“. Während die 28 Intellektuellen, die vor einer weltweiten Rüstungsspirale warnen, im Schnitt 70 Jahre alt sind, ist die jüngste von 56 Erstunterzeichnern der Petition für mehr Waffenlieferungen 29, der Gesamtschnitt war 57 Jahre. Das ist nicht jung, aber vielleicht doch ein Hinweis. Wenn Jüngere sich öffentlich zu Wort melden, dann eher in Richtung militärischer Solidarität. Oder finden diese Stimmen bei den Medien nur mehr Gehör? Die grüne Bundestagsabgeordnete Sara Nanni etwa, Jahrgang 1987, hat jenen Spiegel-Artikel mit dem Titel „Mehr deutsche Waffen für die Ukraine – so geht’s“ mitverfasst. Das wirkt fröhlich-zupackend, fast wie eine Gebrauchsanweisung, als ginge es um deutsche Waschmaschinen. Darunter das üblich gewordene Strammsteh-Narrativ: „Wir sehen uns in der Pflicht, Kiews Überlebenskampf zu unterstützen – denn die Ukraine verteidigt auch unsere Interessen und Werte.“ Der Dreiertrupp aus Nanni, Kristian Klinck (SPD) und Alexander Müller (FDP) fordert ein großangelegtes Konjunkturprogramm für die Rüstungsindustrie, verbrämt als „Aktivierung unseres volkswirtschaftlichen Potenzials“. Die „aktuellen friedensmäßigen Strukturen“ seien „noch nicht geeignet“, es gelte militärische „Fähigkeitslücken“ zu schließen.Bei der Grünen Jugend sei ein aktuelles Statement der Bundessprecherin Sarah-Lee Heinrich bis Redaktionsschluss nicht möglich, bedauert die Pressereferentin. Schade, der Antikriegstag am 1. September wäre ein passender Anlass. Im März hatte Heinrich versichert: „Wir finden, dass die Art und Weise, wie diese 100 Milliarden beschlossen wurden, ohne jede gesellschaftliche Debatte, nicht gut ist.“ Schärfer als „nicht gut“ ging es offenbar nicht. Die Jusos posten: „Unsere Pläne für den Bundestag: Abrüstungspolitik voranbringen“. Aber wie? „Ich trage mit, dass wir eine wehrhafte Bundeswehr brauchen“, sagte die Juso-Bundesvorsitzenden Jessica Rosenthal ebenfalls im März. „Ich erkenne aber nicht, dass an dieser Stelle mehr Geld allein das Problem löst.“ An welcher Stelle dann? Nicht so wichtig, wenn Mittragen die Losung ist. Nahezu geräuschlos trägt die Jugend alles mit, ohne zu stolpern.Auch bei den Dachverbänden der christlichen Jugendorganisationen. Der Bund der deutschen katholischen Jugend „verzichtet bis zur Überprüfung seiner friedenspolitischen Positionen darauf, diese öffentlich in Bezug auf Waffenexporte in die Ukraine zu vertreten“.Status: „Es ist kompliziert“Nur die DGB-Jugend, die auf Verhandlungen drängt, und mutiger noch die Sozialistische Jugend Deutschlands weichen ab. Die Falken orten den Hauptfeind gar im eigenen Land. „Wir sind konsequent gegen jede militärische und wirtschaftliche Aggression und Aufrüstung der BRD, egal mit welchen hochtrabenden, moralischen Zielen sie auch begründet wird“, heißt es in einem Beschluss vom März. „Die Kriegstreiberei halten wir für brandgefährlich.“ Damit stehen sie bei den unter 40-Jährigen weitgehend allein. Ist es eine Gesinnungskontrolle durch die unsozialen Medien, die einschüchternd wirkt? Oder lassen das dystopische Zeitalter und die Empathie mit den im Bunker zitternden Ukrainern hochfliegende friedensbewegte Gefühle rasch versanden?Mir selbst geht es derweil nicht anders. Was habe ich während des Kosovo-Krieges gemacht? Nichts. Also: viel, aber den Krieg habe ich komplett ausgeblendet. Kleine Kinder, Geld knapp, Arbeit schwierig, Beziehung am Scheitern – ich hatte alle Hände voll zu tun. Und heute finde ich immer noch keine durchhaltbare Position. Auf der Friedensdemo im März, blau-weiße Flaggen hingen neben „Frieden-schaffen-ohne- Waffen“-Bannern, einte die Betroffenheit, aber kein Programm. Ich bin weder Pazifistin noch das Gegenteil und verstehe vollauf, wenn die Jüngeren nicht wissen, was sie denken sollen: Zu vieles ist unklar, das Misstrauen gegenüber Ideologien groß. Zumal jedes Argument „für“ oder „gegen“ die eigene Sackgasse schon bereithält.Viele Junge finden, auf Nachfrage, Aufrüstung „natürlich scheiße“, sehen aber keine Alternative. Anders als bei Gender oder Klima funktioniert das Daumen-hoch-oder-runter-Ding hier nicht: „Es ist kompliziert“. Man kann nur falsch liegen. Da bleibt man lieber in der Deckung – draußen wird scharf geschossen.