Journalismus und Krieg: „Viele wünschen sich mehr Hintergrundwissen“
Antikriegstag Wie berichtet man vom Krieg, ohne dass Menschen ihren Medienkonsum einschränken, um sich vor schlechten Nachrichten zu schützen? Ellen Heinrichs und Katja Ehrenberg sprechen über ihre Studie „konstruktive Kriegsberichterstattung“
Schlechte Nachrichten sind belastend – weshalb gerade in Kriegszeiten viele Menschen Medien zu meiden beginnen. Am Bonn Institute, einer gemeinnützigen GmbH, ergründen Journalisten und Forscherinnen, wie ein Journalismus der Zukunft aussieht, der „Mehrwert für Menschen“ schafft und die „demokratische Gesellschaft stärkt“: So arbeiten Ellen Heinrichs und Katja Ehrenberg derzeit etwa an einer Studie zu „konstruktiver Kriegsberichterstattung“.
der Freitag: Frau Heinrichs, Frau Ehrenberg, wie erleben Sie die Kriegsberichterstattung derzeit?
Ellen Heinrichs: Als Privatperson nehme ich das als belastend wahr, weil auch ich wie viele andere das Gefühl der Hilflosigkeit kenne. Als beruflich interessierte Person erkenne ich seitens de
;hl der Hilflosigkeit kenne. Als beruflich interessierte Person erkenne ich seitens der Journalisten und Journalistinnen schon das Bemühen, eine Perspektivenvielfalt zu eröffnen, zu schauen, wo gibt es Themen, die etwas weniger belastend sind. Die überwiegende Zahl der Berichte ist jedoch gekennzeichnet von der Grausamkeit des Kriegs. Wir stellen hier am Institut fest, dass die Menschen darauf reagieren, indem sie verstärkt den Nachrichtenkonsum vermeiden.Katja Ehrenberg: Ich glaube, die Menschen wünschen sich, mehr Informationen an die Hand zu bekommen, was sie konkret tun können, um dem Grauen aktiv etwas entgegenzusetzen, statt sich passiv Angst und Depression zu überlassen. Zudem bemühen sich Berichterstattende stärker, Perspektiven von vor Ort einzufangen. Tagebuchansätze etwa geben unverfälschte, unmittelbare Einblicke in das Geschehen vor Ort. Auf diese Weise erscheinen Betroffene nicht nur als Opfer, sondern sie bekommen eine Stimme, werden als handlungsfähig gezeigt, es entsteht ein vielfältigeres Bild.Wie beurteilen Sie das aus genderpolitischer Perspektive?Heinrichs: Augenfällig hat der Krieg ein männlich geprägtes Gesicht. Dabei wissen wir, dass es gerade in der Ukraine viele Frauen gibt, die kämpfen und hinter den Frontlinien eine sehr aktive Rolle spielen. Kriegsjournalisten waren von jeher in der Mehrzahl Männer, und der Heroismus des Krieges färbt aus meiner Sicht oft auf sie ab, indem Reporter möglichst bis an die Frontlinie vorrücken oder sichtbare Nähe zu prominenten Akteuren wie Präsident Selenskyj oder den Klitschkos suchen. Bei Reporterinnen wie Katrin Eigendorf erlebe ich das weniger stark, sie bemühen sich, auch weibliche Sichtweisen einzufangen.Die Kriegskorrespondentin Antonia Rados sagte einmal, Frauen hätten Heldenmut weniger nötig.Heinrichs: Jedenfalls scheint mir, dass weibliche Reporter öfter den Mut haben, das menschliche Antlitz in Kriegszeiten zu zeigen, nicht nur dorthin zu gehen, wo es kracht – was wiederum dazu führt, dass wir hierzulande einen verzerrten Eindruck von einem Land im Krieg vermittelt bekommen. Wir sehen vorwiegend Bomben und Blut, aber es gibt die anderen Facetten: die des Zusammenhalts, die des Sich-Organisierens und der Stärke.War der Krieg Anlass für Ihre Studie über „konstruktive Kriegsberichterstattung“?Heinrichs: Mit dem Bonn Institute beraten wir Chefredakteurinnen und Journalisten, und das Thema Kriegsberichterstattung treibt sie alle sehr um. Deshalb haben wir die Studie gestartet. Mir hat der Chefredakteur einer Regionalzeitung schon im März erzählt, dass er – wenn er nach den Klickzahlen ginge – die Berichterstattung über den Krieg einstellen könnte. Die Leute ziehen sich davon zurück. Schon deshalb gibt es ein vitales Interesse daran, zu ergründen, auf welche Weise man Menschen in Deutschland mit faktenbasierter Berichterstattung über den Krieg überhaupt noch erreichen kann.Placeholder infobox-1Worum geht es genau?Ehrenberg: Generell haben wir einen stark nutzerzentrierten Ansatz: Wir sprechen zum einen mit Mediennutzenden und fragen sie, wie sie sich informieren, die aktuelle Kriegsberichterstattung erleben, was sie sich vom Journalismus wünschen. Uns interessiert auch, wie sie mit der emotionalen Belastung durch Nachrichtenkonsum umgehen, gerade die, die selbst Kriegserfahrungen machen mussten. Zum anderen sprechen wir mit Journalisten und Journalistinnen, die von vor Ort über den Krieg berichten oder in den Heimatredaktionen mit Kriegsberichterstattung zu tun haben. Hier interessiert uns, ob und unter welchen Rahmenbedingungen ihnen konstruktive Ansätze in der Berichterstattung auch zu Kriegen und Krisen möglich scheinen. Weiterhin fragen wir alle Teilnehmenden nach Best-Practice-Beispielen, die in unsere Handlungsempfehlungen einfließen werden.Die Studie ist noch nicht abgeschlossen, aber können Sie schon etwas Konkretes sagen?Heinrichs: Dafür ist es noch zu früh. Aber wir wissen aus Studien wie dem Reuters Digital News Report, dass sich ein Drittel der Deutschen vom Nachrichtenkonsum zurückzieht, unter anderem, weil ihnen das Übermaß schlechter Nachrichten aufs Gemüt schlägt. Früher haben wir morgens in die Zeitung und abends vielleicht in die Tagesschau geschaut. In der digitalen Welt aber herrscht 24 Stunden am Tag ein absoluter Überfluss an frei verfügbaren Informationen, der viele Menschen überfordert. Journalismus muss sich fragen, was der tägliche Mehrwert ist, den Redaktionen Menschen im digitalen Zeitalter zur Verfügung stellen können.Aber wir können den Krieg auch nicht schönreden …Ehrenberg: Auf keinen Fall. Eine Analogie aus der Psychotherapie: Menschen kommen oft mit viel Leid zu uns, und natürlich geht es nicht darum, das schönzureden. Um sie aber zu befähigen, mit den herausfordernden Erfahrungen irgendwie umzugehen, fragen wir nach Ressourcen, nach dem, was trotz allem noch gelingt, was in der Vergangenheit mal hilfreich war und jetzt einen Unterschied machen kann. Auf Kriegsberichterstattung bezogen wäre eine Möglichkeit, zu schauen, wann und wo sind in der Vergangenheit ähnliche Konflikte wie gelöst worden, wer hat wie dazu beigetragen; oder eben auch über Solidarität und zivilgesellschaftliches Engagement hier wie dort zu berichten.Im Krieg werden Frauenrechte instrumentalisiert, um ihn zu legitimieren, gleichzeitig reproduziert er Geschlechtsstereotype: Aus Afghanistan wurden Frauen verschleiert gezeigt, wenn die Taliban vorgeführt werden sollten, und unverschleiert, wenn westliche Einsatztruppen angeblich einen Sieg errungen hatten.Heinrichs: Umso wichtiger ist die Perspektivenvielfalt. Frauen nehmen im Krieg sehr verschiedene Rollen ein. Sie sind, wenn wir auf die Ukraine schauen, etwa Flüchtende und bringen Kinder und ältere Personen in Sicherheit. Sie als Aktive darzustellen, die ins Ausland gehen, dafür sorgen, dass die Familie überlebt, ist ein wichtiger Ansatz, die ihnen zugeschriebene Opferrolle zu überwinden. Wir sollten den Fokus auch auf die kämpfenden Frauen in der Ukraine richten, auf Frauen, die in der Landwirtschaft arbeiten, mit für die Welternährung sorgen.Ehrenberg: So könnten sich die Leute selbst mehr in der Berichterstattung wiederfinden, weil ihnen Personen nahegebracht werden, die etwas mit ihrer eigenen Realität zu tun haben, für die sie Respekt und Empathie entwickeln statt sie nur zu bemitleiden.Heinrichs: Journalisten müssen zu Informationsdienstleistern werden und dazu aktiv zuhören, verstehen, welche Informationsbedürfnisse ihr Publikum hat. Für viele Kollegen ist das ein kompletter Paradigmenwechsel. Dabei wissen wir aus der Forschung, dass unsere Medien auch deshalb weite Teile der Bevölkerung nicht erreichen, weil etwa die Perspektiven junger oder migrantischer Menschen kaum vorkommen.Ehrenberg: Ich bin überzeugt, dass wir den Menschen mehr zutrauen und mehr Komplexität zumuten dürfen. Viele wünschen sich mehr Hintergrundwissen, das ihnen Zusammenhänge zu verstehen hilft. Das reduziert auch Angst und Ohnmachtsgefühle.Aber dazu bräuchte es auch andere Arbeitsbedingungen.Ehrenberg: Richtig, die Arbeitsbedingungen müssten Teil dieser Transformation sein. Menschen, die unter hohem Zeit- und Ergebnisdruck arbeiten, sind selten offen für neue Blickwinkel. Nicht unbedingt die konstruktive Recherche braucht mehr Zeit, sondern etwas anders zu tun als gewohnt. Dafür braucht es Rückendeckung von der Führungsebene.Heinrichs: Bezüglich der Kriegs- und Krisengebiete heißt das, dass die Kooperation mit Journalisten vor Ort gestärkt werden muss. Bis heute kommt es vor, dass Journalisten und Journalistinnen in Krisengebiete fliegen, sich dort in kürzester Zeit ein Bild von der Lage verschaffen, vielleicht nicht einmal die Sprache vor Ort sprechen und wieder zurückkommen.Also „Fallschirm-Journalismus“?Heinrichs: Genau, oft mit der Begründung, dass so eine besonders objektive Berichterstattung gewährleistet sei. Eine ägyptische Journalistin hat mir gesagt, das sei so, wie wenn man einen ägyptischen Journalisten, der kein Englisch spricht, an die Börse nach London schickte, weil er aufgrund dieser fehlenden Expertise objektiver über das Börsengeschehen berichten könne als britische Kollegen. Ich finde es unangemessen, Kollegen vor Ort die Fähigkeit zu professioneller Distanz abzusprechen. Gelebte Erfahrung kann den Journalismus bereichern. Ich habe eine ARD-Dokumentation gesehen von einem Ukrainer, der in Deutschland mit einer Russin verheiratet ist und in die Ukraine zurückkehrte, wohl wissend, dass ihm als wehrfähigem Mann der Rückweg verschlossen sein würde. Er wurde von einem ukrainischen Deutschen begleitet, in ein Land, dessen Sprache beide sprechen, das sie gut kennen. Sie sind tief eingetaucht in das Geschehen vor Ort. Dabei entwickle ich als deutsche Zuschauerin ein viel tieferes Verständnis für das Geschehen dort. Dazu ist es nicht nötig, stets an der Front zu sein oder mit den Mächtigen der Welt zu sprechen.Ehrenberg: Das wirkt sich nicht nur auf die Berichterstattung aus, sondern auch auf die Berichterstattenden. Wenn man bedenkt, was Kriegsreporter zu verarbeiten haben, wie viel Schreckliches sie sehen, würde ein solcher ganzheitlicher Ansatz deren emotionale Belastung zu reduzieren helfen.