Pestizide: Warum stoppt Cem Özdemir die tödlichen Exporte nicht?

Pflanzenschutz In Deutschland hergestellte Pestizide bringen Menschen im globalen Süden um. Cem Özdemir hat nun seinen Plan für ein Ausfuhrverbot vorgestellt. Doch sein Vorschlag enttäuscht in mehrfacher Hinsicht
Ausgabe 38/2022

„Es geht nicht an, dass wir nach wie vor Pestizide produzieren und exportieren, die wir bei uns mit Blick auf die Gesundheit der Menschen zu Recht verboten haben.“ So kündigte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) nun ein Exportverbot für gesundheitsgefährdende Pflanzenschutzmittel an. Das ist mehr als überfällig: Deutschland ist mit einem Volumen im Wert von 4,3 Milliarden US-Dollar zweitwichtigster Pestizid-Exporteur nach China.

Ein Viertel der von hier ins außereuropäische Ausland exportierten Wirkstoffe stuft das „Pestizid Aktions-Netzwerk“ (PAN) als „hochgefährlich“ ein. Sie sind in der EU nicht zugelassen oder verboten, weil sie Gesundheit und Umwelt gefährden. Dennoch werden solche Stoffe in Deutschland hergestellt und in den globalen Süden verkauft: So produziert BASF in Brandenburg das fruchtbarkeitsschädigende Fungizid Epoxiconazol und liefert es nach Brasilien.

385 Millionen Menschen – die Hälfte der in der Landwirtschaft beschäftigten Weltbevölkerung – leiden jährlich an akuten Pestizidvergiftungen, vor allem in den Ländern des Südens. 11.000 Menschen sterben daran jedes Jahr. Diese tödlichen Doppelstandards kritisieren Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen schon lange.

Gutachten zeigt, wie ein Exportverbot aussehen könnte

Mit Erfolg: Im Koalitionsvertrag haben Grüne, FDP und SPD versprochen, die Ausfuhr gesundheitsschädlicher Pestizide zu unterbinden. Doch sie ließen sich Zeit mit einem Vorschlag. Deshalb haben fünf Akteure – die Rosa-Luxemburg-Stiftung, das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), die Heinrich-Böll-Stiftung, das INKOTA-Netzwerk und PAN – ein Gutachten in Auftrag gegeben. In dem gerade veröffentlichten Papier zeigen die Juristinnen Mirka Fries und Ida Westphal, wie die Ampel ein Exportverbot rechtssicher und schnell auf den Weg bringen kann. Ein Pestizid-Exportverbot kann sowohl über eine Änderung des Pflanzenschutzgesetzes erfolgen als auch über eine Verordnung auf dessen Grundlage.

Die fünf Auftraggebenden des Gutachtens fordern beides: Verordnung und Gesetzesänderung. Denn Erstere ist am einfachsten und schnellsten umzusetzen. Letztere dauert zwar länger, ist jedoch umfassender und hätte auch nach einem Regierungswechsel Bestand. Rund zwei Wochen vor der Veröffentlichung stellten Fries und Westphal ihr Papier dem Landwirtschaftsministerium vor – und Özdemir reagierte prompt. Doch was nach einem Paukenschlag klingt, ist allenfalls halbherzig: Umgesetzt wird nur ein Exportverbot per Verordnung, das erst ab dem Frühjahr 2023 in Kraft treten soll.

Vor allem aber kann eine Verordnung nur die Ausfuhr fertiger Pflanzenschutzmittel verbieten, nicht jedoch die einzelner Wirkstoffe, die zur Weiterverarbeitung ins außereuropäische Ausland verkauft werden. Der Anteil der Wirkstoffe, der mit den fertigen Pestizidprodukten exportiert wird, ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs.

Ampel pfeift auf die Umwelt

Laut Bundesamt für Verbraucherschutz wurden 2019 gar keine fertigen Pflanzenschutzmittel exportiert, die Chlorfenapyr enthalten. Im selben Jahr lag die Ausfuhr von reinem Chlorfenapyr aber bei mehr als 28 Tonnen. Das Insektizid ist in der EU nicht genehmigt und giftig für Bienen, sehr giftig für Wasserorganismen sowie gesundheitsschädlich für den Menschen beim Verschlucken und beim Einatmen. Um solche gefährlichen Wirkstoffe, die in der EU verboten oder nicht zugelassen sind, in ein Exportverbot einzubeziehen, müsste das Pflanzenschutzgesetz geändert werden.

Das aber plant die Koalition nicht. Sie schöpft nicht einmal die Möglichkeiten der Verordnung vollständig aus: So ermächtigt das Pflanzenschutzgesetz das Landwirtschaftsministerium dazu, zur „Abwehr erheblicher, auf andere Weise nicht zu behebender Gefahren für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder sonstiger Gefahren, insbesondere für den Naturhaushalt“ den Export bestimmter Pflanzenschutzmittel zu verbieten oder einzuschränken.

Angesichts der Biodiversitätskrise völlig unverständlich klammert die Ampel dennoch Umweltaspekte aus und beschränkt sich bislang auf gesundheitsgefährdende Pflanzenschutzprodukte. Das ist nicht das Ende der Doppelstandards, sondern eine doppelte Enttäuschung.

Özdemirs Ankündigung kann nur ein erster Schritt sein. Weitere müssen dringend folgen. Wenn nicht, werden unter einem grünen Mäntelchen weiterhin Menschen, Tiere und Natur vergiftet.

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