Regisseurin Sonja Heiss: „Ist das jetzt die perfekte Familie?“
Interview „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“: Sonja Heiss hat Joachim Meyerhoffs Roman über seine Kindheit als Sohn eines Psychiatriedirektors verfilmt. Sie erzählt von den Dreharbeiten und wieso ihr der bayerische Sinn für Humor half
Sonja Heiss im Gespräch: „Es gab in Europa nur einen Hund, der taucht. Er steht aber im Roman“
Foto: Frédéric Batier/Warner Bros/Komplizen Film
Das Aufwachsen ist ja nie ganz so schön, wie man es gern hätte. Und in dieser vereinenden Erkenntnis funktioniert Humor besonders gut. Einer, der das verstanden hat, ist der Schauspieler Joachim Meyerhoff, dessen Buch Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war nach seinem Erscheinen im Jahr 2013 nicht nur in Deutschland wahnsinnig erfolgreich war. Es geht um Josse, der mit seiner Familie in einer Psychiatrie aufwächst, deren Direktor sein Vater ist. Der Papa hat viel mit der Arbeit und seinen Affären zu tun, die Mutter mit dem Austarieren ihrer Rolle und Josse mit seinen Wutanfällen. Sonja Heiss, Autorin von wunderbaren Büchern wie Rimini und Regisseurin von besonderen Filmen wie Hedi Schneider steckt fest hat sich nun an dieses Buch gewagt. Herausgekommen
es Buch gewagt. Herausgekommen ist ein skurriler Film mit internationalem Format.der Freitag: Frau Heiss, Sie haben den Mega-Bestseller von Joachim Meyerhoff verfilmt. Das ist dann ein bisschen so wie bei der Nationalmannschaft und den 80 Millionen Bundestrainern, jeder Leser weiß, wie der Film sein sollte. Glücklicherweise haben Sie sich davon nicht beeindrucken lassen, Ihr Film macht es den Zuschauern nicht zu einfach.Sonja Heiss: Er wird ja aus der Perspektive eines Kindes, später eines Jugendlichen erzählt, also ist es ein fantasievoller Film. Da ist das Telefon des Rektors plötzlich riesig. Die Mutter mutiert zu Gina Lollobrigida, wenn sie auf Italienisch mit ihrer verflossenen Liebe Franco telefoniert. Und im verregneten Schleswig scheint auf einmal die Sonne durchs Fenster, wenn Frau Meyerhoff ihre komischen Aquarelle malt.Die sind doch nicht komisch! Man sollte das Motiv allerdings nicht für die Toskana halten, wie Vater Meyerhoff, schließlich ist das Umbrien!Zypressen und Hügel, sieht ja auch wirklich zum Verwechseln ähnlich aus da. Den Witz versteht nicht jeder, aber die, die ihn verstehen, freuen sich.Diese Sehnsucht nach einem anderen Leben, diese Verletzung, wenn der Ehemann darüber nichts weiß – keine Kunstschaffende in Deutschland kann die Familie so schön beschreiben wie Sie. Warum ist das Ihr Sujet?Familie ist der klitzekleinste Kern der Gesellschaft. Man kann alle Themen verhandeln innerhalb einer Familiengeschichte. Und es ist nun mal so, dass die meisten Familien dysfunktional sind. Das zu untersuchen, warum sie das sind und auf welche Arten und Weisen, macht sehr viel Spaß und bringt einen ja auch ein bisschen weiter, was die eigene Familie betrifft. Am Ende steht dann eben doch die Erkenntnis, dass keine Familie perfekt funktionieren kann.Aber warum glauben wir das immer noch?Weil wir uns selbst für so unzulänglich halten, dass wir denken, die anderen könnten es besser. Und weil wir uns danach sehnen. Aber es ist halt nie so. Obwohl ich immer mal wieder von Leuten höre, die in den Ferien für eine ganze Weile zu ihren Eltern fahren.Danach müssen die aber in die Psychiatrie.Das ist die Frage, ist das jetzt die perfekte Familie? Oder hat die Person, die das so lange mit ihren Eltern aushält, dann doch auch ein durch diese verursachtes, ganz anderes Problem? Man weiß es nicht.Diese Enttäuschung der Frau Meyerhoff, nicht gesehen zu werden, ist das der Preis, den man für den Schutz, den eine Familie bietet, zahlen muss?Kinder verändern eine Paarbeziehung. Es gibt natürlich Paare, die das überleben, aber viele auch nicht. Oder sie leben weiter als Paar und schenken sich dann irgendwann die falschen Geschenke zu Weihnachten, elektrische Brotmesser zum Beispiel.Bedeutet Familie, sowas aushalten zu müssen?Das habe ich früher immer gedacht. Jetzt nicht mehr. Man kann schon auch wirklich eine tolle Beziehung haben. Ich glaube, dass man im Leben oft geneigt ist, Kompromisse einzugehen. Und manchmal merken die Menschen zu spät, dass sie Kompromisse eingegangen sind. Dann haben sie schon die Kinder, dann kommen sie nicht mehr raus. Und wenn sich das Paar dann trennt, merkt es oft, dass es diese Probleme eigentlich von Anfang an hatte.Placeholder infobox-1Man weiß am ersten Tag schon, warum man sich am letzten Tag trennen wird.Sagen wir mal, gegen Ende des sechsten Monats. Oder des dritten.Josse versucht immer wieder, die Betten seiner Eltern näher zueinander zu rücken. Machen das eigentlich alle Kinder?Kinder wollen keine Veränderung. Sie wollen, dass alle sich lieben. Das hat auch mit Verlustangst zu tun. Wenn Eltern sich trennen, dann könnte es doch rein theoretisch auch passieren, dass die sich auch von ihrem Kind trennen. Deswegen sollen die unbedingt zusammenbleiben.Wie haben Sie Joachim Meyerhoff davon überzeugt, dass Sie seine Familiengeschichte verfilmen dürfen?Wir haben denselben Lektor. Den habe ich damals gefragt, aber der meinte, der will das gar nicht verfilmt haben. Doch dann hat sich meine Produzentin Janine Jackowski dahintergeklemmt. Jetzt im Nachhinein sagen mir ständig andere Produzenten, dass sie das Buch auch so gern verfilmt hätten.Was hatten Sie, was die nicht haben?Ich glaube, Joachim war einfach sympathisch, was Komplizen Film und ich für Filme machen. Und da konnte er sich wohl vorstellen, dass das irgendwie zu seinem Buch passt. Und das tut es ja auch. Unser Humor ist sehr ähnlich, der irgendwie aus den Tiefen des Lebens entsteht.Wie meinen Sie das?Ich glaube, Norddeutsche und Bayern haben einen ganz ähnlichen Sinn für Humor. Manchmal ganz schön hart und ironisch, aber er hat immer auch etwas Liebevolles, ein Augenzwinkern. Den gibt es nicht einfach so, nur witzig, ohne dass auch irgendwas darunter liegt. Das ist ganz anders als der Berliner Humor. Aber ich glaube, die wichtigste Gemeinsamkeit ist, dass er immer auch etwas mit der Tragik des Lebens zu tun hat.Humor ist, wenn man trotzdem lacht.Sonst wäre das ja nicht auszuhalten. Naja, jedenfalls wollte ich die Welt der Psychiatrie in den 70er- und 80er-Jahren unbedingt erzählen.Eingebetteter MedieninhaltWas war damals anders?Zum einen waren da auch Menschen mit Behinderung in der Psychiatrie untergebracht. Das ist natürlich heutzutage nicht mehr so. Und dann wurden die auch noch ganz anders behandelt. Professor Meyerhoff war ein Pionier und hat vieles verändert. Es war die Zeit, in der sich in der Psychiatrie insgesamt viel verändert hat. Zum Beispiel wurde die Dosierung der Medikamente runtergefahren, damit die Patienten nicht mehr zitternd mit Tremor und Spucke um den Mund herumlaufen, weil sie einen halben Liter Haldol intus haben. Und die Patienten waren bei den Meyerhoffs eben auch Teil der Familie. Überhaupt so ein Klinikgelände zu erzählen, auf dem eine Familie inmitten dieser Patienten lebt, das fand ich schon sehr toll.Wie findet man dafür den richtigen Cast?Viel Zeit. Viel Aufwand. Viele Leute. Also viel Geld. Und dann hatten wir auch Leute, die sich nur um das Casting der Laien, also der Menschen mit Behinderung, gekümmert haben. Ich selbst war ganz viel unterwegs. Ich war am Theater Thikwa und Ramba Zamba. Ich war in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. Und das hat dann auch Einfluss auf das Drehbuch gehabt. Bei den Castings war ich ab einer gewissen Stufe immer dabei, weil ich ja auch noch gar nicht wusste, wie arbeitet man mit ihnen, wie inszeniert man, wie funktioniert das.Und wie funktioniert es?Anders als mit professionellen Schauspielern. Zum einen wollte ich ihnen keine Figuren überstülpen, die weit weg von ihnen sind, und habe das Drehbuch auf sie angepasst. Dann haben wir in den Proben auch improvisiert, daraus habe ich Textstücke genommen und ins Drehbuch eingebaut. Und dann gab es eben manchmal Probleme damit, sich Texte zu merken. Und ich wollte nicht, dass sie sich so anstrengen, dass sie nicht mehr im Moment sein können. Deswegen haben wir eine Technik des Soufflierens entwickelt.Man hat auch das Gefühl, Laura Tonke und Devid Striesow – im Film die Eltern Meyerhoff – spielen viel näher an ihren Emotionen.Wenn Schauspieler ganz im Moment sind, dann sind sie auch nah an ihren Emotionen. Wenn sie nichts mehr vorspielen, sondern nur noch sind. Und das passiert dann, wenn du sehr gute Schauspieler hast. Dazu haben sie mit Kindern gedreht, auf Segelbooten, mit einem Hund, mit zehn Leuten eine Geburtstagsparty. Dieses ganze Chaos führte oft auch dazu, dass wir ganz viel ausprobiert haben.Ich habe gelesen, Sie hatten sehr viele Coaches am Set, alleine drei Trainer für Hunde.Ohne Hundetrainer macht der Hund halt nix. Wir hatten aber auch verschiedene Hunde. Also alle gleich aussehend. Braucht man, wenn der eine Hund mal keine Zeit hat. Der kam zudem aus der Schweiz. Denn es gab in ganz Europa nur diesen einen tauchenden Hund. Es gibt verdammt wenige tauchende Hunde, weiß ich jetzt, aber der steht nun mal im Roman.Und es gab einen Intimitätscoach am Set.Ja, das ist heutzutage Usus. Wir hätten diese Szene auch ohne hingekriegt, weil es ja wirklich weit weg von einer richtigen Sexszene ist. Aber ich fand das gut, dass ich somit nichts falsch machen konnte, die Darsteller waren ja recht jung. Und welche Coaches hatten wir noch?Segeln.Devid und Laura mussten ja ein bisschen Segeln lernen. Ich kann nicht segeln, ich hätte es niemandem beibringen sollen.Ich frage mich nur, ob das normal ist.Es war schon eine große Produktion und es hat mir Spaß gemacht, dass ich jetzt mal so richtig ...... Geld ausgeben konnte?Ja, aber am Ende fehlte da natürlich auch immer hinten und vorne was. Es ist einfach wahnsinnig aufwendig, 70er, 80er und 90er zu drehen. Diese Villa wurde komplett ausgebaut. Das war ein leeres Haus. Und es ist alles historisch. Jedes einzelne Auto.Und es hat sich jemand sehr viel Mühe gegeben mit der Ausstattung.Ich bin ja so eine Ästhetin.Sie ist prägnant wie bei Wes Anderson.Die 70er sind ja eine einzige Falle, die können so leicht zum Klischee in Orange verkommen. Und ich wollte das mal ganz anders machen, elegant und cool und eben auch nicht so deutsch, das war mir sehr wichtig. Ich hatte ein wahnsinnig tolles Team. Wir haben das Farbkonzept zusammen entwickelt. Also wenn du jetzt eine avocadofarbene Küche mit korallfarbenen Stühlen hast, musst du ja entscheiden, welche Klamotten tragen dann die Schauspieler?Es ist ein Traum für jeden Designfan. Man will das alles sofort bei Ebay-Kleinanzeigen kaufen.Also ein paar Sachen konnte ich behalten. Aber nur ein paar. Diese Designklassiker, die sind ja sehr teuer. Die waren nur geliehen.Letzte, sehr wichtige Frage: Arbeiten Sie an einem neuen Buch?Ja! Eigentlich wollte ich das während des Lockdowns schon schreiben. Aber es kam nur Quatsch dabei raus. Ich dachte schon, ich kann es nicht mehr. Man hat doch immer diese Angst, dass man nicht mehr schreiben kann. Aber nun habe ich gerade auf Lanzarote geschrieben. Ich kann es noch, Gott sei Dank!
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