Eine Journalistin als perfektes Ziel politischer Angriffe

Meinung Ein schnelles Urteil der Öffentlichkeit und ein rechter Kulturkampf diskreditieren eine Journalistin der Süddeutschen Zeitung mit fatalen Folgen. Über einen Fall, der sehr viel aussagt – über Medien und über unsere Gesellschaft
Ausgabe 07/2024
Vom Verlagsgebäude der Süddeutschen Zeitung aus hat man einen guten Blick über das Land. Dort tobt ein Kulturkampf
Vom Verlagsgebäude der Süddeutschen Zeitung aus hat man einen guten Blick über das Land. Dort tobt ein Kulturkampf

Foto: Stephan Rumpf/picture alliance/Sueddeutsche Zeitung Photo

In der vergangenen Woche hat eine Journalistin vermutlich versucht, sich das Leben zu nehmen. Im Pressekodex, also der Richtlinie zu ethischen Standards journalistischer Arbeit, gibt es einen Abschnitt zum Umgang mit dem Thema: „Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände.“ Die Würde der Person soll geschützt, Nachahmungen verhindert werden.

Viele, die zum siffigen Charakter von Twitter, Facebook oder anderen Plattformen im Netz beitragen, wollen Aufmerksamkeit; ein Kodex, Beschränkung, Ethik ist da hinderlich. Algorithmen spülen negative Nachrichten hoch, die begeistern uns, mehr Klicks bedeuten mehr Werbung. Im Fall der Journalistin beschrieb eine Regionalzeitung, wo sie ihr Auto geparkt hatte, dass es einen „Abschiedsbrief“ gebe, Details, die über Zurückhaltung hinausgehen. Sie wurden breit geteilt und übernommen. Auch seriöse Medien optimieren ihre Artikel, richten sie an der Logik von Algorithmen aus. Das wird politisch, wenn Berichterstattung und Kommentierung ein leicht zugängliches Feld im Aufmerksamkeitsrennen betreten: die Arena des Kulturkampfes.

Hier tobt eine manichäische Auseinandersetzung, der Gegner ist der Feind, an jeder Misere schuld, jedes Mittel gegen ihn ist erlaubt. Der politische Manichäismus prägte den modernen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts, organisierte sich im Nationalsozialismus, spiegelt sich rhetorisch in Schemata von Verschwörungsglauben. Angetrieben wird der Kulturkampf heute von Wut, organisiert vor allem von rechten oder rechtsradikalen Gruppen. Die Journalistin arbeitet für die Süddeutsche Zeitung, eine exponierte Frau in verantwortlicher Position einer Zeitung, die Covid-Leugner kritisierte, Aiwanger weder Jugend-Antisemitismus noch Alters-Lügen durchgehen ließ: Ein ideales Ziel für politische Angriffe.

Julian Reichelt macht mit

Die erste Kritik formulierte der randständige Branchendienst Medieninsider, wurde wohl mit Informationen aus der SZ-Redaktion gefüttert, fand ein paar unmarkierte Übernahmen von Quellen. Schludrigkeiten der Journalistin, eher nicht geeignet, die suggestive Medieninsider-Frage nach dem Großen und Ganzen zu rechtfertigen, also, „ob und inwiefern bei der Süddeutschen noch journalistische und redaktionelle Standards sichergestellt werden können“. Aber der Vorwurf des Plagiats steht im Raum. Wo der hinschlägt, wächst oft kein Gras mehr. Das rechtspopulistische Krawallmedium Nius, von Julian Reichelt nie nah an der Integrität geparkt, nahm sich die Journalistin vor; Reichelt zahlte zweitausend Euro an den „Plagiatsjäger“ Stefan Weber, er soll ihre Dissertation durchforsten. Weber holte zu bisher dünnen Belegen den großen Hammer heraus, er klingt persönlich, wenig nach Wissenschaft: Die Journalistin habe „das Plagiieren an der Universität gelernt. Darum geht es mir in meiner Arbeit, das will ich aufzeigen. Trotz aller Angriffe linker Publizisten […] setze ich meine Arbeit mit Leidenschaft fort.“

Das Netz ist voll mit Ratschlägen rechter Kulturkämpfer, sie wollen Gegner desavouieren, ihnen „Doppelmoral“ ankleben. Kulturkämpfer wollen bestimmen, was gesagt werden kann, von wem, wie. Kritik soll verschwinden, Institutionen umgebaut werden. Die Journalistin hat überlebt.

Lennart Laberenz schreibt als freier Autor neben dem Freitag auch für die Süddeutsche Zeitung

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden