Mall of Anonymous von Shayne Oliver im Schinkel Pavillon: Was verblüht denn da?
Performance In einem der totesten Winkel von Berlin-Mitte zeigt der Schinkel Pavillon Kunst, aktuell die des Modedesigners Shayne Oliver. Pretty? Ja, nur anders, als man denkt
Eine latexüberzogene Frauenfigur mit Kleinkind dreht sich bedächtig im Kreis
Foto: Frank Sperling/Schinkel Pavillon
„You look so pretty“, heftige Betonung auf dem „so“, die Person nebenan macht eine spreizende Bewegung mit beiden Händen, als gälte es, Glanz zu vervielfältigen. Lachen, Menschen fassen prüfend Stoffe an, werfen den Kopf in den Nacken, die Umgangssprache scheint hier, späterer Freitagnachmittag in Berlin-Mitte, Englisch zu sein. Um prettiness geht es wohl, aber anders, als Sie jetzt denken, und überhaupt ist alles anders, als man denkt.
Eigentlich wollte der für das, was an der Oberwallstraße grade passiert, recht unvorgebildete Reporter notieren: Wir stehen in lockeren Gruppen an der Straßenecke. Aber der Begriff „Gruppe“ hat hier eine andere Struktur und mit „locker“ ist es so eine Sache. Für
ine Sache. Für diejenigen, die aus verständlichen Gründen Berlin-Mitte nicht kennen: Dieser Teil des Bezirks ist besonders tot, ermordet von gesamthistoristischer Reenactment-Architektur, investorenkühlen Wohnsilos, die mit Naturstein-Protz („Der Kronprinz“) Karl Schinkels Friedrichswerderscher Kirche so dermaßen auf die Pelle rückten, dass die beinahe einstürzte.Der Anlass, zu dem sich hier etwa 300 Menschen einfanden, ist recht gewöhnlich – Menschen werden an Knöpfen drehen, auf dass Musik erschalle, dafür stehen heute die Fenster im ersten Geschoss des Schinkel Pavillons offen. Die Veranstaltung gehört zur Ausstellung Mall of Anonymous von Shayne Oliver, der erste DJ schmeißt Blumen, nachdem er sein ziemlich löchriges Set aus Geräuschkulissen zu uns hinuntergeworfen hat.Im Strom der MenschenShayne Oliver ist für Pullover bekannt, auf denen Schriftzüge prangen, aber auch für Laufsteg-Kleidung, die in erster Linie fummelig aussieht, oft hängen Striepsel herunter, sind Striepsel-Schlaufen befestigt. Manches wirkt, als hätten Nähmaschinen gestreikt, was Anziehen und Herumlaufen sicher interessant macht. Ein anderes Locker eben.Und weil Shayne Oliver in gewissem Maß erfolgreich ist, hat er in den Schinkel Pavillon ein paar Dinge gestellt, die als Ausstellung durchgehen sollen. Das Hinübertragen von Alltagsgegenständen in museale Räume transmutiert ja bereits länger Dinge, macht manches zu Kunst. Nicht immer landen wir dann bei Marcel Duchamp. Museen aber reißen weltweit ihre Tore auf, wenn Modeschöpfer kommen wollen, in der Hoffnung, dass sie die Besucher ihrer Geschäfte gleich mitbringen.Nicht anders der wundersame Schinkel Pavillon: Richard Paulick, der nebenan Staatsoper und Kronprinzenpalais wiedererrichtete, hat ihn 1969 als Achteck aus der DDR-Fertigbaukasten-Welt zusammengefügt, sparsamer Modernismus für die verblichene Schinkel-Klause. Zum zweiten DJ-Set öffnen sich die Türen, und wir können in den ersten Stock, an den Wänden verstreute Cornelius-Gormann-Reliefs aus Terracotta: Die stammen aus der Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel himself.Jetzt kann man im Strom der Menschen die Ausstellungsdramaturgie etwas überblicken, unten dreht sich eine latexüberzogene Frauenfigur/schreitende Madonna mit Kleinkind bedächtig im Kreis (mitsamt Spiegel und auf verspiegeltem Sockel), ringsum wirkt alles wie in der verblühten Galeria Kaufhof: leere Kleiderbügel, hier noch ein unverkauftes Kleidchen, dort die abgerissenen, aufgehäuften Handläufe der schon abgebauten Rolltreppen. Oben zeigen Videowände im Loop die Warenästhetik der frühen 2000er Jahre (Model vor Windmaschine), zwischendrin blinkt das Logo eines Sportartikelherstellers, der den Sums hier bezahlt. Die Sicherheitsjalousie der Ladenfront ist zu einem Halbrund geformt, alles ist in den Gang geräumt, damit es nicht stört.Shayne Olivers Prettiness abseits gängiger VorstellungenDer große Raum mit dem DJ-Pult füllt sich fix, man kann zwischen Frisuren eine mit Shayne-Oliver-Group-Schriftzügen beklebte Wand sehen oder sich auf die abgesperrte, nun ja, zentrale Arbeit konzentrieren: Eine Art Taufbecken in Kirchenkreuzform, etwas improvisierte Treppengeländer führen hinein, das Objekt könnte aus dem Fundus ungenutzter Gegenstände von Madonnas „Like A Virgin“-Tour stammen.Und man kann den pretty people unten zuschauen: Seit einer Weile beklagen Selbsterfahrungs-Autorinnen, dass sie nach Diät und Sport anders behandelt würden. Das Produktivste, was aus den Texten erwuchs, ist der Begriff der Normschönheit – blöd die Welt, in der man mit ihr besser durchkommt. Zwischen Pavillon und Hauskarbunkeln geht es um ästhetische Recodierung: Aus dem Fenster betrachtet, könnte man es Normhässlichkeit nennen, nur ohne Abwertung – ein avantgardistisches Strecken danach, gängigen Vorstellungen nicht zu folgen. Prettiness in Formen, die weit weg davon scheinen.Alle wirken, als verbrächten sie viel Zeit in der Kleiderkiste meiner Großmutter oder mit dem, was Humana gar nicht erst in die Läden lässt. Etliches scheint ein Vorleben bei Britney-Spears-Fans, als Sofabezug oder Gardine zu haben, bevor es zerschnitten und oft bestriepselt wurde. Matte Farben, obenauf Drang zur Blondierung, Spitzen müssen ausgewachsen sein. Alle haben viel Mühe auf nachlässiges Aussehen und das Verwischen von Geschlechtszuschreibungen verwandt.Hunderte Einzelwesen stehen da, wenden sich einander kurz zu, so pretty, bevor sie sich als getrennte Universen wieder um sich selbst drehen. Shayne Oliver will irgendetwas mit Konsumkritik loswerden.