Manche Fragen kann man leicht beantworten: Sanna Marin hat die Wahl nicht verloren, weil sie eine Frau ist. Die Redakteurin hatte gefragt. Genauer, ob die „Niederlage … das Aus für female Empowerment“ sei? In der Frage stecken interessante Missverständnisse.
Die finnische, oder skandinavische Emanzipation ist so simpel kaum zu lesen: Finninnen bekamen als erste Frauen in Europa das Wahlrecht, gleich zur Einführung des Einkammernparlaments 1906 nämlich. Wer Abzählfeminismus mag, kommt in Finnland auf seine Kosten: Es gibt deutlich mehr Frauen in Spitzenpolitik, Wirtschaftsvorständen oder der Wissenschaft als zum Beispiel in Mitteleuropa. Schon das maue Lohnniveau bei hohen Lebenskosten verhinderte das westeuropäische Modell, in dem Männer die Familien allein ernährten. Frauen bekommen nach Geburt und Elternzeit selbstverständlich ihren Job zurück. Der Gender Pay Gap ist ein Aspekt wachsender Unzufriedenheit mit der Regierung von Sanna Marin: Er liegt bei 15,6 Prozent – deutlich über dem EU-Mittel von 12,7 Prozent und fünf Prozent höher als in der alten Kolonialmacht Schweden.
Anspruchsvollere Untersuchungen werden in Finnland (und zumal auf dem Land) eine kräftig männlich dominierte Kultur feststellen, mit tiefen Wurzeln im strengen Protestantismus und ausgeprägter Autoritätshörigkeit. Dass eine der ganz wenigen finnischen Politiker*innen der vergangenen Jahrzehnte, die auch im Ausland bekannt ist, nicht im Amt bestätigt wurde, hat damit allerdings wenig zu tun. Und ist trotzdem keine Überraschung: Finnische Regierungen überstehen Wahlen eigentlich nie. Überhaupt nur drei Ministerpräsidenten wurden je wiedergewählt.
Kuriose Ähnlichkeiten mit anderen Regionen
Sanna Marin übernahm das Amt, nachdem ihr sozialdemokratischer Vorgänger beim Umgang mit einem Poststreik unangenehmen aufgefallen war. Die Ausgangssituation der jetzigen Wahl war interessant: Marin, eine talentierte Imagepolitikerin, war deutlich beliebter als ihre sozialdemokratische SDP. Die Partei gewann Stimmen und Sitze dazu. Gewonnen hat die konservative Nationale Sammlungspartei, Kokoomus, deren blasser Spitzenkandidat deutlich unbeliebter war als sein Verein.
Grüne, Linke und die konservativ-agrarische Zentrumspartei verloren Stimmen: Inzwischen haben alle Parteien Klimaschutz-Kapitel in ihre Wahlprogramme eingefügt. Viele Wähler*innen taktierten, wählten SDP, weil sie die rechtsnationale Finnenpartei, Perussuomalaiset, verhindern wollten. Die agrarische Zentrumspartei ist generell kraftlos.
Nun zeigt das Land kuriose Ähnlichkeit zu anderen Regionen mit Rechtsruck: Gegenden, in denen es kaum Zuwanderung gibt (sie aber nötig wäre), wollen diese unbedingt beschränken. In Gebieten, in die das meiste Geld aus EU-Förderungen fließt, wählen sie die Partei, die beharrlich auf die EU schimpft. Finn*innen können sich sehr über steigende öffentliche Ausgaben aufregen, unter der Regierungskoalition stieg die Staatsquote, auch um Covid abzufedern. Linke forderten mehr. Die Regionen, die vor allem darunter leiden werden, votierten für Austeritätspolitik.
Ein Missverständnis wäre, auf die Wahl nur mit geschlechtspolitischem Blick zu schauen. Ein Fehler wäre es, ihn wegzulassen: Die absolut meisten Stimmen im Land bekam nicht Sanna Marin, sondern eine andere Frau, Riikka Purra. Die Vorsitzende der rechtsnationalen Perussuomalaiset.
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