Nahost-Konflikt auf der Bühne: „Oh, Israel, oh, Palästina, vertragt euch doch!“

Theater Kaum zu glauben: „Die Friedensstifterin“ vom Staatstheater Kassel über eine deutsche Musikerin, die in Gaza festsitzt, bringt auch jetzt noch zum Lachen
Ausgabe 42/2023
Kann Bachs Cello-Suite Nr. 1 Leben retten? Ali (Emilia Reichenbach) ist sich da sicher
Kann Bachs Cello-Suite Nr. 1 Leben retten? Ali (Emilia Reichenbach) ist sich da sicher

Foto: Katrin Ribbe

Wirklich, wir leben in finsteren Zeiten. In Israel wurden 1.300 Menschen von mordlüsternen Antisemiten abgeschlachtet. Wie muss man sich als deutsche Kulturinstitution dazu verhalten? Bisher ist die Stille ohrenbetäubend. Viele der Institutionen und Künstler:innen, die ansonsten um kein politisches Wort verlegen sind, tun sich beim Verdammen von Judenmord offenbar schwer. Und da soll man jetzt ins Theater gehen? Und dann auch noch in dieses Gastspiel des Staatstheaters Kassel: Die Friedensstifterin – eine Komödie über den Nahostkonflikt! Das geht sowieso nur, weil der Autor, Avishai Milstein, Israeli ist. Aber kann man das sehen, jetzt, will man das? Und – kann man darüber lachen? Das Berliner Maxim Gorki Theater hat ein ähnliches Stück, The Situation von Yael Ronen, bis auf Weiteres abgesagt.

Die Organisatoren des Gastspiels in Berlin bleiben jedoch dabei. Die Vorführung findet im Rahmen der Veranstaltungsreihe Reclaim Kunstfreiheit des Instituts für Neue Soziale Plastik statt. Der Verein war beratend am Probenprozess in Kassel beteiligt.

Im Mittelpunkt des Stücks steht die junge deutsche Cellistin Alice, genannt Ali (Emilia Reichenbach), aus Husum in Schleswig-Holstein, die mit ihrem Streicherensemble im deutschen Kulturinstitut in Gaza auftreten soll. Als jedoch Krieg mit Israel ausbricht, fliegt ihr Orchester Hals über Kopf davon und lässt sie zurück. Dabei hat sie sich gerade mit Alli (Sarah Waldner) einen armen palästinensischen Fischer als Lieblingsflüchtling ausgeguckt, den sie mitnehmen wollte.

Diese Exposition zeigt schon, worum es an dem Abend geht: die Zuspitzung und Veräppelung linksdeutscher Friedenshampelei. Ali glaubt, mit der Musik den Menschen hier Frieden bringen zu können. Als bisher unpolitische Freundin einfacher Antworten verstrickt sie sich heillos im Chaos aus Wut, Schmerz, Ressentiment, das die Gegend prägt. Zunächst meint sie die Bösen auf der anderen Seite, also in Israel, auszumachen. Als sie jedoch in einem Krankenhaus erwacht, gerettet von israelischen Soldaten und gepflegt von der Tochter einer Holocaust-Überlebenden (Annett Kruschke) und auch noch mit dem Soldaten (Jonathan Stolze) konfrontiert wird, der als Geisel ihr Cellospiel im Folterkeller als Qual wahrnahm, kippt ihr Weltbild schon wieder um. „Alles, was ich in dieser Region der Welt sage, scheint das Falsche zu sein!“, ruft sie verzweifelt aus.

Das Bedürfnis nach einfachen Antworten

Die Stärke des Texts liegt darin, nicht falsche einfache Antworten mit vermeintlich richtigen einfachen Antworten kontern zu wollen, sondern das Bedürfnis nach einfachen Antworten selbst aufs Korn zu nehmen. Besonders stark ist zum Beispiel die Szene, in der Johann Jürgens zwei deutsche Popmusiker mimt, auf deren Spuren Cellistin Ali wandelt. Die selbst geschriebenen Lieder („Gaza, ich komm aus dir!“, „Oh, Israel, oh, Palästina, vertragt euch doch!“) gehören zu den großen Lachern.

Die Komik des Abends liegt aber auch im hervorragenden Spiel, vor allem von Emilia Reichenbach. In konsequenter Überzeichnung ihrer Rolle biegt sie ihren Körper beim Cellospiel, schreit ihre Pflegerin an, feiert sich selbst als Friedensstifterin. Mit dem palästinensischen Funktionär des deutschen Kulturinstituts (auch Johann Jürgens) liefert sie sich ein Wortgefecht, wobei sie sich Fichte- und Beethoven-Zitate an den Kopf werfen. Wie Milstein hier den ach so aufgeklärten deutschen Geist persifliert, ist große Dramatik: Plötzlich ruft der Funktionär antisemitische Zitate von Fichte – geschickter kann man die deutsche Prägung des arabischen Antisemitismus kaum auf die Bühne bringen.

Schließlich darf Ali nach – ebenfalls sehr komischen – Verhandlungen mit einem resignierten israelischen Politiker, der hier nur „Ehrenpräsident“ (Marius Bistritzky) genannt wird, was wohl die Wirkungslosigkeit seines Peace-Ansteckers unterstreichen soll, doch noch auftreten.

Lachen ist bekanntlich heilsam und in diesen finsteren Zeiten umso mehr. An diesem Abend fällt von einigen Zuschauer:innen zumindest kurzzeitig etwas Spannung ab. Als Deutscher lacht man ja eh vor allem über sich selbst – und das tut man hierzulande viel zu selten.

Die Friedensstifterin Text: Avishai Milstein, Regie: Josua Rösing Staatstheater Kassel

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Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant im Rahmen seines Studiums der Angewandten Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence zum Freitag, wo er bis 2019 blieb. Nach einem Studium der Lateinamerikastudien in Berlin und in den letzten Zügen des Studiums der Europäischen Literaturen übernahm er 2022 im Kultur-Ressort die Verantwortung für alle Themen rund ums Theater. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

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