Emanzipation von Amerika

Europa Kommissionspräsident Juncker empfiehlt eine EU-Armee. Sollte es die geben, wäre die europäische Sicherheitsarchitektur oder was davon übrig ist, vollends erledigt
Ausgabe 11/2015
Jean-Claude Juncker wünscht sich eine gemeinsame EU-Armee
Jean-Claude Juncker wünscht sich eine gemeinsame EU-Armee

Karikatur: Amelie Glienke für der Freitag

Wenn die EU bisher nur unter größten Mühen eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zustande brachte oder ganz darauf verzichten musste – weshalb braucht sie dann eine eigene Armee? Da wäre nicht nur eine einheitliche Militärpolitik, sondern gleichsam die Bereitschaft gefragt, notfalls geschlossen in den Krieg zu ziehen. Wozu sonst soll eine Armee gut sein? Sie wird für den Erstfall formiert und trainiert. Alles andere ist Selbsttäuschung. Dass sich dafür Staaten hergeben wie der EU-Dissident Großbritannien, der Amerika-Freund Polen oder die zu Bittstellern degradierten Euro-Krisenstaaten Griechenland, Zypern oder Portugal, kann getrost ausgeschlossen werden. Insofern lässt sich schwer sagen, was an der Idee des EU-Kommissionspräsidenten frappierender ist – die surreale Verstiegenheit oder das kühne Vordenkertum.

Was wird aus der NATO?

Gesetzt den Fall, Jean-Claude Juncker erhielte, was ihm vorschwebt, was hieße das im Augenblick? Man bekäme eine gegen Russland gerichtete Streitmacht, die Europa keineswegs sicherer, dafür aber kriegsfähiger macht. Es wäre um die NATO geschehen, denn eine EU-Armee ist keine transatlantische Einrichtung. Folglich würde das bisherige durch ein anderes Militärbündnis, die NATO gegen die EU ersetzt. Was hieße das für die Amerikaner? Gehen die endgültig nach Hause? Nehmen sie ihre Kernwaffen mit?

Nicht zu vergessen – man hätte es mit einer deutschen EU-Armee zu tun, weil der europäische Hegemon neben dem ökonomischen gewiss auch das militärische Kommando zu schätzen weiß. Vielleicht findet sich hier das rationale Motiv für Junckers Einwurf. Er zieht Schlussfolgerungen aus der bisherigen Krisenintervention beim Ukraine-Konflikt, die erst zu Ergebnissen kam, als es die Merkel-Hollande-Mission mit Realpolitik versuchte. Die ukrainische Führung musste die wahren Kräfteverhältnissen im eigenen Land anerkennen, während die USA vorübergehend auf einen Beobachterstatus reduziert blieben. Wenn derartige politische Selbstbestimmung auf Dauer als Emanzipation von Amerika funktionieren soll, wird das nur dank militärischer Eigenständigkeit möglich sein. Das verträgt sich zwar kaum mit der mutmaßlichen Friedfertigkeit eines Friedensnobelpreisträgers, doch dafür war die EU ohnehin eine Fehlbesetzung.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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