Wie müsste man sich die Stimmung in der Brüsseler EU-Zentrale vorstellen, wären der ukrainischen Armee im Sommer die entscheidenden Durchbrüche gelungen, um den Krieg zu wenden?
Es gibt an der Bilanz des Beistandes nichts zu rütteln
Man hätte vermutlich triumphiert und sich bescheinigt, allen sonstigen Eindrücken zum Trotz über globale Reichweite zu verfügen und ein Player mit Biss zu sein, der wirksam helfe, Russland zu schlagen. Ursula von der Leyen erschiene nicht länger als pathetische Propagandistin, sondern perfekte Prophetin, die nicht zu viel versprach, als sie eine „geopolitische Kommission“ führen wollte.
Es habe sich eben ausgezahlt, bekäme man zu hören, ein Sanktionspaket nach dem anderen zu schnüren
m anderen zu schnüren, ohne Ende Waffen zu schicken, dass man sich fast selbst zu entblößen drohte, und der Selenskyj-Regierung die Kriegskasse zu füllen, indem man ihr mehr als die Hälfte des Staatshaushalts abnahm. Es gibt an dieser Bilanz des Beistandes wahrlich nichts zu rütteln. An der des Ertrags auf dem Kriegsschauplatz umso mehr.Letzter EU-Gipfel 2023Russland steht mit seinen starken Ressourcen nicht so schwach da, wie das westliche Wunschdenken in Verkennung der Tatsachen gern suggeriert. Das Jahr 2023 hat gezeigt, dass die Ukraine diesen Krieg momentan nicht gewinnen, sondern nur verlängern kann. Sie wäre gut beraten, ihn schnell zu beenden. Brüssel sollte Kiew darin bestärken. Wollte sich die EU dazu aufraffen, müsste sie allerdings zunächst mit sich selbst in Klausur gehen und käme um das Eingeständnis nicht herum: Noch nie haben wir uns als europäischer Staatenbund derart als Kriegspate exponiert, Ressourcen und Prestige in rauen Mengen verausgabt – und was erreicht? Wer ein an Realitäten interessiertes Urteilsvermögen schätzt, müsste sich fragen, wie lange noch?Der letzte Europäische Rat des Jahres Ende der Woche täte gut daran, dem kaltem Schweiß auf der Stirn zu glauben. Es sollte dieses Opfer bringen, wer der Ukraine so viele Opfer abverlangt. Mehr Mut zum wirklichkeitsnahen Lagebild kann nicht schaden. Stattdessen wird die Aufnahme von EU-Beitrittverhandlungen mit Kiew zum Referenzprojekt der Stunde erhoben. Es bedarf keiner analytischen Gabe, um zu erkennen, wie sehr hier Symbolismus waltet und Erweiterungspolitik dazu dient, in der Großmachtkonkurrenz mit Russland zu bestehen. Wir füllen dir die Satteltaschen, Selenskyj, mit heißer Luft, nur bleibe um Gotteswillen auf dem Kriegspfad. Wir hätten uns sonst unsterblich blamiert.Die anästhesierende Botschaft, wir haben alles im Griff, zieht nicht mehr„Mission Creep“ (die schleichende Ausweitung einer Mission) nannte man es während des Vietnamkrieges (1965–1973), als US-Präsidenten wie Lyndon B. Johnson und Richard Nixon das militärische Engagement immer wieder aufstockten, um wie erhofft reüssieren zu können. Doch egal, ob einst in Vietnam und Kambodscha, später in Somalia, im Irak oder in Afghanistan – das Prinzip „Mission Creep“ erwies sich für die USA regelmäßig als Verhängnis.Der EU winkt Ähnliches, auch wenn sie keine Soldaten in die Ukraine schickt. Ihr Festhalten an der geopolitischen Versuchung hat handfeste, vor allem ökonomische und finanzielle Konsequenzen. Für die Mitgliedsstaaten, nicht zuletzt Deutschland, verwandelt sich eine Überfluss- in eine teils grotesk dysfunktionale Mangelgesellschaft. Wohlstandsverlust ist angesagt, wenn Kriegsteilhabe zu Energiemangel, Preisschüben und maroden Staatshaushalten führt. Die anästhesierende Botschaft der Regierungen, wir haben alles im Griff, beruhigt nicht mehr, sondern provoziert. Es reift das Bewusstsein, wie unbehaglich es sein kann, in die Geschichte hineingezogen zu werden wie noch nie seit 1945.