Auf Konfrontationskurs

Italien Während in Europa um eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik gerungen wird, will die Regierung in Rom Tatsachen schaffen. Betroffen ist auch die zivile Schifffahrt

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Für einige bloß menschliche Manövriermasse
Für einige bloß menschliche Manövriermasse

Foto: Issouf Sanogo/AFP/Getty Images

Binnen weniger Tage ist die Situation eskaliert. Nachdem Italien auf Weisung von Innenminister Matteo Salvini (Lega Nord) seine Häfen für Rettungsschiffe von Nichtregierungs-Organisationen (NRO) gesperrt hat, soll Malta gestern dem Beispiel gefolgt sein.

Was vor etwas mehr als einer Woche nach einer Einzelfallentscheidung gegenüber dem Schiff „Aquarius“ der Organisation „SOS Mediterannée“ aussah, um das Anlanden von aus Seenot Geretteten zu verhindern, ist nun ausgeweitet worden.

Valletta habe verfügt, dass die Aufnahme von Verpflegung und Treibstoff sowie Mannschaftswechsel grundsätzlich nur noch in den internationalen Gewässern vor der Insel vorgenommen werden dürfe, meldete der römische Sender „Radio Radicale“.

Unmittelbar Leidtragende sind die derzeit auf dem Rettungsschiff der Dresdner Organisation „Mission Lifeline“ ausharrenden mehr als 220 Geretteten. Mit dem Verbot, in Malta an Land gehen zu dürfen, wird ihnen die notwendige medizinische Versorgung verweigert.

Von dem generellen Anlegeverbot betroffen, ohne Schiffbrüchige an Bord zu haben, sollen aber derzeit sowohl die „Aquarius“ wie auch der Rettungskreuzer der spanischen Organisation „Proactiva Open Arms“ sein. Obwohl die maltesische Regierung eine derartige Weisung bestreitet: Die Unsicherheit betrifft jetzt die Logistik der im Mittelmeer operierenden humanitären Hilfsgesellschaften.

Betroffen ist auch die kommerzielle Schifffahrt

Aber nicht nur NROs werden behindert. Den Umweg nach Valencia musste zusammen mit der „Aquarius“ das italienische Küstenwacheschiff „Dattilo“ fahren, das 274 Gerettete an Bord an Bord hatte. Beide wurden von dem italienischen Kriegsschiff „Orione“ eskortiert, das ebenfalls mehr als 200 Gerettete an Bord hatte.

Dass das kein Einzelfall war, beweist das Schicksal des gleichfalls zur italienischen Küstenwache gehörenden Seenotrettungskreuzers „Diciotti“. Obwohl seine Mission in den Gewässern vor Malta der Rettungsleitstelle (Mrcc) in Rom bekannt war und das Schiff von verschiedenen Kauffahrern (u.a. dem US-amerikanischen Frachter „Trenton“) angelaufen worden war, um mehr als 500 Gerettete über zu setzen, wurde von den italienischen Behörden dem Kreuzer die Einfahrt in den Hafen von Pozzallo/Sizilien drei Tage lang verwehrt.

Auch die kommerzielle Schifffahrt ist mittlerweile betroffen. Jüngstes Beispiel ist das Containerschiff „Alexander Maersk“ mit mehr als 100 Geretteten an Bord. Seit Freitag ankert der Frachter vor Pozzallo, weil ihm die Einfahrt in den Hafen verwehrt wird. Laut Presseberichten hat der Kapitän des Schiffes in einem offenen Brief den lokalen Behörden für ihre Bemühungen gedankt und angefügt, er wisse, dass die Situation alleine von Rom abhänge.

Das Ziel, italienische Häfen vollständig für Retter und Gerettete zu schließen, gipfelte vergangenen Freitag in einer „technisch-operativen Rundmitteilung“ der Seenotrettungszentrale (Mrcc) der italienischen Küstenwache in Rom „an alle Schiffe, die sich zum Zeitpunkt eines Unglücksfalles in libyscher Zone befinden“: „Schiffsführer, die sich in der Gewässerzone vor Libyen befinden, müssen sich im Notfall im Sinne der Solas-Konvention (Safety of life at sea) ab sofort an das Zentrum in Tripolis und die libysche Küstenwache wenden, um Hilfe anzufordern“.

Rom koordiniert den Einsatz der „libyschen Küstenwacht“

Tatsächlich werden seit Sonntag alle Notfälle in der libyschen „SAR-Zone“ vom Mrcc Rom auf die sogenannte libysche Küstenwache übertragen. Als Aufpasser und Verbindungsschiff wird dabei das italienische Kriegsschiff „Capreraeingesetzt, für dessen Bemühungen sich der Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium Raffele Volpi (Lega Nord) öffentlich via Twitter bedankte. Über eine eigene, funktionierende Seenotrettungszentrale verfügt Libyen bis heute nicht.

Entscheidend aber ist, dass der arabische Staat keinen „sicheren Ort“ (place of safety) darstellt, wie es die internationalen Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS) und zur Seenotrettung (SAR) verpflichtend vorschreiben: „(W)o das Leben der Überlebenden nicht mehr bedroht ist und ihren grundlegenden Bedürfnissen (wie Nahrung, Schutz und medizinische Versorgung) entsprochen werden kann“.

Mehrfach haben UNO, UNHCR und Menschenrechtsorganisationen darauf hingewiesen, dass die Rückschubung nach Libyen einen schweren Verstoß gegen internationales Recht darstellt. Entsprechendes hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil im März 2012 in der Sache Hirsi Jamaa gegen Italien festgestellt.

Daran ändert die jetzige Politik der Regierung in Italien, den Zugriff libyscher Soldateska auf Flüchtlinge zu fördern, nichts: Aus unmittelbaren werden in Rom lediglich mittelbare Täter. Die Menschenrechtsverletzungen bleiben die gleichen.

[Update, 26.6., 09:30 – In der Nacht auf heute, um Mitternacht, wurde der Alexander Maersk erlaubt, in Pozzallo festzumachen. Die an Bord befindlichen über 100 Flüchtlinge durften an Land und werden u.a. vom Roten Kreuz und von UNHCRs betreut.]

[Update, 26.6., 11:30 – Soeben vermeldet die Organisation „SOS Mediterannée“ per Twitter, dass ihr Schiff „Aquarius“ für den vorgesehenen Crew-Wechsel und die Aufnahme von Proviant und Treibstoff die Erlaubnis zur Einfahrt in das Gewässer von Malta und in den Hafen von La Valletta verweigert worden sei. Das Schiff fahre nun Richtung Norden „auf der Suche nach einer Lösung“.]

[Update, 26.6., 16:30 – Mission Lifeline vermeldet, dass ihr Schiff nach 5 Tagen und den sich an Bord rapide verschlechternden vor allem gesundheitlichen Bedingungen die Erlaubnis erhalten hat, in La Valletta festzumachen.]

[Update, 28.6., 10:00Gestern am späten Nachmittag hat die „Lifeline“ Erlaubnis erhalten und gegen 19:30 MESZ in Valletta festgemacht. Die Flüchtlinge wurden von Bord gelassen, medizinisch versorgt und die Prozedur zur Zuerkennung eines Schutzstatus‘ eingeleitet. Medien berichten, dass der Kapitän des Schiffes von den maltesischen Polizeibehörden vernommen worden sei. Er sei inzwischen wieder an Bord der „Lifeline“ zurückgekehrt. Die Anlandung wurde von der Bereitschaft von 8 EU-Staaten ermöglicht, anteilig Flüchtlinge von Bord der „Lifeline“ aufzunehmen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat trotz Bereiterklärung deutscher Städte wie Berlin und Kiel für Deutschland eine Aufnahme kategorisch abgelehnt.]

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Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

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