Das Problem löst sich mit Links

Wie AfD vertreiben? Die aktuelle politische Debatte um den Erfolg der AfD geht in eine völlig falsche Richtung und missachtet die traurige politische Wirklichkeit. Eine Meinung

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Im Jahr 2014 hat endlich auch die Bundesrepublik Deutschland ihre etablierten Rechtspopulisten bekommen. Die sogenannte Alternative für Deutschland zog ohne große Probleme, ohne echtes Programm und ohne wirkliche politische Talente in die Landesparlamente von Sachsen, Brandenburg und Thüringen ein. Die Republik gibt sich entsetzt und schreibt, lästert, fingerzeigt auf die AfD als gäbe es kein Morgen. Es wird analysiert, sich empört und es werden mögliche Folgen aufgezeigt.

Doch wenn man dieser Tage ganz genau hinliest, die Zeilen der Tageszeitungen verschwimmen lässt, bis nur noch das Weiße dazwischen mit dem grauen Rand einst klarer schwarzer Lettern übrig bleibt – dann, ja dann dämmert es. Eigentlich können wir ja noch ganz froh sein, steht da. Wir haben ja immerhin keine Le Pen-Partei, keine Lega Nord bekommen, und Bernd Lucke ist ja nun auch weit entfernt von dem gefährlichen charismatischen Auftreten eines Geert Wilders. Da steht dann in großen fetten Buchstaben: Die CDU muss jetzt nur reagieren und die AfD mitregieren lassen, dann geht alles vorbei.

Ich habe selten so eine widerliche feiste Behäbigkeit des politischen Establishments erlebt wie in solchen Aussagen. In Wahrheit, das machen all die Berichte und Analysen deutlich, hat man sich mit der braunen Soße in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft längst arrangiert und schaut stur und ohne nachzudenken nach Vorn. Zur Erinnerung: Als das letzte Mal CDU und SPD auf eine erstarkende rechte Partei zugegangen sind um sie zu schwächen, hat Deutschland sein Asylgesetz quasi abgeschafft. Welche Vorteile das hatte, sehen wir jetzt.

Wenn wir jetzt also, nachdem immer mehr Mitglieder der AfD wegen des massiven, gewollten Rechtsruckes der Partei austreten, in den Zeitungen von "Eurorebellen" und "Währungskritikern" lesen, dann sehen wir wie ein weiteres Mal der rote Teppich nach rechts ausgerollt wird. Uns muss klar sein, dass wir die AfD nicht entzaubern können, wenn wir ihr auch nur einen Millimeter öffentlicher Debatte gönnen.

Den Verantwortungslosen Verantwortung geben.

Die Rufe nach einer Regierungsbeteiligung und die Argumentation sind mir als Mitglied einer ehemaligen Hype-Protest-Partei nicht neu. Auch bei den Piratenerfolgen wurde Merkel damals vorgeworfen, sie nicht ignorieren zu dürfen. Es kamen Vorschläge, die neue Partei in die Verantwortung zu nehmen, damit man sie los wird, weil man ihr unterstellte, nicht so handlungs- und leidensfähig zu sein wie ihre seit Jahren etablierte Konkurrenz. Eine schlüssige These auch für die AfD, gäbe es da nicht einen fundamentalen Unterschied.

Die AfD ist im Gegensatz zu den Piraten von 2011 schon inhaltlich vollständig auf Verantwortungslosigkeit getrimmt. Von der absurden und platten Eurokritik über das Wettern gegen Abtreibung und sexuelle Selbstbestimmung bis hin zu völlig bescheuerten Aussagen zur Außenpolitik regiert in der AfD nur die Demagogie. Es ist überhaupt nicht ihr Anspruch, verantwortlich für eine gesellschaftliche Reform zu arbeiten oder einen Status Quo zu verwalten. Eine Regierungsbeteiligung hätte einen verstärkenden Effekt auf diese Verantwortungslosigkeit. Natürlich können Sachsen, Thüringen und Brandenburg nicht allein aus dem Euro aussteigen, aber sie können europäische Fördermittel wegkürzen, soziale Einrichtungen schließen, Flüchtlinge weiter ausgrenzen und noch unmenschlicher behandeln und bei der Sprachförderung für Migrantinnen und Migranten Einsparungen betreiben. Das passt in das Konzept der AfD genauso wie das der austeritären CDU. Wer in so einer Situation glaubt, dass die AfD bei ihren Wählerinnen oder Wählern Zustimmung verliert oder sich auch nur einen Deut um eine innerparteiliche konstruktive Debatte bemüht, der hat in den letzten Monaten nicht hingehört, wenn Kandidierende dieser Partei den Mund aufmachten.

Auch ein möglicher öffentlicher Druck auf die Partei hätte höchst wahrscheinlich wenig Einfluss auf die Zustimmungsfähigkeit im eigenen Klientel. Die AfD hat sich nicht erst in den letzten Wahlkämpfen explizit mit dem Feinbild der so genannten Systemmedien profiliert. Eine kritische Auseinandersetzung mit mangelhafter parlamentarischer Arbeit oder der argumentativen Unzulänglichkeit ihrer Mitglieder wäre nichts anderes als Wasser auf die Mühlen dieses Feinbildes.

Szenenwechsel: Brandenburger Tor

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat zu einer Kundgebung gegen Judenhass aufgerufen und natürlich – es ist gottseidank immer noch staatsbürgerliche Pflicht – kamen Ministerinnen und Minister, Fraktionsvertreter aus Bund und Ländern, kirchliche Würdenträger und sonstige Prominente, um "ein Zeichen zu setzen". So saßen ein paar hundert geladene Gäste bei einer Demo mit dem Motto "Steh auf!" in einem abgesperrten Bereich vor der Bühne und lauschten den Beteuerungen und Aufrufen zum Kampf gegen Judenhass in Deutschland. Im Hintergrund hatten sich ein paar tausend Menschen stehend positioniert. Fast zwangsläufig drängte sich der Vergleich mit den jubelnden, fahnenschwenkenden schwarz-rot-goldenen Massen zur Weltmeisterschaftsfeier an der selben Stelle auf. Dort waren Zehntausende gekommen, um dem neu gewonnen Nationalstolz aus Anlass der Fussballweltmeisterschaft eine Siegesparade zu geben. Kontrastreicher hätten beide Veranstaltungen nicht ausfallen können. Es ist kein Geheimnis, dass gerade während der nationaltrachtenreichen Zeit der Fussballmeisterschaften vermehrt rassistische und antisemitische Übergriffe stattfinden. Bei einer Kundgebung gegen solche Übergriffe, die von den Betroffenen organisiert werden musste weil es sonst keiner tut, sieht die Beteiligung vergleichsweise schlecht aus. Das spricht Bände.

Die Kanzlerin spricht und alles wird noch ruhiger. Sie reiht sich ein in die Empörung über den "neuen Judenhass" und weist vor allem auf die Verantwortung der "Muslime in Deutschland" hin. Dass Judenhass in Deutschland kein neues Phänomen ist und ein alltägliches Problem ist und war, blendet auch diese Politikerin völlig aus. Sie ruft zum Widerstand gegen Antisemitismus auf. Sie schlägt aber nicht die Brücke zum latenten Rassismus in der Gesellschaft wie ihr Vorredner Klaus Wowereit. Sie redet nicht über die Ursachen für die geschwächte linke Zivilgesellschaft wie die Hassrhetorik ihres Koalitionspartners CSU gegen Einwandernde oder die politisch gewollte Verkrüppelung emanzipatorischer Strukturen durch den Extremismusparagraphen. Kristina Schröder sitzt im Publikum und nickt zufrieden.

Die Kanzlerin redet auch nicht über den NSU und die Unfähigkeit der ach so wehrhaften Demokratie zu verhindern, dass Nazis unschuldige Menschen morden. Das hat ja nichts mit Antisemitismus zu tun, so die Botschaft. Die Wahrheit könnte nicht weiter entfernt liegen. Der Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag, dem Haus in dem die AfD nun mit 12% vertreten sein wird, macht genau das klar. Eine braune Soße quasi. Ein und die selbe Palette an Gründen für das Versagen einer ganzen Gesellschaft.

Das alles spielt keine Rolle bei der Kanzlerin. Das alles spricht sie nicht an. Es drängt sich unweigerlich der Eindruck auf, dass hier die letzte Bastion des politischen Establishments sitzt, die sich kaum noch einzureden vermag, dass der Kampf gegen Ausgrenzung, Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus zur Mitte unserer Gesellschaft gehört. Eine Insel der Gestrigen, die längst resigniert haben vor der Flut aus Hass und Angst, und ihre eigene Verantwortung dafür einfach nicht wahrnehmen wollen.

Ein Schritt nach Links und zwei nach vorn.

Wenn also heute irgendwer schreibt, man könne der AfD und ihren rechten Parolen am besten begegnen, indem "die Mitte" (Claim der CDU) einen Schritt nach rechts macht, ist er oder sie unbedingt zu entlarven. Die Vergangenheit und die Logik zeigen, dass wir genau das Gegenteil tun müssen. Die Mitte muss nach Links rücken, und das am besten geschlossen.

Sollte die ganze Rhetorik der Isolation der Rechten von konservativer Seite ernst gemeint sein, dann müssten gerade die konservativen Kräfte im Land, dann müsste die CDU nach Links wandern. Angst und Ausgrenzung begegnet man nicht mit Zustimmung. Man begegnet Ihnen mit Verständnis und bekämpft die Ursachen. Xenophobie ist Angst vor dem Anderen. Die Konsequenz im Kampf gegen die AfD wäre, das Anderssein willkommen zu heißen und Inklusion zu betreiben. Die Ursache von Sexismus ist der Verlust von Macht in einem patriarchalischen System. Die logische Konsequenz im Kampf gegen Sexismus (gilt für alle Parteien) wäre, das patriarchalische Machtgefüge aufzubrechen. In der Physik erzeugt eine Kraft in den allermeisten Fällen eine gleichgroße Gegenkraft. In der Politik scheint das verlernt worden zu sein. Es wird Zeit, dass wir es wieder lernen. Dann können wir wirklich dafür sorgen, dass den Rechtspopulist*innen der Boden unter den Füßen weggezogen wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Delius

Martin kann Politik und Software. Er kann auch Physik, macht das aber nur selten. Hier ist er Autor zu allem was er für relevant hält.

Martin Delius

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