Die Lösung für den Haushaltsstreit: Zwei Hintertüren, um die Schuldenbremse zu umgehen

Ausgetrickst Die Ampel streitet über den Bundeshaushalt für das Jahr 2025. Statt staatlicher Sparpolitik à la Christian Lindner bräuchte Deutschland aber ein waschechtes Konjunkturpaket. Maurice Höfgen weiß, wo die Milliarden dafür herkommen könnten
Ausgabe 19/2024
Will die Schuldenbremse nicht reformieren: Finanzminister Christian Lindner (FDP)
Will die Schuldenbremse nicht reformieren: Finanzminister Christian Lindner (FDP)

Foto: Christoph Hardt/Panama Pictures/picture alliance

Die Ampel streitet, schon wieder. Und zwar übers Geld, schon wieder. Eigentlich hatte Finanzminister Christian Lindner (FDP) sich mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) darauf geeinigt, den Ministern eine Obergrenze für den neuen Haushalt vorzugeben. Bis zum Donnerstag letzter Woche hatten die Minister Zeit, ihren Budgetvorschlag einzureichen. Wer über die Obergrenze hinaus gehe, „muss mir schon sehr gute Argumente vortragen, dass ich die Vereinbarung, die ich mit Herrn Scholz und Herrn Habeck habe, da auflöse“, warnte Lindner kurz vor Fristende in der ZDF-Sendung Maybrit Illner.

Die Sparvorgabe für den Gesamthaushalt hat es in sich: mehr als 20 Milliarden Euro. Das abgekartete Spiel wollten offenbar nicht alle aus der Koalition mitspielen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zum Beispiel sollte eine Milliarde sparen, hat aber 2,3 Milliarden Euro mehr angemeldet als vorgesehen. Ansonsten drohten Kürzungen bei der humanitären Hilfe für Krisengebiete wie den Nahen Osten oder die Ukraine. Der Rotstift sollte auch bei Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) angesetzt werden. Ihr Budget sollte sogar gleich um zwei Milliarden gekürzt werden, ein Minus von rund 20 Prozent. Doch auch sie meldete 2,3 Milliarden Euro mehr als vorgesehen. Verschont vom Rotstift soll einzig das Budget von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sein. Der soll allerdings auch 6,5 Milliarden Euro mehr fordern als letztes Jahr. Knackpunkt: Zusammen mit den Investitionen will die Ampelregierung unbedingt auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung kommen, um die NATO-Quote zu erfüllen. Zusammengefasst: mehr Geld für Waffen, weniger Geld für humanitäre Hilfe.

Doch während der große Ampel-Streit ums Erbsenzählen erst beginnt, lohnt sich, etwas herauszuzoomen.

Die Wirtschaft kriselt. Noch immer. Erst Corona-Pandemie, dann Krieg: Deutschland ist im fünften Krisenjahr. Lediglich 0,3 Prozent Wachstum erwartet Wirtschaftsminister Habeck für 2024. Während in deutschen Talkshows in der Regel abwandernde Unternehmen als Krisenindikator genommen werden, wird ein viel wichtigerer Indikator vernachlässigt: die Nachfrage. Ein Blick auf die Zahlen verrät: Es herrscht Konsumflaute. Der Umsatz im Lebensmitteleinzelhandel liegt inflationsbereinigt auf dem Niveau von 2016, oder fünf Prozent unter dem Vor-Corona-Niveau. In der Gastronomie liegt der Umsatz sogar 15,7 Prozent unter dem Vor-Corona-Niveau. Die Konsumausgaben insgesamt liegen inflationsbereinigt noch immer zwei Prozent unter dem Niveau von Ende 2019. Der Grund: Die Preise sind schneller gestiegen als die Löhne, das hat die Kaufkraft angefressen. Derweil hat die Ampel nicht nur voreilig die Preisbremsen aufgehoben, sondern auch lauter Steuern und Abgaben erhöht – und so noch mehr Kaufkraft zerstört. Zuletzt etwa die Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastro sowie auf Gas und Fernwärme.

Das ist der Grund, warum die spanische Wirtschaft um zwei Prozent wächst

Statt staatlicher Sparpolitik bräuchte Deutschland also ein waschechtes Konjunkturpaket. Damit die Menschen mehr Geld in die Geschäfte tragen. Zum Beispiel, indem die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel gestrichen wird. Spanien hat das gemacht. Spanien hat sich auch mehr Neuverschuldung getraut als Deutschland. Und siehe da: In Spanien gibt’s wieder Konsum und mehr als zwei Prozent Wachstum!

Einem Konjunkturpaket steht allerdings die Schuldenbremse im Weg. Selbst die Chefetage von IWF und OECD raten Deutschland mittlerweile zur Reform. Doch weder die CDU noch Finanzminister Lindner scheinen dazu gewillt. Doch zwei kleine Hintertüren gibt es. Die erste Hintertür ist die „Notlagenklausel“. Putins Krieg tobt noch immer, wenige Flugstunden von Berlin entfernt, auf europäischem Boden. Zweistellige Milliardensummen sind dafür eingeplant: für Waffen, für Finanzhilfen, für die Aufnahme von Geflüchteten. Natürlich ist das eine Notlage, auch schon dieses Jahr. Die Ampel könnte also eine etwaige Sommeroffensive Putins nutzen, um mit Kanzlermehrheit die „Notlagenklausel“ der Schuldenbremse zu aktivieren und so höhere Verteidigungsausgaben und Hilfen für die Ukraine zu finanzieren. So würde für Spardruck in anderen Ressorts reduziert.

Die zweite Hintertür sind technokratische Kniffe an der Schuldenbremse. Zum Beispiel, indem die Verbuchung von Zinskosten so geändert wird, dass Verluste aus dem Verkauf von Anleihen über die Laufzeit gestreckt werden – und die Zinskosten 2025 kleiner ausfallen. Allein diese Änderung hätte letztes Jahr 17 Milliarden Euro ausgemacht, wie das Finanzministerium neulich auf Anfrage der Linkspartei zugestanden hat.

Ein anderer Kniff: Die Konjunkturkomponente der Schuldenbremse mit einer neuen Berechnung versehen, damit in Krisenzeiten auch unter der Schuldenbremse mehr Schulden möglich werden. Auch das könnte bis zu 20 Milliarden Euro an Spielraum bringen. Der Vorteil: Solche Änderungen sind einfachgesetzlich möglich, die Ampel braucht also nicht die Stimmen der Union.

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