Anti-Mafia-Journalist Roberto Saviano im Gespräch: „Warum ich weiterschreibe? Vendetta“
Interview Roberto Saviano entlarvt seit 20 Jahren die Strukturen der Mafia. Nun hat er einen Roman über den legendären Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone aus Palermo geschrieben. Wie hat der Kampf gegen die Mafia sich seit den 90ern verändert?
„Das Schicksal, alle gegen sich zu haben, teile ich mit Falcone“, sagt der Schriftsteller Roberto Saviano
Foto: Roberto Salomone/Guardian/Eyevine/Laif
Gerade sei er in Rom, sagt Roberto Saviano und zieht an einer Zigarre. Er sitzt vor dem Bildschirm in einem hellen Apartment, es sieht bewohnt aus, an der Wand hängen Bilder. Seit 2006 Savianos Bestseller Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra erschien, lebt er nach Morddrohungen an wechselnden Orten unter permanentem Personenschutz.
der Freitag: Herr Saviano, Sie machen Giovanni Falcone, den Anti-Mafia-Richter, zu einem Romanhelden? Warum?
Roberto Saviano: Er jagte die Mafia und ist selbst zum Gejagten geworden. Er war ein anständiger Mensch. Ich wollte über Falcone schreiben, weil er wichtig für meine intellektuelle und kulturelle Entwicklung war. Und weil das Thema Mafia in Europa verschwunden ist.
Als Giovanni Falcone im Mai 1992 durch eine Sprengstoffexplosion auf d
Und weil das Thema Mafia in Europa verschwunden ist.Als Giovanni Falcone im Mai 1992 durch eine Sprengstoffexplosion auf der Autobahn ums Leben kam, da waren Sie noch ein Kind. Können Sie sich an den Tag erinnern?Ich erinnere mich an den Schrecken in den Gesichtern meiner Familie. Die Angst meiner Mutter und meiner Tante hat mich sehr getroffen. Die Stille auf der Straße. Ich bin in einer Umgebung aufgewachsen, wo die Camorra sehr stark ist. Alle in Neapel fragten sich damals: Was wird jetzt passieren? Was kommt als Nächstes? Ihr Buch spielt im Palermo der 70er, 80er Jahre. Es ist beklemmend und dokumentiert die Sisyphosarbeit der Anti-Mafia-Richter. Mit wem konnten Sie in Palermo noch über diese Zeit reden?Es leben ja noch einige aus dem „Pool“: Giuseppe Ayala, Leonardo Guarnotta.Der „Anti-Mafia-Pool“ wurde Ende der 70er in Palermo gegründet, auch Paolo Borsellino gehörte dazu, Falcones Freund, der kurz darauf ebenfalls in die Luft gesprengt wurde.Diese Richter wollten zeigen, dass alles miteinander verbunden ist: Mafia, Wirtschaft, Politik. Falcone ging selbst zum Bankdirektor und forderte die Dokumente, die Geldwäsche durch öffentliche Bauaufträge nachweisen. Sie wollten die zentralisierte Struktur der Mafia aufdecken. Natürlich traf ich auch Leoluca Orlando, der 22 Jahre lang Palermos Bürgermeister war – und Falcones Trauzeuge.Warum gab es in Italien vorher kein Bewusstsein, dass die Mafia so verzweigt ist?Früher ging man einfach nur von Banden, einzelnen Gruppen aus. Die Richter mussten erst mal zeigen, dass es sich um eine reale Organisation handelte. Und es war das Ziel von Rocco Chinnici, Falcones Chef, eine organisierte Justiz aufzubauen. Er sagte: Das Verbrechen ist organisiert, also muss die Justiz es auch sein. Das war riskant. 1982 verabschiedete das italienische Parlament schließlich ein erstes Gesetz, das die Mafia als kriminelle Vereinigung definiert und deren Mitglieder mit Gefängnisstrafen sanktioniert. Chinnici wurde dann 1983 mit einer Autobombe getötet.Sie selbst wirken wie ein Einzelkämpfer. Oder haben auch Sie Ihren Pool?Ich habe meine Quellen. Und meine Leser:innen überall auf der Welt, Menschen, die mir in den sozialen Netzwerken folgen, die solidarisch sind. Aber ich fühle mich einsam. In meinem eigenen Land sind viele Menschen gegen mich, denken, ich profitiere vom Leid und dem Mafia-Thema.Als 1986 der erste und größte Maxi-Prozess gegen die Cosa Nostra in Palermo begann, musste er in einem raketensicheren Bunker abgehalten werden.Falcone hatte einen Mafioso nach dessen Verhaftung dazu gebracht, die „omertà“, zu brechen, das Gesetz des Schweigens. Er legte die gesamte Struktur der Mafia offen. Es war bis heute der heftigste Schlag, welcher der Mafia jemals zugefügt wurde. Auf der Anklagebank saßen auch hohe Staatsminister Italiens.So wurde Falcone zur Ikone. Aber aus den eigenen Reihen wurde er attackiert. Warum?Nach dem Maxi-Prozess wollten sie ihn diskreditieren: Kollegen, Chefs, Institutionen. Er war ein Held und wurde ein verhasster Mann. Sogar bei Journalisten. Diese Art des Umgangs ist in Italien weitverbreitet. Der Neid. Wenn Sie berühmt sind, versuchen Ihre Rivalen mit aller Kraft, Ihnen die Glaubwürdigkeit zu nehmen. Bei Falcone waren es die Kollegen aus der Richterschaft. Die waren nicht korrupt, sondern konkurrierten mit ihm und wollten ihn verunglimpfen. Erinnern Sie sich an die Geschichte von Addaura im Buch?Ja, Falcone hatte an diesem Ort ein Ferienhaus. Er war mit seiner Frau Francesca schwimmen, als Sicherheitsleute am Strand eine Tasche mit Sprengstoff fanden.Und niemand hat geglaubt, dass die von der Cosa Nostra dort deponiert wurde. Fast jeder unterstellte Falcone damals, er hätte sie selbst dort platziert. Auch seine Freunde. Sogar Journalisten schrieben das.Und aus welchem Grund?Weil die Cosa Nostra solche Sachen früher nicht gemacht hat. Die Cosa Nostra warnt dich, aber nicht mit einer Bombe. Sie zündet die Bombe – oder warnt auf andere Weise. Das dachten alle. Nach 20 Jahren Beschäftigung mit diesen Dingen weiß ich, dass diese Mafia das und noch viel lächerlichere Dinge tut. Falcone war verzweifelt, weil ihm nicht geglaubt wurde. Das hat ihn zerrissen.Falcone glaubte aber, er könne noch mehr erreichen. Was war sein Antrieb?Er wollte seine Arbeit „beenden“, er kandidierte für das Amt des Untersuchungsrichters in Palermo. Sie ließen ihn durchfallen. Er wollte nationaler Anti-Mafia-Staatsanwalt werden. Und sie ließen ihn wieder durchfallen. Der Maxi-Prozess war eine Revolution im Weltrecht, die Jahre danach waren ein langsamer Rückfall.Was meinen Sie mit „Rückfall“?Der Staat hat Angst, die Politik und die Zivilgesellschaft hatten Angst, dass das wirtschaftliche und politische System mit seinen Regeln einbrechen würde, wenn man die kriminellen Organisationen verurteilt, die in dieser Zeit hegemonial waren. Also versuchten sie, diese Untersuchungen zu blockieren.Sie schildern Falcone auch als Bonvivant, ein starker Raucher, der Sardellen mochte, Grappa, Musik.Er ging gerne rudern. Er liebte das Meer. Die Leute haben mir von ihm erzählt, ich habe in meinem Buch ja nichts erfunden. Manchmal musste ich mich nur für eine Version entscheiden. Falcone lachte gern. Und er liebte den Karneval. Einmal hat er sich als Tarzan verkleidet, einmal als Riesenbaby, mit Nuckel und Windeln. Er war voller Lebenswillen und oft zu Scherzen aufgelegt. Er glaubte auch nicht, dass die Ermittlungen mit Sicherheit in den Tod führen würden. Selbst an jenem Tag 1992, als der Sprengstoff ihn zerfetzte und die Autobahn als riesigen Krater hinterließ, da war Falcone 53. Und ahnte nicht, dass er sterben würde. Sonst hätte er seine Frau Francesca niemals im Auto mitgenommen. Er dachte, dass die Dinge gerade gut laufen, weil ihm der Justizminister Claudio Martelli einen Posten im Ministerium und den Freiraum gegeben hat, den er brauchte, um die Mafia zu bekämpfen.Die Gesetze und Mechanismen, die Falcone eingeführt hat, die gibt es in Italien noch, oder?Ja, aber es reicht niemals aus, weil die Mafia sich ständig weiterentwickelt. Das ermöglicht ihr, neue Geschäfte zu machen, liquide zu sein, ihre Zellen auszurüsten. Es ist eine europäische Mafia.Die Mafia ist heute unsichtbarer, sie führt keinen offenen Krieg mehr.Inzwischen sind die Camorra und ’Ndrangheta stärker als die Cosa Nostra. Gerade in Europa. Schweden hat die höchste Zahl von Todesfällen durch Organisierte Kriminalität in Europa. Weder Italien noch Montenegro oder Albanien: Schweden! Doch niemand redet darüber.Was wissen Sie über die Mafia in Deutschland?Deutschland ist das Land mit einer gigantischen Geldwäsche. Es gibt bei euch nicht nur die italienische Mafia, die ’Ndrangheta, es gibt alle Sorten Mafia: rumänische, bulgarische, serbische, moldawische. Und die deutschen Banken sind ihre bevorzugten Ansprechpartner. Koks in Berlin wird von italienischen und slawischen Kartellen organisiert, Tonnen von Heroin kommen am Hamburger Hafen an und es entstehen Hotels, Wohnhäuser, Transportwege. Aber Wirtschaftskriminalität wird kaum untersucht, es fehlen die Instrumente. Und wenn mal ein Anschlag geschieht, passen alle auf, dieses El Dorado, das Deutschland für die Mafia ist, zu erhalten. Journalisten, die versuchen, das System dahinter aufzudecken, bekommen in den Medien immer weniger Raum.Die RAI, der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Italien, hat Ihre Sendung „Insider“ ohne Begründung abgesetzt.Ja, sie war bereits aufgezeichnet. Mir wurde nicht gesagt, was ich falsch gemacht habe, mir wurde gar nichts gesagt. Es war der ausdrückliche Wunsch der Regierung. Sie wollen nicht, dass ich über die Mafia rede, ehemalige Mitglieder der Cosa Nostra interviewe, die nun der Justiz helfen. Nationalisten und Populisten hassen mich dafür, weil ich aus ihrer Sicht das Land diffamiere.Sie sagten mal, dass Sie seit „Gomorrha“ in der Vorhölle leben. Immer bewacht und an wechselnden Wohnorten, immer auf dem Sprung. Ähnlich wie Falcone.Natürlich kann man unsere Leben nicht vergleichen. Aber wir teilen das Schicksal, alle gegen uns zu haben. Es ist schwer auszuhalten. Der Satz, den ich in Italien am häufigsten gehört habe, war: Wenn die Mafia ihm wirklich etwas Böses antun wollte, dann hätte sie es schon getan.Sie schreiben trotzdem weiter. Warum?Vendetta.Rache? An wem wollen Sie sich denn rächen?Auch mir tut dieses Wort weh. Aber ich glaube nicht mehr, dass ich mit Büchern irgendwas ändern kann. Ich träume davon, es so zu machen wie „Der Graf von Monte Christo“: zurückkehren und mich an all jenen rächen, die mein Leben ruiniert haben. Journalisten, Politiker, dieser menschliche Wust aus Neid und Wut. Sie haben mich alleingelassen, als ich ein Junge von 26 Jahren war. Jetzt bin ich 44 und existiere noch. Ich übe weiter Druck aus, bin hinter ihnen her. Und ich sollte mich so wenig wie möglich in Italien aufhalten.Wie können Sie abschalten?Ich gehe ins Fitnessstudio und trainiere zu Hause (er zeigt seinen Hometrainer). Ich versuche, ein so normales Leben wie möglich zu führen, das nicht von Disziplin, Sicherheit und Angst erstickt wird. Ich habe versucht, meine Lektion von Falcone zu lernen: Ich habe keine Angst zu sterben, nur davor, so weiterzuleben wie bisher.Placeholder infobox-1
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