GDL-Streik bei der Bahn: Geld für Boni ist da, aber nicht für faire Löhne
Zugfahren Nicht die Forderung der Lokführer-Gewerkschaft GDL nach mehr Lohn und weniger Arbeitszeit ist maßlos – sondern das Boni-System für Bahn-Manager und der Kurs der Politik. Claus Weselsky hat recht: Es ist Zeit, das zu ändern
Ob Unpünktlichkeit oder Personalmangel, es gibt derzeit viele Baustellen bei der Bahn – dabei ist eines sicher: Schuld sind nicht die Lokführer
Foto: picture alliance/dpa/Christoph Soeder
Den großen Streik wollte die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) in der Vorweihnachtszeit nicht führen. Von einem „Aktionskomitee Bahn“ wird sie dafür kritisiert: Sie führe den Kampf lau, um dem Unternehmen Deutsche Bahn das Geschäft nicht zu vermasseln. Der GDL ist diese Art Kritik vertraut genug, denn sie kritisiert ihrerseits den DGB dafür, zu sehr auf die Politik Rücksicht zu nehmen, und hat sich deshalb vom Prinzip der Einheitsgewerkschaft verabschiedet. Und so geht es weiter: Die Politik kritisiert sich selbst aus demselben Grund – die Grünen werfen der FDP vor, zu viel Rücksicht auf die Haushaltssperre zu nehmen, der Linkspartei zufolge weichen die Grünen zu sehr vor der FDP zurück, und eine Wagen
lge weichen die Grünen zu sehr vor der FDP zurück, und eine Wagenknecht-Partei wird gegründet, weil die Linke, sagt sie, sich den Grünen an den Hals werfe.Die GDL verdient solche Kritik nicht, so wenig wie umgekehrt die „Letzte Generation“. Umgekehrt deshalb, weil die „Letzte Generation“ die Menschen nur verärgert, während die GDL sie auch schont. Gut ist beides, denn es macht einen Unterschied, ob man Autofahrten behindert oder Bahnkunden die Weihnachtsfreude nimmt. Das Auto ist nun einmal viel klimaschädlicher als die Bahn. Die Bahn müsste ausgebaut, nicht bloß saniert werden, das geschieht aber nur, wenn vom Großteil der Bevölkerung, also von den Autofahrenden, der Druck auf die Politik ausgeht: Das ist die Botschaft der Klimakleber.Bahn-Pünktlichkeit und Manager-BoniDie GDL kann und soll nur den Bahnvorstand bedrängen. Der verdient alle Kritik. Vor ein paar Wochen wurden die neuesten Zahlen zur Unpünktlichkeit der Bahn bekannt: Im Oktober hatten 58,6 Prozent der Zughalte weniger als sechs Minuten Verspätung, waren in diesem Sinn pünktlich – nicht viel mehr als die Hälfte. In den zehn Monaten seit Januar waren es 66 Prozent. In diese Zeit fällt, dass der Bahnvorstand das Kriterium Pünktlichkeit gestrichen hatte, um sich weiter hohe Boni zusprechen zu können. Er musste das zurücknehmen, als es publik wurde. Kein Problem, denn Kompensation zu schaffen ist leicht: null Prozent Pünktlichkeit, so rechnet er jetzt, aber ein Prozent mehr Frauen in Führungspositionen, also zweihundert Prozent mehr Prämie. Trotz aller Fehler und Probleme: Der Bahnvorstand bekommt fünf Millionen Euro Bonusgelder ausgezahlt.Warum rückt die Pünktlichkeit in immer weitere Ferne (vor zwei Jahren lag sie noch bei 75 Prozent)? Weil es zu viele Baustellen gibt, aber auch zu wenig Wagen und zu wenig Personal. Und alles wirkt zusammen, daher wird das Personal noch durch Krankheit reduziert, so die Zugbegleiter, denn an ihnen lassen die Bahnkunden ihren Frust aus, wenn zu kurze Züge überfüllt sind. Und was ist für alles der Grund? Dass die Bahn sich kaputtgespart hat. Sie blieb zwar Staatseigentum, anders als die Post, wurde aber insofern doch privatisiert, als sie sich auf Gewinnsteigerung und Kostenminimierung zu orientieren hatte. Deshalb organisieren die Reisebüros seit Anfang dieses Jahres nur noch Flüge. Die Vermittlung von Bahnfahrten wird ihnen von der Bahn nicht mehr vergütet.Unter all diesen Skandalen leiden am meisten die Lokomotivführer. Sie arbeiten im Schichtdienst, und es kommt vor, dass zwischen zwei Schichten nur neun Stunden liegen. „Manchmal arbeiten wir so über 50 Stunden am Stück“, sagt ein Gewerkschafter. Die GDL ist wahrlich bescheiden, wenn sie, um die Belastung zu mildern, nur fordert, die Arbeitszeit für Schichtarbeiter müsse von 38 auf 35 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich gesenkt werden – nicht von heute auf morgen, sondern schrittweise. Doch darüber will der Bahnvorstand nicht einmal verhandeln, weil dann, wie er sagt, mehr Personal eingestellt werden müsste und dafür das Geld nicht reiche.Die Politik hat die Bahn kaputtgespartFür Boni ja, aber nicht dafür. Die Politik begleitet das auf ihre Weise. Sie hat ja alles verursacht, denn ihretwegen hatte Kaputtsparen den Primat, bis dahin, dass die Infrastruktur der Bahn über viele Jahre nicht instand gehalten wurde. Welch ein Verstoß gegen die ökonomische Vernunft. Aber nicht gegen den politischen Neoliberalismus, der allem zugrunde lag und immer noch liegt. Denn jetzt, wo das Siechtum der Bahn wegen des Haushaltsurteils des Verfassungsgerichts noch krasser zu werden droht, würde die FDP die in Aussicht gestellte Grundsanierung der Bahn am liebsten dadurch retten, dass gesellschaftliche Sozialleistungen gestrichen, keineswegs aber Unternehmenssteuern, die im Neoliberalismus gesenkt worden waren, wieder erhöht werden. Ausbaden sollen es die Lokführer und die Sozialleistungsempfänger:innen.Für das, was geschehen müsste, gibt es die zur Bahn passende Metapher Walter Benjamins: die „Notbremse“ ziehen. Denn die „Katastrophe“, würde er sagen, liegt nicht erst in der Zerstörung von Bahngleisen und der Gesundheit der Arbeitenden, sondern darin schon, dass es „so weitergeht“ – in der Politik. Die Kraft, die bremsen könnte, wenn sie wollte, sind die Grünen. Schade, dass sie eine faktisch FDP-geführte Bundesregierung, mit ihrem lauen Kanzler und einem Oppositionsführer, der die Fahrt in den Abgrund flankiert, nicht sich selbst überlassen, um sich vielmehr mit der Arbeiter:innenklasse zu verbünden. Zum Beispiel mit den Lokführern, die bald streiken werden.
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