Weiter so mit mehr Effizenz?

Europawahl Die Ökologie der Grünen, Teil 1. Diese Partei ist für viele Linke ein Problem. Aber worin besteht dieses Problem eigentlich genau?

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Ska Keller, die Grüne für Europa
Ska Keller, die Grüne für Europa

Foto: Jens Schlueter/Getty Images

In diesem dreiteiligen Text will ich die Grünen kritisieren. Man wird sagen, das geschehe doch eh schon oft genug. Aber ich schließe mich einer gewissen Kritik an den Grünen nicht an. So wenig, dass es mir darum gehen muss, erst einmal zu sagen, wofür sie keine Kritik verdienen. Meine Methode wird sein, dass ich frage: Was täte eine radikalökologische Partei? Die es leider nicht gibt. An ihr werde ich die Grünen messen. Ich messe sie also nicht etwa an der Linkspartei. Wie sich noch zeigen wird, unterscheiden sich Linkspartei und Grüne in ökologischen Belangen nur ganz unwesentlich.

Die radikalökologische Partei, die es nicht gibt, wäre die zeitgemäße kommunistische Partei. Kommunisten streben bekanntlich eine neue, nicht mehr kapitalistische Gesellschaftsordnung an. In ihr wäre negiert, was den Kapitalismus ausmacht. Das heißt, es gäbe kein Kapital mehr, keine Kapitallogik. Was ist Kapitallogik? Marx hat es definiert: „Das Kapital als solches setzt nur einen bestimmten Mehrwert, weil es den unendlichen nicht at once setzen kann; aber es ist die beständige Bewegung, mehr davon zu schaffen.“ Als diese Bewegung, die alle Grenzen zerstört und überschreitet, ist das Kapital unvereinbar mit ökologischen Gleichgewichten, und das ist heute die Hauptsache. Wer heute für ökologische Gleichgewichte kämpft, muss den Kapitalismus angreifen, und ebenso gilt das Umgekehrte: Wer heute den Kapitalismus bekämpfen will, muss dessen antiökologischen Charakter angreifen, denn das ist die konkrete und konkret sichtbare Gestalt, die er heute annimmt.

Was wird den Grünen vorgeworfen? Zum einen dass sie „nicht links“ seien. Jene radikale Partei wäre das aber ebenso wenig. Rechts ist sie natürlich noch weniger, bloßes Linkssein aber wäre ihr zu billig. Kommunisten sind niemals „links“ gewesen. Man denke an Rosa Luxemburg, die dagegen war, mit damaligen Liberalen einen Parlaments-„Block aller Linken“ zu bilden, oder an Lenin, der gegen das britische „System der zwei Parteien der Ausbeuter“ polemisierte. Eine dieser beiden Parteien war die Labourparty, der man das Attribut „links“ ja wohl nicht absprechen wird. Antonio Gramsci hat es theoretisch erklärt: Die Spaltung der Gesellschaft und ihrer Parlamentsvertretung in zwei Hälften, eine rechte und eine linke, ist gerade die Herrschaftsmethode des Kapitals. Es stellt sich auf beide Seiten und spielt sie gegeneinander aus. Divide et impera. Im Nachkriegsdeutschland konnte man das ständig beobachten: CDU und SPD als potentielle Regierungsparteien, das heißt Anführer von „51 Prozent“-Hälften im Parlament, waren beide gleichermaßen Kapitalparteien.

In der Geschichte der kommunistischen Parteien hat es gegen das „System der zwei Parteien“ oder, bei Verhältniswahlrecht, Parteiblöcken selbst wieder zwei Strategien gegeben, die sich nur scheinbar widersprachen. Die eine war, dass Kommunisten die Zusammenarbeit mit beiden kapitalorientierten Blöcken verweigerten. So die KPD in der Weimarer Republik. Die andere bestand darin, dass sie in beide eingriff, ganz wie das Kapital, nur in entgegengesetzter Absicht. Diese letztere Strategie wurde in den 1970er Jahren von Enrico Berlinguer, dem damaligen Chef der KPI, postuliert und erprobt. Sie scheiterte damals daran, dass der christdemokratische Parteiführer Aldo Moro ermordet wurde. Er hatte sich auf Berlinguer eingelassen und das machte gewissen Kreisen offenbar Angst. Das Gemeinsame der Strategien von KPD und KPI liegt darin, dass sie im Parlament einen dritten Block bildeten, statt am Kampf der einen Parlaments- und damit Bevölkerungshälfte gegen die andere teilzunehmen.

Dass Ökologinnen, denen es ernst ist, um einer dritten Sache willen politisch kämpfen, ist heute auch Menschen klar, die mit dem Kommunismus nichts (mehr) zu tun haben. So schreibt Bruno Latour, der namhafte französische Soziologe, in seinem Terrestrischen Manifest: „Die Ökologisten haben versucht, weder rechts noch links, weder rückwärtsgewandt noch progressistisch zu sein. Es ist ihnen dennoch nicht gelungen, sich der vom Zeitpfeil der Modernen gestellten Falle zu entziehen.“ „Tatsächlich lässt sich die Spaltung RECHTS/LINKS auf zweierlei Weise ‚überwinden‘ bzw. ‚aufheben‘. Man kann sich längs des traditionellen Vektors in die Mitte der beiden Pole setzen. Man kann aber auch den Vektor neu definieren und sich an den dritten Attraktor binden [meine Hervorhebung], wodurch die Palette der Positionen LINKS/RECHTS entsprechend einem anderen Gesichtspunkt zwangsläufig neu aufgeteilt werden muss.“ Wohlgemerkt, die „Palette“ verschwindet dann nicht, sondern bleibt, wird aber umstrukturiert. LINKS bleibt so sehr wie es aufhört, es wird „aufgehoben“ im Hegelschen Sinn. Deshalb stellt Latour „die Frage: Warum hat die auf die soziale Frage fokussierte Bewegung sich der ökologischen Themen nicht von Anfang an bemächtigt, als seien es ihre ureigenen? Sie hätten sich auf diese Weise ihrem Los, obsolet zu werden, entziehen und dem noch schwachen Ökologismus tatkräftig beispringen können. Aber auch andersherum gefragt: Warum hat es die politische Ökologie nicht verstanden, die soziale Frage zu übernehmen?

Wer stattdessen derart „links“ ist, dass er oder sie die „soziale Frage“ unabhängig von der ökologischen fokussiert, stellt nicht die vorhandene Gesellschaftsordnung in Frage, sondern fordert ihr nur einen „gesamtgesellschaftlichen Betriebsrat“ ab, wie das führende Sozialdemokraten seit Anfang der 1990er Jahre immer wieder einmal ganz offen und ausdrücklich getan haben. Die Titanic, schon in der Nähe des Eisbergs, soll nicht ohne „Kümmerer“ dampfen. Ich erlaube mir das paradoxe Bild, wohl wissend, dass die Gefahr heute nicht in den Eisbergen liegt, sondern darin dass sie schmelzen. Dann gehen nicht nur Küsten unter, die den Meeresspiegel kaum übersteigen, sondern im Eis war auch Methan gebunden und wird nun freigesetzt, eins der Gase, die das Klimatreibhaus anheizen. Ein „Kippeffekt“ der Klimakatastrophe: Wenn nur der erste Damm bricht, brechen viele andere Dämme gleich mit.

Es ist, um das Bisherige zusammenzufassen, müßig, den Grünen vorzuwerfen, dass sie mal mit der SPD, mal mit der CDU koalieren. Denn eine radikalökologische, ja eine kommunistische Partei würde das auch tun. Müßig auch der Vorwurf, die Grünen seien eine Partei des Mittelstands. Wenn sie ein gutes Programm hätten, würde man es doch nicht wegen der Herkunft derer ablehnen, die es geschrieben haben. Es ist nun mal so, Arbeiterinnen haben bisher weder eine ökologische noch radikalökologische Partei gebildet, und auch keine kommunistische. Aber umgekehrt haben „Kleinbürger“, wie man das früher nannte, schon oft in der Geschichte eine revolutionäre Rolle gespielt. Marx zum Beispiel. Ja wie Rosa Luxemburg 1905 verallgemeinert, hatte das Kleinbürgertum „in allen bisherigen modernen Revolutionen die größte, die führende Rolle“ gespielt. Es „war zweifellos der lebendige Kitt“, fährt sie fort, „der in den europäischen Revolutionen die verschiedensten Schichten zu einer Aktion zusammenschweißte, der in Klassenkämpfen, die ihrem geschichtlichen Inhalt nach Bewegungen der Bourgeoisie waren, als Schöpfer und Träger der notwendigen Fiktion vom gesamten ‚Volke‘ fungierte. Dasselbe Kleinbürgertum war auch der politische, geistige, intellektuelle Erzieher des Proletariats“! Marx selbst hatte am Gothaer Programm der SPD die Formulierung kritisiert, im Verhältnis zur Arbeiterklasse seien „alle andren Klassen nur eine reaktionäre Masse“. „Hat man“, fragt er spitz, „bei den letzten Wahlen Handwerkern, kleinen Industriellen etc. und Bauern zugerufen: Uns gegenüber bildet ihr mit Bourgeois und Feudalen nur eine reaktionäre Masse?“

Bleibt der Vorwurf, die Grünen würden den Kapitalismus nicht angreifen. Das würden Radikalökologen allerdings tun. Die Frage ist nur, wie sie es täten. Qua verbaler Beschimpfung? Auch, vielleicht. Aber darauf käme es nicht an. Entscheidend wäre, dass sie den Kapitalismus in der Sache angriffen. Sie wären sachkundig im Hinblick auf die Tatsachen der Ökologie und würden anhand ihrer aufzeigen, dass ökologische Gleichgewichte mit Kapitallogik unvereinbar sind. Wenn ich jetzt dazu übergehe, die grüne Ökologiepolitik zu kritisieren, wird das die Frage sein: nicht ob sie den Sturz des Kapitals verbal beschwören, sondern was sie zur ökologischen Sache zu sagen haben.

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Am Anfang des grünen Europaprogramms 2019 steht ein ökologisches Kapitel und das beginnt so: „Durch saubere Energiequellen kann eine weitgehende Energieunabhängigkeit erreicht, können Klima und Umwelt geschützt und nachhaltige Jobs geschaffen werden. Das ist unser Ziel. Die gute Nachricht: Alle Lösungen dafür stehen bereit, sie müssen nur angepackt werden!“ Da kommt man schon etwas ins Grübeln. Energieunabhängigkeit ist kein ökologisches Ziel. Wie man weiß, führten die USA schon Kriege, um ihr näher zu kommen, und wird sie heute durch Fracking erreicht, eine auch von den Grünen abgelehnte Fördermethode. Die Grünen sind gegen das deutsch-russische Projekt Nordstream-2, da geht es in der Tat um Energieunabhängigkeit, aber nicht um Ökologie.

Das ist also ein etwas merkwürdiger Einstieg, gelinde gesagt. Der aber natürlich nichts daran ändert, dass es richtig ist, „saubere Energiequellen“ für das andere genannte Ziel, den Schutz von Klima und Umwelt, zu fordern. Gemeint sind „regenerierbare“ Quellen, also Sonne, Wasser und Wind, von denen die Umwelt kaum belastet wird. Die Belastung, um die es geht, ist die CO2-Emission, Hauptfaktor des Treibhauseffekts und damit der Klimakatastrophe. Das mittlere CO2-Äquivalent zum Beispiel von Windkraftanlagen liegt bei 9,4 Gramm CO2 pro Kilowattstunde und das ist wirklich wenig, denn ein Gaskraftwerk kommt auf 350 bis 400, ein Steinkohlekraftwerk gar auf 750 bis 1050 Gramm. Es ist also richtig, die ganze Industrie so schnell wie möglich auf „saubere“ Quellen umzustellen, und wenn das einmal gelungen ist, werden auch noch jene 9,4 Gramm wegfallen, denn sie fallen heute nur deshalb noch an, weil die Herstellung und der Transport von Windkraftanlagen nicht ihrerseits von der Windkraft oder einer anderen regenerierbaren Quelle, vielmehr noch fossil, also durch Verbrennung bewirkt wird; die Wind-, Wasser- und Solarwirtschaft produziert anders gesagt, und mit einem Lieblingsausdruck von Marx, noch nicht auf eigener Grundlage.

Richtig, ja klug ausgedacht ist auch das Folgende: Klimapässe für Bewohnerinnen bedrohter Inselstaaten, völkerrechtliche Ansätze zum Umgang mit klimabedingter Migration, Verteuerung der Entstehung von CO2, Rückgabe dieser Besteuerung an die Menschen in Form eines Energiegeldes als Pro-Kopf-Zahlung. „Schlüssel für weniger Energieverbrauch sind die Bereiche Planen, Bauen und Wohnen“, auch richtig, aber nun zeigt sich schon die Linie, die sie übergreifend verfolgen: Sie fordern den „Umstieg auf eine energieeffiziente Elektromobilität, Digitalisierung, effiziente Produktion und energiesparende Produkte mit einer langen Lebensdauer“. Effizienzsteigerung ist eine von drei in der Wissenschaft diskutierten Strategien, die gegen die Klimakatastrophe zum Einsatz gebracht werden kann oder, besser gesagt, hätte gebracht werden können. Denn es ist schon zu spät, die Katastrophe ist schon eingetreten, inzwischen können die möglichen Strategien nur allenfalls das Ausmaß der Katastrophe noch mitbestimmen.

Eine weitere Strategie wird von den Grünen wenigstens angetippt, nicht Effizienz sondern Suffizenz, was mit „Genügsamkeit“ übersetzt werden kann, das wäre also die Strategie, die Menge der produzierten Güter zu verringern. Warum aber nur angetippt? Es ist klar, die Erwähnung dieses Weges erfüllt eine Alibifunktion. Der Grundgestus ist nachgerade entgegengesetzt. Die Unterkapitel des ökologischen Kapitels sind voll von genauesten Detailvorschlägen, ein paar Beispiel wurden genannt, die immer auf Effizienzsteigerung zielen. Effizienzsteigerung heißt, die Menschen könnten weiter so leben – planen, bauen, wohnen - wie gewohnt, nur würde die dahin führende Produktion mit viel weniger CO2-Emmision auskommen, ja irgendwann gar keine mehr benötigen. Da haben sie, wie zitiert, ihre „gute Nachricht: Alle Lösungen dafür stehen bereit, sie müssen nur angepackt werden!“ Und das klingt so, als würden noch mehr Lösungen gar nicht gebraucht. Dennoch sprechen sie am Ende der Unterkapitel kurz und verschämt auch von der Genügsamkeit. So am Ende des Unterkapitels zur Energie: „Wir wollen Anreize setzen, weniger zu verbrauchen und zu konsumieren.“ Dazu wird aber überhaupt nichts Konkretes gesagt, und in der gleich anschließenden Zusammenfassung mit Spiegelstrichen taucht der Punkt nicht mehr auf.

So auch im Folgenden. Das Unterkapitel „Mobilität“ beginnt zwar mit der Losung „mehr ÖPNV, weniger Autos“, wenn es dann aber ausführlich wird, ist beim Thema Auto von „weniger“ gar keine Rede mehr; „gemeinsam mit der Fahrzeugindustrie“ will man nur all das erreichen, was auch diese Industrie erreichen wollen könnte. In nichts wird sie kritisiert, weil an allem, was auch den Grünen missfällt, nur die Regierungen schuld sein sollen. Als handelten diese Regierungen nicht im Auftrag eben dieser Industrie. Auch hier stehen am Ende Alibisätze. Ein „Förderwettbewerb für Städte und Regionen“ soll „gezielt den Autoverkehr verringern“ – aber wie denn, was könnte man vorschlagen, warum steuern die Grünen nicht selbst einen Vorschlag bei? Und wieder folgt eine Kurzzusammenfassung, in der kein „Förderwettbewerb“ mehr auftaucht. Wir werden sehen, in dieser faktischen Abwendung von der Suffizienzfrage liegt das ganze Problem.

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Zum zweiten Teil hier, zum dritten hier.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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