Wir Abonnenten von Übermedien bekommen sonntags elektronische Post und erfahren dann, was dem Online-Portal aufgefallen ist in der Medienwelt. Journalismus, der Kritik verdient – und manchmal solcher, dem Lob gebührt. Neben der Prüfung von einzelnen Beiträgen ist eine Spezialität von Übermedien die Mustererkennung: Berichten viele über dasselbe Thema, stellen sie es ähnlich dar? Am letzten Sonntag schrieb Übermedien-Gründer Boris Rosenkranz: „Die ,Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung‘ titelt heute ...: ,Was man noch sagen darf‘, und wenn Ihnen das bekannt vorkommt, jupp, das stand auch schon auf der ‚Süddeutschen Zeitung‘, da aber neben einem Kopf, dem der Mund zugeklebt ist ... So ähnlich sieht die ‚Zeit‘ diese Woche aus ... was wiederum so aussieht wie auf der ‚Welt am Sonntag‘ vorige Woche ... Und auf dem aktuellen ‚Spiegel‘ steht groß das Wort ‚Meinungsfreiheit‘, wobei sechs Buchstaben hervorgehoben sind, die zusammen ‚UNFREI‘ ergeben.“ (Dass der Freitag schon im September titelte: Was darf man heute noch sagen?, erwähnt er nicht ...)
Rosenkranz’ Folgerung: „Die große Sorge der AfD, man dürfe nicht mehr alles sagen, ist das mediale Modethema. Ein echter Erfolg. Für die AfD.“ Als Beleg dient, dass die Junge Freiheit ähnlich titelt: ein Kopf, dem der Pssst-Zeigefinger auf den Mund gelegt wurde. Worauf der Übermedien-Mann hier zielt, nennt sich neudeutsch „Framing“. Es meint hier, dass sich fast alle großen deutschen Printmedien an einem Thema abarbeiten, dessen Rahmen die AfD geschreinert hat. Aber manchmal sieht man vor lauter Rahmen das Bild nicht mehr, und so ist Rosenkranz nicht aufgefallen, dass die FAS in eine ähnliche Kerbe haut. „Es sind die Politiker der AfD und anderer rechter Bewegungen“, schreibt Harald Staun im Feuilleton-Aufmacher, „die überall linken Tugendterror und Denkverbote fühlen und unaufhörlich jammern, wenn man ihre Lügen richtigstellt oder ihren Parolen widerspricht“. Richtig: Man denke an Björn Höcke, der sich über „Mobbing“ beschwert (was an sich schon ein Thema für eine Rahmenanalyse wäre), wenn ihm „unangenehme Fragen“ gestellt werden.
Bleiben Umfrageergebnisse: Allensbach sagt, dass 63 Prozent der Deutschen denken, man müsse heute sehr aufpassen, wenn man seine Meinung öffentlich sagt. Klar, dass die AfD das zu ihrem Mantra macht. Und die Zeit titelt damit? AfD-Thema? Staun meint, dass schon das Fragedesign solcher Studien (die Mitte-Studie und eine Umfrage des deutschen PEN kamen zu ähnlichen Befunden) problematisch ist: Eine Aussage, der entweder zugestimmt oder die abgelehnt werden kann wie „In Deutschland darf man nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden“ (68 Prozent der Befragten haben zugestimmt), würde keine „empirischen Tatsachen“ zutage fördern. Das „Munkeln von Tabus und Ächtung“, das sehe man, wenn man sich die Sprache dieser Umfragen anschaue, sei viel eher ein „Virus, der sich umso schneller verbreitet, je öfter man ihn den Menschen in den Mund legt. Wird schon was dran sein, dass die Meinungsfreiheit in Gefahr ist, wenn man es jetzt in jeder Talkshow hört“.
Nun hat Harald Staun recht: Die Sprache der Demoskopie verdient kritische Betrachtung, die der Zeitungen, Zeitschriften und Talkshows auch. Was auch kritische Betrachtung verdienen würde: ein epidemologisches Framing („Virus“), in dem Meinungen als Symptome der „Krankheit AfD“ erscheinen und nicht als etwas, das Menschen sich bilden, in unterschiedlichen Kontexten, aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen. Denn so kann man wirklich nicht von Meinungsfreiheit sprechen.
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