Deutlich drängt sich in diesen Tagen die Einsicht auf: Demokratie braucht Hoffnung. In den letzten Jahren hat weder die politische Rechte noch die Linke demokratische Hoffnungen gepflegt: Hoffnungen auf das unbeschädigte Gedeihen aller. Wenn diese Hoffnungen in der Zivilgesellschaft jedoch bröckeln, dann unterminiert dies den demokratischen Rechtsstaat.
Über Jahrzehnte bestand in den kapitalistischen Demokratien des globalen Nordens ein breiter gesellschaftlicher Hoffnungskonsens. Die demokratische Hoffnung auf allgemeines Gedeihen wurde mit der kapitalistischen Hoffnung auf wirtschaftliches Wachstum verknüpft. Von links bis rechts wurde auf allgemeines Wohlergehen durch ökonomisches Wachstum gehofft. Auf liberaler Seite wurden diese Hoffnungen in das berü
berühmte Bild von der unsichtbaren Hand des Marktes gegossen. Sie haben aber auch linke Gemüter beflügelt. Viele Linke haben angesichts der begrenzten Möglichkeiten globaler Umverteilung auf ökonomisches Wachstum gesetzt, um allgemeinen Wohlstand zu erreichen. Bestärkt wurden sie von der Empirie. Über lange Zeit kam ökonomisches Wachstum hierzulande nicht nur einer Minderheit, sondern der Mehrheit, und auf globaler Ebene nicht nur dem Norden, sondern auch weiten Teilen des Südens zugute.Greta Thunberg? Panik macht kopflosIn der ökologischen Krise sind die Sollbruchstellen innerhalb der Hoffnung auf allgemeines wachstumsbasiertes Wohlergehen zutage getreten. Die kapitalistisch-demokratische Hoffnung wurde durch eine doppelte Erkenntnis infrage gestellt: dass fossile Energien nicht nur wirtschaftliches Wachstum und allgemeinen Wohlstand, sondern auch ökologische Zerstörung und damit soziale Krisen befeuern; und dass grünes Wachstum eine Schimäre ist: dass sich wirtschaftliches Wachstum von den fossilen Energieträgern nicht entkoppeln lässt.Die demokratische Hoffnung auf allgemeines Gedeihen und die kapitalistische Hoffnung auf ökonomisches Wachstum geraten in Konflikt. Viele Selbstverständlichkeiten werden fraglich. Ist die Hoffnung auf ökonomisches Wachstum aufzugeben? Und damit zugleich auch die Hoffnung auf globalen Wohlstand? Auf allgemeines Gedeihen? Ist Hoffnung vielleicht tatsächlich das schlimmste Übel aus der Büchse der Pandora – und richtet gerade in Situationen der Krise nur Schaden an, indem sie zur Flucht in Fantasiewelten verführt und vom Handeln abhält?An den inneren Widersprüchen der kapitalistisch-demokratischen Hoffnung zerbricht der soziale Hoffnungskonsens. Politische Linke und Rechte antworten unterschiedlich auf die inneren Spannungen des etablierten Hoffens. Dabei scheint sich eine Tendenz zu wiederholen, die Ernst Bloch bereits vor hundert Jahren diagnostiziert hatte: dass die Linke ganz auf den „Kältestrom“ nüchterner Analyse setzt, während die Rechte punktet, indem sie den „Wärmestrom“ des Optimismus anheizt. In all ihrer Unterschiedlichkeit sind beide Antworten unzureichend.Seit Jahren werden in der politischen Linken und insbesondere in der Klimabewegung Spielarten apokalyptischen Denkens erprobt. Legendär ist die Forderung von Greta Thunberg in ihrer Davoser „Our house is on fire“-Rede von 2019: „I don‘t want you to be hopeful, I want you to panic! I want you to feel the fear I feel every day and then I want you to act!“ Bände sprechen aber freilich bereits die Selbstbezeichnungen der Klimabewegungen als „Letzte Generation“ oder „Extinction Rebellion“ mit ihrem Motto: „Hope dies, action begins!“Linke Apokalyptik, rechter WachstumsoptimismusIn der linken Apokalyptik drückt sich zunächst berechtigte Ernüchterung aus. Intellektuell redlich lässt sich nicht länger an der etablierten Hoffnung festhalten, in den Bahnen der Wachstumsgesellschaft allgemeines Wohlergehen zu erzeugen. Problematisch wird es allerdings, wenn überkommene Ressentiments gegen jedwede Hoffnung bedient und apokalyptische Gefühlszustände der Panik oder Verzweiflung kultiviert werden. Die Panik, die Greta Thunberg fordert, ist kein guter politischer Ratgeber: sie macht „kopflos“. Verzweiflung raubt die Motivation, überhaupt zu handeln – und wirkt auf diese Weise mittelbar am Erhalt bestehender Praktiken der Zerstörung mit. In all dem nimmt sich die Linke allzu ernst. Über den drängenden Herausforderungen der Wirklichkeit übersieht sie, dass neue Möglichkeiten eines besseren Miteinanders offenstehen, solange die Welt noch nicht untergegangen ist.Die politische Rechte entgeht den linken Selbstblockaden. Weiterhin will sie sich unter der Hoffnung auf wachstumsbasierten Wohlstand versammeln. Ein Blick in das AfD-Wahlprogramm von 2024 zeigt, wie der rechte „Wärmestrom“ zum Fließen gebracht wird: mit Strategien der Selbstimmunisierung. Die Erkenntnisse, die die „altbewährte“ Wachstumshoffnung infrage stellen, werden delegitimiert. Die wissenschaftlichen Modellierungen, die einen gefährlichen Wandel des Klimas berechnen, seien ideologischer Natur. Ihr „eigentliches“ Ziel bestünde darin, einen Umbau der Gesellschaft zu rechtfertigen, der die deutsche Wirtschaftskraft zerstöre. So kann an den etablierten Wachstumshoffnungen scheinbar getrost festgehalten werden: vorgeblich haben sie ja keine Erfahrungen, sondern nur fiktive Erzählungen über Naturzerstörung gegen sich.Angesichts der apokalyptisch-sauertöpfischen Untergangsstimmung der Linken scheint der rechte Wachstumsoptimismus bei vielen zu verfangen. Bezahlt wird er mit dem Verlust intellektueller Redlichkeit. In der „Wärmemaschinerie“ der Rechten kippt politische Hoffnung in erfahrungsblinden Optimismus. Gleichzeitig werden unter der Hand Kompromisse beim demokratischen Hoffen gemacht: ökonomisches Wachstum soll nicht mehr allgemeines, sondern nur noch „biodeutsches“ Gedeihen befördern. Die Ausbeutung von Menschen nichtdeutscher Herkunft wird genauso in Kauf genommen wie die Zerstörung der Ökosysteme. Den demokratischen Rechtsstaat unterminiert dies freilich nicht weniger als die linke Apokalyptik. Die linke Verzweiflung gräbt die Motivation zum demokratischen Handeln ab. Der rechte Optimismus arbeitet daran, die ökologischen und sozialen Grundlagen des demokratischen Gemeinwesens zu zerstören.Volksentscheid über ein SUV-Verbot in ParisIn der sich in diesen Tagen neu formierenden Demokratiebewegung bahnt sich eine dritte Gestalt politischer Hoffnung an – jenseits von linker Apokalyptik und rechtem Wachstumswahn. Im Engagement der Zivilgesellschaft gegen Menschenverachtung und für ein demokratisches Miteinander scheint eine genuin demokratische Hoffnung auf. Die anstehenden sozio-ökologischen Herausforderungen werden nicht weggeredet – und dennoch wird gehofft: auf neue Möglichkeiten eines demokratischen Miteinanders, die im Umgang mit den anstehenden Herausforderungen erst noch auszubilden sind.Demokratische Hoffnung ist kein bloßer Schall und Rauch, der an den realen Gegebenheiten verpufft. Ihr kommt vielmehr eine eminent politische Funktion zu. Demokratien sind darauf angewiesen, dass die Zivilgesellschaft auf allgemeines Gedeihen hofft. Eine solche Hoffnung keimt etwa in „munizipalistischen“ Strömungen auf: Durch die Klimakrise zur lebenswerten Stadt, „Fearless Cities“ heißt ein Netzwerk, das die neuen Citoiens verknüpft. Breite Aufmerksamkeit hat jüngst der Pariser Volksentscheid über ein SUV-Verbot auf sich gezogen.Hoffende Zivilgesellschaften können über sich „hinauswachsen“Die zivilgesellschaftlich kultivierte Hoffnung erfüllt eine Funktion, auf die die rechtsstaatlichen Verfahren angewiesen sind, ohne sie selbst übernehmen zu können: Sie befördert demokratische Erneuerung und Inklusion. Dies hat damit zu tun, dass Hoffnung über das Bestehende hinausstrebt, noch nicht verwirklichte Möglichkeiten des Glücks adressiert.Hoffende Zivilgesellschaften können über sich „hinauswachsen“. Inmitten sozialer Krisen können sie alternative Lebensmöglichkeiten aufspüren. Und zugleich können politische Hoffnungen zur Teilhabe motivieren. Dabei kann die Hoffnung auf ein besseres Miteinander auch Menschen ins politische Handeln hineinziehen, die von den etablierten rechtsstaatlichen Verfahren ausgeschlossen sind.Eine Crux an der Hoffnung besteht freilich darin, dass sie sich nicht herbeireden lässt. Man kann nicht auf Knopfdruck hoffen, weil es gut ist für die Demokratie. Der Sinn für das Mögliche will nicht rational begründet, er will praktiziert werden. Zivilgesellschaften leben Hoffnung auf allgemeines Gedeihen, indem sie gegen konkrete Formen der Entrechtung, Ausbeutung und Zerstörung aufbegehren. Die aktuelle Demokratiebewegung führt dies anschaulich vor Augen.