Staatliches Lohndumping in Gefängnissen: Karlsruher Urteil nur halber Erfolg

Meinung Das Bundesverfassungsgericht hat die Dumping-Löhne von Häftlingen in Bayern und NRW für verfassungswidrig erklärt: Mit Resozialisierung hätten 2 Euro pro Stunde nichts zu tun. Doch bis zum Mindestlohn für Knackis ist es noch ein weiter Weg
Ausgabe 25/2023
Auch Menschen im Gefängnis haben ein recht auf faire Löhne
Auch Menschen im Gefängnis haben ein recht auf faire Löhne

Foto: picture alliance/Maja Hitij

Es ist zwar nicht der größte Niedriglohnsektor, aber der mit den niedrigsten Entgelten: In deutschen Knästen arbeiten Gefangene für Stundenlöhne unter 2 Euro. Und das nicht unbedingt freiwillig. Denn im Justizvollzug herrscht Arbeitspflicht. Oder, wie es das Grundgesetz im Artikel 12 ausdrückt: Zwangsarbeit.

Begründet wird die Arbeitspflicht zumeist damit, dass sie dem Hauptziel des Freiheitsentzuges diene: der Wiedereingliederung der Strafgefangenen in die Gesellschaft. Doch die Unternehmen, die in deutschen Justizvollzugsanstalten produzieren lassen, tun dies gewiss nicht aus sozialen Motiven: BMW gehört dazu, der Turbinenhersteller MTU, der in der JVA Straubing in Bayern eine Fertigungshalle unterhält. Aber auch hunderte mittelgroße Unternehmen, die Produktionsschritte in Knästen erledigen lassen. Für sie liegen die Lohnkosten dort im Bereich von Niedriglohnländern. Mit dem Vorteil, dass die Transportkosten viel niedriger sind, wenn man in einer JVA in der deutschen Provinz statt in Fernost produzieren lässt.

BMW schätzt Knacki-Wertarbeit

Bei Dr. Oetker liegt der Fall anders: Eine der Speditionen des Lebensmittelkonzerns lässt in der JVA Bielefeld-Senne Produkte verpacken. Dafür zahlt man der JVA 10,27 Euro pro Stunde. Bei den Knackis aber, die tatsächlich mit den Dr. Oetker-Produkten hantieren, kommt davon nur ein Entgelt zwischen 1 und 3 Euro pro Stunde an.

Verständlich, dass die Gefangenengewerkschaft GG-BO seit Jahren dagegen ankämpft und den Mindestlohn auch für Strafgefangene fordert. Und verständlich, dass Häftlinge gegen die Dumpinglöhne geklagt haben. Mit Erfolg. Am Dienstag hat nun das Bundesverfassungsgericht einer Klage Recht gegeben und festgestellt: Die Entlohnungsregeln des bayrischen Strafvollzugsgesetzes sind verfassungswidrig. Ebenso wie die im selben Gesetz in Nordrhein-Westfalen. Der Grund: Es wird dort eben genau nicht begründet, wie die mickrige Entlohnung der Resozialisierung dienen kann.

Was das Bundesverfassungsgericht allerdings nicht gefordert hat: Dass die Strafvollzugsgesetze aller Bundesländer auf den Prüfstand sollen. Und dass Häftlinge tatsächlich den Mindestlohn bekommen sollen. Obwohl ihre Arbeitsleistung in deutschen JVA jedes Jahr dutzende Millionen Euro Gewinn erwirtschaften. Hieß es nicht neulich, Leistung soll sich wieder lohnen?

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Geschrieben von

Pepe Egger

Ressortleiter „Wirtschaft“ und „Grünes Wissen“

Pepe Egger ist Redakteur für Wirtschaft, Grünes Wissen und Politik. Er hat in Wien, Paris, Damaskus und London studiert und sechs Jahre im Herzen des britischen Kapitalismus, der City of London, gearbeitet. Seit 2011 ist er Journalist und Reporter. Seine Reportagen, Lesestücke und Interviews sind in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. 2017 und 2019 wurden seine Reportagen für den Henri-Nannen- bzw. Egon-Erwin-Kisch-Preis nominiert. 2017 wurde Pepe Egger mit dem 3. Platz beim Felix-Rexhausen-Preis ausgezeichnet. Seit 2017 arbeitet er als Redakteur beim Freitag.

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