„Die Antwort wäre Umverteilung“: Stefan Gosepath fordert Umdenken beim Thema Erben

Gerechtigkeit Der Philosoph Stephan Gosepath findet Erben ungerecht, weil nur wenige etwas bekommen und viele nichts. Die Lösung? Erben besteuern und eine Erbschaft für alle einführen
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 04/2023
Nur sehr wenige teilen sich den Kuchen, von denen nur ein paar mehr als Krümel bekommen
Nur sehr wenige teilen sich den Kuchen, von denen nur ein paar mehr als Krümel bekommen

Foto: Imago/bonn-sequenz

Stefan Gosepath gönnt sich das Privileg des Philosophen – wie er es nennt –, gedanklich radikal sein zu dürfen. Also fragt er sich: Müsste man nicht eingestehen, dass Erben per se ungerecht ist? Und warum soll Eigentum den Tod überdauern können?

der Freitag: Herr Gosepath, was ist am Vererben gerecht oder ungerecht?

Stefan Gosepath: Abstrakt und philosophisch gesprochen, ist erst einmal jede Form des Vererbens ungerecht, einfach deshalb, weil einige etwas bekommen und andere nicht. Ich würde auch sagen: Vererben steht im Widerspruch zum Leistungsprinzip. Eine Erbschaft fällt einem sozusagen in den Schoß, die etwas erben, haben nichts dafür geleistet. Schließlich kann man argumentieren, dass das Vererben großer Vermögen das Prinzip der Chancengerechtigkeit verletzt. Wir halten diesen Gedanken als Gesellschaft eigentlich sehr hoch: Wir finden beispielsweise, dass das Einkommen und Vermögen der Eltern auf die Bildungschancen der Kinder keinen Einfluss haben soll, wir wären dagegen, dass nur Kinder reicher Eltern auf das Gymnasium oder die Uni gehen sollten. Warum akzeptieren wir dann ein derart großes Gefälle – mit all seinen Folgen – beim Thema Erben?

Sie sagen: Erben ist ungerecht, weil einige etwas bekommen und andere nicht. Aber gilt das nicht auch fürs Schenken? Ist Schenken also auch ungerecht?

Als Philosoph hat man das Privileg, gedanklich radikal sein zu dürfen: Ja, ich gehe diesem Gedanken nach, dass auch Schenkungen ungerecht sind. Ich spreche aber nicht von kleinen Aufmerksamkeiten oder Weihnachtsgeschenken, sondern von großen Summen, großen Vermögenswerten. Für Schenkungen in dieser Größenordnung gibt es ja nicht ohne Grund eine Schenkungssteuer, die, ähnlich wie die Erbschaftssteuer, den Vermögenstransfer mit einer Steuer belastet, um damit den Umstand auszugleichen, dass einige viel und andere nichts bekommen.

In einem Ihrer Texte taucht der Einwand des früheren britischen Premierministers David Cameron gegen zu hohe Erbschaftssteuern auf. Er sagt: „Der Wunsch, als Elternteil auch nach seinem eigenen Tod für seine Nachkommen sorgen zu wollen, ist der natürlichste menschliche Instinkt, den es gibt.“

Ja, es gibt einen völlig natürlichen Impuls, seinen Kindern Gutes tun zu wollen. Aber auch dieser Impuls hat Grenzen. Ein Beispiel: Wir finden es gut, dass Eltern die Bildung ihrer Kinder unterstützen, aber wir lehnen es ab, dass – so wie das in den USA passiert ist – Eltern Elite-Universitäten mit großen Geldspenden dazu bewegen, ihre Kinder aufzunehmen, auch wenn diese akademisch eigentlich nicht mithalten können. Will heißen: Ja, ich darf und soll meine Kinder fördern, aber eben im Rahmen allgemeiner Prinzipien der Gerechtigkeit und nicht auf Kosten anderer. Das Gleiche gilt fürs Erben.

Für mich hat es den Anschein, als würde das Thema Erben seit einiger Zeit immer mehr in den Fokus und damit in die Debatte rücken. Wird Erben und Vererben zunehmend fragwürdig?

Das Thema ist jedenfalls insofern gesellschaftlich relevant, als es gerade von zwei Seiten in den Fokus rückt: Zurzeit kommen manche Babyboomer in den Genuss, das Vermögen ihrer Eltern aus der bundesrepublikanischen Wirtschaftswunder-Generation zu erben. Manche, nicht alle, versteht sich. Dadurch findet gerade ein bedeutender Vermögenstransfer statt. Auf der anderen Seite stehen alle die, die in der DDR aufgewachsen sind: Sie wissen, dass sie wenig oder gar nichts erben werden.

Ist Deutschland in dieser Hinsicht ein Sonderfall? Weil das Erbe der deutschen Teilung immer noch derart nachwirkt, dass Kinder, die in Westdeutschland aufgewachsen sind, erben und die aus Ostdeutschland nicht?

Der Fall der DDR ist bloß eine besonders klare Ausdrucksform derselben Ungerechtigkeit, die es immer auch innerhalb einer Gesellschaft zwischen denen gibt, die erben, und denen, die nichts erben. Das ist die Lotterie des Lebens: Ich kann ja nichts dafür, dass ich in Westdeutschland und damit in einer kapitalistischen Gesellschaft geboren worden bin, wo meine Eltern Vermögen erwerben konnten.

Foto: Imago/photothek

Stefan Gosepath ist Professor für Praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin, er forscht vor allem zu den Themen Gleichheit und Gerechtigkeit. Dieses Gespräch mit ihm ist zuerst in der Tagesspiegel -Beilage der FU Berlin erschienen

Wie lässt sich diese Ungerechtigkeit ausgleichen? Soll der Staat einfach alle Erbschaften über einem gewissen Freibetrag einkassieren? Sodass alle nichts mehr erben?

Nein, alle schlechterzustellen, um damit Gerechtigkeit zu schaffen, wäre unsinnig. Im Gegenteil, wir sollten versuchen, alle besserzustellen! Die Antwort wäre Umverteilung. Wir könnten das, was wir an Erbschaftssteuer einnehmen, also alles, was über einen großzügigen Freibetrag hinausgeht, an die verteilen, die nichts erben. So würde ich auch das Motiv, dass ich meinen Kindern etwas Gutes tun will, nicht unterdrücken, sondern im Gegenteil verallgemeinern, sodass auch Kinder anderer Eltern, die nichts bekommen, etwas davon haben.

Aus rechtlicher Sicht ist das Vererben ein mächtiger Kniff, mit dem man das Privateigentum über den Tod hinaus sichert. Greifen Sie mit Ihrer Kritik am Vererben und am Schenken nicht in letzter Instanz auch das Privateigentum an?

Ja, das ist vielleicht die radikalste Konsequenz meines Herangehens an das Thema, und ich vermute, dass mir hier auch nicht alle folgen werden. Ich komme von zwei Ansätzen dazu: Der erste ist das Insistieren auf dem gesellschaftlichen Ursprung von Eigentum. Es ist ja nicht so, dass ich zuerst rechtmäßig Eigentum erwerbe, und dann kommt der Staat und nimmt mir – in Form von Steuern – etwas weg. Ich kann ja überhaupt erst rechtmäßig Eigentum erwerben, wenn es Institutionen gibt, die das ermöglichen, für die ich also auch einen Beitrag zu leisten habe. Das Eigentum ist an Bedingungen geknüpft, das steht so auch im Grundgesetz: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Und der zweite Ansatz?

Das ist das Argument, dass wir im Gesellschaftsvertrag – philosophisch gesprochen – Eigentum eigentlich deshalb zugebilligt haben, weil es den Individuen ermöglicht, ihre Freiheit zu verwirklichen. Wenn das die Hauptbegründung für Eigentum ist, ich aber mit meinem Tod aufhöre, frei zu sein, dann stellt sich die Frage, warum ich dann auch nach meinem Tod noch die Mittel zu meiner Freiheit haben soll, nämlich mein Eigentum. Aus diesem Argument ziehe ich recht radikal die Konsequenz, dass Eigentum eigentlich zeitlich begrenzt sein soll, nämlich auf Lebenszeit. Dann ist es auch gerechtfertigt, dass der Staat nach meinem Tod Anspruch auf mein Eigentum stellt.

Sie sagen, ab einer bestimmten Größe wird das Vererben zum Problem, weil die Ungleichheit dadurch so stark zunimmt. Aber wo ist die Grenze? Wie hoch sollten die Freibeträge sein?

Das ist politische Verhandlungssache, deshalb will ich da keine Zahl nennen. Ich bin für hohe Freibeträge, weil ich denke, dass wir bei „Oma ihr klein Häuschen“ und der Golduhr des Großvaters nicht kleinlich sein sollten. Wir sollten den emotionalen Wert solcher Dinge respektieren, genauso das Andenken an den Erblasser. Das meiste, was in puncto Erbschaft für das soziale Leben relevant ist, bewegt sich in einer Höhe, die für das Steueraufkommen irrelevant ist. Die hohen Vermögen, um die es geht, liegen auf jeden Fall darüber.

Haben Sie selbst auch schon einmal etwas geerbt?

Auf diese Frage habe ich schon gewartet. Ich selbst bin privilegiert, da ich sehr wahrscheinlich erben werde. Insofern ist es auch für mich persönlich ein Thema. Das ist auch der Grund, warum ich mich für eine Reform des Erbrechts einsetze. Aber die Reform, die ich vorschlage, ist eine strukturelle, unabhängig davon, wie ich selbst das handhabe.

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Geschrieben von

Pepe Egger

Ressortleiter „Wirtschaft“ und „Grünes Wissen“

Pepe Egger ist Redakteur für Wirtschaft, Grünes Wissen und Politik. Er hat in Wien, Paris, Damaskus und London studiert und sechs Jahre im Herzen des britischen Kapitalismus, der City of London, gearbeitet. Seit 2011 ist er Journalist und Reporter. Seine Reportagen, Lesestücke und Interviews sind in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. 2017 und 2019 wurden seine Reportagen für den Henri-Nannen- bzw. Egon-Erwin-Kisch-Preis nominiert. 2017 wurde Pepe Egger mit dem 3. Platz beim Felix-Rexhausen-Preis ausgezeichnet. Seit 2017 arbeitet er als Redakteur beim Freitag.

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