Für die NATO gegen die Kurden

Diaspora Das Buch „Geflohen. Verboten. Ausgegrenzt. Wie die kurdische Diaspora in Deutschland mundtot gemacht wird“ beleuchtet die anti-kurdische Repression des deutschen Staates
Ausgabe 16/2024
Demonstrant:innen mit einer Fahne der YPG – einer bewaffneten kurdischen Miliz in Syrien
Demonstrant:innen mit einer Fahne der YPG – einer bewaffneten kurdischen Miliz in Syrien

Foto: Imago/Ipon

Dass Menschen mit deutschem Pass und migrantischem Hintergrund in den Genuss der vom Grundgesetz garantierten Rechte kommen, scheint selbstverständlich. Und dass politischen Flüchtlingen zumindest Meinungsfreiheit zuzubilligen ist, sollte ebenso zutreffen. Dass beides für die bereits in mehreren Generationen hier lebende kurdische Diaspora nicht gegeben ist, belegt ein Buch mit eindringlichen Beispielen staatlicher Repressionen gegen die drittgrößte hier lebende Migrantengruppe. Hauptgrund ist das seit 1993 in Deutschland bestehende Verbot der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), das seitdem willkürlich auf zahllose kurdische Organisationen bis hin zu Kulturvereinen ausgeweitet wurde. Es kann sogar zur Verfolgung von Personen führen, die an Demonstrationen teilgenommen haben und zufällig vor einem Symbol der kurdischen Freiheitsbewegung fotografiert wurden.

Ein besonders krasser Fall ist die 2020 erfolgte Ablehnung des in Deutschland geborenen und im bayrischen Hersbruck lebenden und keiner politischen Organisation angehörenden Agid Aklan für eine Ausbildung im mittleren Polizeidienst – trotz bestem Abschluss aller Vorprüfungen. Ihm wurden Aktivitäten in den sozialen Medien zum Verhängnis. Er hatte 2018 Fotos aus den kurdischen Autonomiegebieten Syriens geteilt, darunter eines, das einen Scharfschützen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG zeigt, auf dessen Ärmel das Porträt Abdullah Öcalans aufgenäht war. Agid hatte das Foto aus Respekt vor dem gefallenen Scharfschützen geteilt. Das Antlitz des PKK-Gründungsmitglieds und -Führers auf dem Ärmel war ihm gar nicht aufgefallen.

Angesichts der immer wieder öffentlich werdenden rechtsradikalen Netzwerke von Polizeibeamten nehmen sich die kleinkarierten Nachforschungen in der Mediennutzung und deren Instrumentalisierung gegen einen bayrischen Polizeidienst-Anwärter mit kurdischen Wurzeln bizarr aus. Sie sind es umso mehr, weil die gegen den IS kämpfende und Autonomie vom syrischen Zentralstaat realisierende YPG durch die USA und die Bundesrepublik bis heute unterstützt wird.

Damals thematisierten Politik und Medien den kurdischen Freiheitskampf stärker als zuvor und die Listung der PKK als terroristische Vereinigung erschien zeitweilig als aufhebbar. Dass es 1993 überhaupt zu dem Verbot kam und daran bis heute festgehalten wird, hängt bekanntlich mit dem Druck der Türkei zusammen, die eine für unverzichtbar gehaltene Rolle der NATO im Nahen Osten spielt und mittlerweile auch als Barriere für Flüchtlinge dient. Das Buch behandelt auch die bis zu Abschiebungen reichenden Repressionen, die Schweden gegen kurdische Asylbewerber:innen in die Wege leitete, um die Zustimmung der Türkei zum NATO-Beitritt zu erlangen, die im März 2024 dann erfolgte.

Öcalans Paradigmenwechsel

Der Freiheitskampf der türkischen Kurden wird nur insoweit anerkannt, als ihre brutale Unterdrückung die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union verhindert. Das Buch klärt auf, dass der schon 1989 bis 1993 in Düsseldorf aufwendig geführte Prozess gegen angebliche kurdische Terroristen eklatante Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien aufwies und keineswegs zu den politisch erwarteten Ergebnissen führte.

Nachgezeichnet werden auch die Paradigmenwechsel, die die kurdische Freiheitsbewegung in den letzten Jahrzehnten genommen hat. Öcalan selbst hatte schon vor seiner Verhaftung begonnen, sie vom bewaffneten Kampf mit dem Ziel eines eigenen kurdischen Staats zu einer Demokratiebewegung innerhalb der bestehenden Staatsgebilde umzuorientieren. Daraus folgte auch ein tiefgreifender Wandel der kurdischen Aktivitäten in Deutschland. Er macht politisches Umdenken überfällig.

Geflohen. Verboten. Ausgegrenzt. Wie die kurdische Diaspora in Deutschland mundtot gemacht wird Alexander Glasener-Hummel, Monika Morres, Kerem Schamberger Westend Verlag 2023, 216 S., 24 €

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden