Kennen Sie Nachitschewan? Ich wusste nur vage von diesem Ort, an dem sich zu Wochenbeginn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und der aserbaidschanische Staatschef Ilham Alijew trafen. Warum feierten sie die Kapitulation Bergkarabachs gerade dort? Vermutlich, weil es sich bei Nachitschewan um eine an die Türkei grenzende, allerdings durch armenische und iranische Gebiete vom Kernland getrennte autonome Republik Aserbaidschans handelt. Die Versorgung zwischen der fast allein von Aseris bewohnten Exklave und Aserbaidschan konnte bislang nur über den Iran erfolgen. Andere Wege blockierte Armenien.
Ilham Alijews Recep Tayyip Erdoğans Ziele
Eine Hungerkatastrophe, wie sie Bergkarabach vor dem aserbaidschanischen Einmarsch heimzusuchen begann, blieb für
ZieleEine Hungerkatastrophe, wie sie Bergkarabach vor dem aserbaidschanischen Einmarsch heimzusuchen begann, blieb für Nachitschewan ausgeschlossen. Das verhinderte schon die 17 Kilometer lange Grenze zur Türkei. Dass Nachitschewan zudem kein Objekt der Erpressung wie Bergkarabach werden konnte, zeigte nachdrücklich, wie sehr sich die Kräftebalance zwischen den Konfliktstaaten seit Jahren zugunsten Aserbaidschans verschoben hat. Das verhinderte Übereinkünfte zwischen Baku und Jerewan, um das Leben der Bürger in Nachitschewan wie in Bergkarabach zu erleichtern.Es kam hinzu, dass Bergkarabach völkerrechtlich nicht zu Armenien gehört, aber Nachitschewan als autonome Region zu Aserbaidschan. Mit der Wahl des Ortes für ihr Treffen haben Alijew und Erdoğan nun zu verstehen gegeben, dass sie hauptsächlich eines wollen: den sicheren durch Armenien führenden Korridor in Richtung aserbaidschanisches Kernland. Der wäre für den ökonomischen Verkehr zwischen der Türkei und deren mittelasiatischen Partnern von essenziellem Wert, denn der Weg über Armenien ist nun einmal der kürzeste und soll künftig möglichst störungsfrei zu nutzen sein. Es ist bekannt, dass Erdoğan schon lange auf geöffnete Grenzen zu Armenien hofft. Er möchte Erdgastrassen aus Mittelasien in die Türkei bauen, dazu eine bis China reichende Eisenbahnroute.Nur wird der im eigenen Land schwer unter Druck stehende armenische Premier Nikol Paschinjan für Konzessionen beim Transit Gegenleistungen verlangen. Dass die Türkei den Genozid von 1915 als solchen anerkennt, dürfte nicht ausreichen. Armenien müsste von jedem Deal selbst wirtschaftlich profitieren – und das nicht allein über Mautgebühren. Mit dem Trumpf des Korridors in der Hand könnte Paschinjan kurzfristig Sicherheitsgarantien für die Bewohner von Bergkarabach verlangen, die ihre Heimat nicht verlassen wollen. Die jetzt von vielen Seiten befürchtete Katastrophe in Form einer ethnischen Säuberung ist keine unabwendbare Fatalität. Sie lässt sich verhindern, wenn alle beteiligten Konfliktparteien durch Kooperation eine friedliche Koexistenz zu begründen vermögen.Russland ermuntert dazu, indem es das Treffen zwischen Erdoğan und Alijew begrüßt hat. Die Westeuropäer, die nicht nur von den Gaspipelines profitieren würden, die von der Türkei geplant sind, müssten ebenfalls an einem Kompromiss im Kaukasus interessiert sein, der schon in der Antike eine wichtige Drehscheibe des eurasischen Handels war. Eine Gelegenheit zur Verständigung bietet ein für den 5. Oktober im spanischen Granada vorgesehenes Treffen zwischen Alijew und Paschinjan, an dem auch eine Reihe von Regierungschefs aus der Europäischen Union teilnehmen wird. Zu vermeiden wäre der Fehler, Armenien auf einen antirussischen Pfad leiten zu wollen.