Es war einmal ein Staat

Syrien Wird das Land in konfessionell geprägte Entitäten gespalten, gibt es dafür historische Muster
Ausgabe 19/2016

Der russische Teilabzug wirkt deeskalierend im Syrien-Konflikt? Wer das meinte, hat sich getäuscht. Russland scheint sich mit der Sicherung seiner vielleicht nur in einem syrischen Rumpfstaat liegenden Flottenbasis bei Latakia zufriedenzugeben, während die Assad-Armee zumindest in Aleppo auf die Rückeroberung nationalen Territoriums setzt. Parallel dazu stocken die USA ihre Militärberater in Syrien um 250 Mann auf, um „Rebellen“, die sie als demokratische Hoffnung des Landes darstellen, im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) zu unterstützen. Nachdem die Regierungsarmee das vom IS besetzte Palmyra eingenommen hat, wird dem selbsternannten Kalifen al-Baghdadi jedoch eine Ruhepause gegönnt. Realiter gekämpft wird derzeit um das im Norden liegende Aleppo und dessen strategisches Umfeld.

Hier stehen die von iranischen Freiwilligen unterstützten Assad-Truppen Kräften gegenüber, die seit dem 1. April zur Offensive gegen sie angetreten sind. Manche Analysten bezeichnen diese energisch und nicht erfolglos operierenden Verbände als „gemäßigte Rebellen“, was bedeutet, dass sie nach wie vor von den USA und deren Verbündeten Türkei, Saudi-Arabien sowie Katar massiv unterstützt werden. Andere Beobachter ordnen jene Formationen, die im Raum Aleppo kämpfen, der stramm islamistischen Al-Nusra-Front zu. Man nähert sich der Wahrheit, werden beide Expertisen zusammengedacht. Für verträumte Europäer mögen Islamismus und Demokratie Gegensätze wie Feuer und Wasser sein, für die USA keineswegs. Nicht nur die alte Zweckallianz mit den Golfstaaten wie der Umgang mit dem Arabischen Frühling haben gezeigt, dass die Obama-Regierung Islamisten nicht fürchtet, sondern instrumentalisiert, solange die Kriegsschauplätze weit genug vom eigenen Territorium entfernt liegen und Folgen wie Flüchtlingsströme nicht zu befürchten sind.

Die von den USA geführte Nahost-Allianz hat ihren Plan, sich Einfluss in Syrien zu sichern, nicht aufgegeben. Er gilt inzwischen weniger dem ganzen Land als dessen Zerstückelung. Dabei geht es um Öltrassen, die Kontrolle über die Wasserreservoire des Euphrat und eine militärstrategische Präsenz, die sich gegen den Iran und Russland richtet.

An der Festlegung denkbarer Demarkationslinien soll sich sogar die regierungsnahe Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin unter Einschluss syrischer Emigranten beteiligen. Die sich abzeichnende Segmentierung erinnert an die Aufteilung Syriens, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg zu Zeiten des französischen Völkerbundmandats betrieben wurde. Man muss sich vergegenwärtigen, dass es bis dahin kaum Grenzen im Nahen Osten gab. Großsyrien erstreckte sich von der Türkei bis Ägypten. Erst die Mandatsmacht sorgte für einen vom Zentrum bis an die Südgrenze des Irak reichenden „Staat Damaskus“ für Sunniten und einen „Drusenstaat“ im Süden. An der Mittelmeerküste lag der „Alawitenstaat“ mit Latakia als Herzstück. Das größte Verwaltungsgebiet, das sich unter Missachtung kurdischer Interessen über fast den gesamten Norden erstreckte, war der „Staat Aleppo“. Westlich davon lag die Verwaltungseinheit „Sandschak Alexandrette“, die unter dem Namen Hatay 1939 von Frankreich an die Türkei abgetreten wurde, um diese zur Neutralität im Zweiten Weltkrieg zu bewegen.

Die von Ankara jetzt geforderte „Sicherheitszone für Flüchtlinge“ würde erneut Teile Nordsyriens erfassen, nur dass diesmal die Kurden ihre Belange entschieden geltend machen, wozu zählt, lieber unter syrischer als türkischer Verwaltung leben zu wollen. Die USA versuchen daher, den Kurden eine ähnliche Teilautonomie wie im Nordirak schmackhaft zu machen. Das alawitische Stammland sowie fast den gesamten Küstenstreifen beherrscht die Regierungsarmee und wird wohl nicht mehr weichen. Im Nordwesten jedoch – rund um den Großraum Aleppo – verteidigen die „gemäßigten Rebellen“ Gebiete, aus denen sich wieder ein Sunnitenstaat bilden ließe, von der Fläche her gut dreimal so groß wie Assads Rumpfsyrien. Dass eine temporäre Waffenruhe für Aleppo zwischen Washington und Moskau ausgehandelt wurde, unterstreicht die strategische Bedeutung der hier entbrannten Schlacht.

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