Israels Hassliebe zu Deutschland: Zionisten als Anhänger von deutschen Antisemiten
Parallelen Die gegenseitige Beeinflussung zwischen deutschem und jüdisch-deutschem Nationalismus wirkt bis heute nach, finden Moshe Zimmermann und Moshe Zuckermann. Über die Untersuchung einer Entwicklung, die den Zionismus maßgeblich geprägt hat
In der Independence Hall in Tel Aviv, wo David Ben-Gurion 1948 den Staat Israel proklamierte, lernen israelische Soldaten über den UN-Teilungsplan für Palästina von 1947
Foto: Abir Sultan/epa/dpa
Im Jahr 2022 erschien in Israel das Buch der beiden mit deutsch-jüdischer Vergangenheit und Gegenwart befassten Historiker Moshe Zimmermann und Moshe Zuckermann: Choschwim germania. Dialog israeli. Es liegt inzwischen unter dem Titel Denk ich an Deutschland … Ein Dialog in Israel auch in Deutschland vor und beleuchtet unter anderem überraschende Parallelen in der Entwicklung des deutsch-jüdischen und deutschen Nationalismus. Letzterer sei – so Zuckermann – nicht wie der französische aus inneren Klassenkämpfen entstanden, sondern in Konfrontation mit dem äußeren Feind Napoleon Anfang des 19. Jahrhunderts.
Der wenig später als Reaktion auf den Antisemitismus entstehende deutsch-jüdische Nationalismus entwickelte sich parallel zum
twickelte sich parallel zum „deutsche(n) Modell, in welchem das nationale Gefühl gegenüber einem ‚fremden Besatzer‘“ entstand, das bedeutete, als eigentlich fremdbestimmte Haltung. Eine positive Bestimmung hätte nur die Religion abgeben können, die der Nationalismus des 19. Jahrhunderts aber gerade aus dem Bereich der politischen Praxis ausschalten wollte. Erst viel später habe der Zionismus die Religion wieder in die Politik eingeschleust.Der aus einer Opferrolle der Deutschen gegenüber einer realen napoleonischen Invasion erwachsene Nationalismus erhielt seine Parallele in der Opferrolle, in die sich Juden durch realen Antisemitismus gedrängt sahen. Ohne diesen hätte es wohl keinen deutschen Zionismus gegeben. Das werde zum Problem, wenn Opferbewusstsein zur Instrumentalisierung „für fremdbestimmte Zwecke“ wird, findet Zuckermann. So diene die Shoah dazu, um zu begründen, wie alternativlos das über die Palästinenser verhängte Besatzungsregime sei. Was einer Verhöhnung der Opfer der Shoah gleichkomme.Entleertes LandMoshe Zimmermann und Moshe Zuckermann meinen, dass sich viele Zionisten bewusst waren, ihre Ziele ohne den Antisemitismus nicht erreichen zu können. Ersterem fiel eine Episode aus der Schulzeit ein. Ein Lehrer fragte, welcher russische Zar für die Juden am gefährlichsten gewesen sei: Nikolaus I., der sie drangsalierte, oder Alexander II., der die Emanzipation einleitete. Die gewünschte Antwort war: Alexander. Und bezüglich der Entwicklung des jüdischen Nationalismus ergänzt Zimmermann: „Nicht die individuelle Entscheidung zur Zugehörigkeit zu einer Nation“ wie in Frankreich, sondern ein auf dem jus sanguis basierendes Konstrukt „einer gemeinsamen Herkunft, Geschichte, Sprache und eines kollektiven Bewusstseins“ habe den deutschen wie auch deutsch-jüdischen Nationalismus geprägt. Deutsche Zionisten seien glühende Anhänger von Vätern des deutschen Nationalismus gewesen. Dies sogar dann, wenn diese Antisemiten waren wie der Philosoph Johann Gottlieb Fichte und „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn, dessen Devise „mens sana in corpore sano“ starken Einfluss auf die jüdische Sportbewegung hatte.Vor einigen Jahren sah Zimmermann auf dem Rothschild-Boulevard in Tel Aviv ein historisches Plakat der Irgun, der nationalen Militärorganisation der 1940er Jahre, auf dem die Konturen Großisraels skizziert waren – „auf beiden Seiten des Jordans, in der Mitte eine ein Gewehr haltende Hand und in fetten Lettern gedruckt: Nur so!“ Verblüfft hätte ihn die hebräische Überschrift: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte“ – die Anfangszeilen aus dem Vaterlandslied des Antisemiten Ernst Moritz Arndt von 1812, ein „Herzstück“ des deutschen Nationalismus, übernommen „von der militantesten nationaljüdischen Organisation“ (Zimmermann).Laut Moshe Zuckermann zeige sich an Theodor Herzls Ausspruch: „In Basel habe ich den Judenstaat gegründet“, dass es sich um das einzige Staatsgebilde handelte, das als Überbau ohne Basis entstand, dem erst ein zu eroberndes Territorium und eine kolonisierende Bevölkerung zuzuweisen war. Das hieß, eine staatsbürgerliche Assimilation und das Dasein in der Diaspora abzulehnen. Der „‚neue Jude‘ sollte das negative Abziehbild“ des als verweichlicht geltenden diasporischen Juden und demzufolge wehrhaft sein. Das folgte dem von Max Nordau auf dem Zionistenkongress von 1898 geprägten Konzept des „Muskeljudentums“. Nordau prophezeite, dass der Zionismus „ein Land, das heute eine Wüste ist“, also ein quasi leeres Land, in einen „blühenden Garten“ verwandeln wolle.Der italienische Philosoph und Historiker Domenico Losurdo hat anhand von Herzls Tagebüchern die Parallelentwicklung des deutschen und des deutsch-jüdischen Nationalismus ins koloniale Zeitalter belegt. Nur in Palästina anzusiedelnde Juden könnten „den Krankheitswinkel des Orients assanieren“ und „Cultur u. Ordnung“ installieren. „Die zionistische Idee, die eine koloniale“ sei, würde in den Ländern verstanden, die bereits überseeische Kolonien hätten. „Für Europa würden wir dort ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.“ Auch würden die Handelswege nach Indien und China sicherer, so Herzl. Deshalb sei „der Judenstaat ein Weltbedürfnis“.Zwar erwartete Herzl die entscheidende Unterstützung von England, wusste aber auch Wilhelm II. für das zionistische Projekt zu engagieren. Indem er empfahl, „ein schreckliches Proletariat“ nach Palästina zu leiten, das „nach Menschen schreit, die es bebauen sollen“, wies er darauf hin, dass revolutionäre Bewegungen mit der jüdischen Kolonisierung Palästinas geschwächt würden. So könnten sich „die jungen studierenden Leute sowohl wie die jüdischen Arbeiter vom Socialismus u. Nihilismus abwenden, indem wir vor ihnen eines reineres Volksideal entfalten“.Inbesitznahme Palästinas1917 wurde Franz Kafkas Erzählung Schakale und Araber veröffentlicht. Es geht darin um einen europäischen Reisenden in Palästina, der in einem von Arabern bewachten Nachtcamp einschläft. Ein herumstreunender Schakal wird von einem Araber verjagt, kehrt aber im Traum des Europäers mit einer ganzen Gruppe von Schakalen zurück und bittet ihn, alle Araber zu töten. Maxim Biller nannte das kürzlich in der Zeit „eine sehr schlechte Erzählung“, womöglich „tiefster Ausdruck von Kafkas jüdischem Selbstzweifel“. Es ging Biller nicht um die Tiermetapher, die auch von Heinrich Heine, Alfred Döblin und Antisemiten wie Oswald Spengler für Juden verwendet wurde und aus Sicht heutiger Political Correctness unzulässig ist. Vielmehr wandte er sich gegen „arabische Intellektuelle“, die in der Erzählung „ein frühes Dokument eines blutgierigen, kolonisatorischen Zionismus“ sähen. Als solches lässt sie sich leicht entschlüsseln, zumal Kafkas Skepsis gegenüber dem Zionismus bekannt ist.Dabei stand der Reisende nicht für den sich verweigernden Messias, sondern für die Europäer, die von der zionistischen Bewegung gebeten wurden, bei der Inbesitznahme Palästinas behilflich zu sein. Dazu war nicht zuletzt Großbritannien bereit. Noch vor Ende des Osmanischen Reichs und des Ersten Weltkrieges erkannte es 1917 mit einer nach Außenminister Arthur James Balfour benannten Erklärung das offizielle zionistische Ziel an, in Palästina eine nationale Heimstätte des jüdischen Volkes zu errichten. Ab 1922 Mandatsmacht, mussten die Briten mittels Schaukelpolitik mal jüdische, mal arabische Interessen berücksichtigen.Kafkas Novelle widerlegte im Übrigen die Illusion, dass es sich um ein „leeres“ Land handele. Doch hat sich das bis zu Ministern der heutigen israelischen Regierung in der Idee erhalten, dass es von „Arabern“ entleert werden müsse. Ganz offen sprach das David Ben-Gurion, später erster Premier Israels, in einer Rede 1938 aus: „Verschließen wir nicht die Augen vor der Wahrheit: Politisch gesehen sind wir die Aggressoren, und sie verteidigen sich. Dieses Land ist ihres, weil sie darin wohnen, während wir herkommen, um uns darin niederzulassen. Und von ihrem Gesichtspunkt aus haben wir vor, sie aus ihrem eigenen Land zu vertreiben.“ Linkszionistische Strömungen, die für ein friedliches Zusammenleben mit den Palästinensern eintraten, konnten sich nie durchsetzen.Die meisten Staaten erkennen an, dass die Shoah die Gründung eines Staates, in dem Juden sicher leben können, zu einer historischen Notwendigkeit machte. Aber gerade diese Sicherheit ist unerreichbar, solange der in Israels Gründung eingeschriebene kolonialistische Anspruch bestehen bleibt. Deutschland – so Zimmermann und Zuckermann – habe begonnen, sich mit seiner, auch den Antisemitismus einschließenden kolonialen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das sei in Israel ebenso nötig, unterstützt von deutscher Einsicht, dass dazu das Recht der palästinensischen Nation auf einen Staat oder die gleichberechtigte Teilhabe in einem binationalen Staat gehört.
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