USA: Was eine Columbia-Professorin über die Gaza-Proteste an ihrer Uni sagt
Antikriegsbewegung Kann die gegen den Gaza-Krieg kämpfende Jugendbewegung dieselbe Ausdauer entfalten wie diejenigen, die dazu beitrugen, dass sich die US-Regierung in den 1970er Jahren zum Rückzug aus Vietnam gezwungen sah? Der Ausgang der Proteste ist offen
Pro-palästinensisches Protestcamp an der University of California am Tag nach einer gewalttätigen Attacke durch Gegner des Camps
Foto: Mario Tama/Getty Images
Bislang ist es der Weltgemeinschaft nicht gelungen, die israelische Regierung zu bewegen, eine für die Palästinenser akzeptable Perspektive des Überlebens durchzusetzen. Im Gegenteil, mittlerweile laufen die Vorbereitungen für eine Offensive gegen Rafah auf Hochtouren, ohne dass klar ist, wohin die Zivilisten evakuiert und wie sie von Hamas-Kämpfern unterschieden werden sollen.
Waffenruhe zu erreichen, erwächst in westlichen Ländern zunehmender, fassungsloser und nicht nur von Muslimen getragener Widerstand. Demonstrationen für einen Gaza-Frieden, die seit Monaten an zahlreichen US-Universitäten stattfinden, wurden von europäischen Medien zunächst kaum beachtet. Was jetzt von solchen Meetings des Widerstandes publik wird, zeigt junge Leute mit multiethnischem und multireligiösem Hintergrund, für die ein entkrampfter Umgang miteinander so normal ist, wie das für die gemeinsame Lernerfahrung und demokratische Überzeugung gilt.Gegen Israels rechte RegierungGerade für eine liberale akademische Jugend des Melting Pot USA erscheint das Ziel der regierenden israelischen Rechten absurd, ein monoethnischen Staatswesen durchzusetzen. Zumal auch der angestrebte jüdische Staat in Wirklichkeit multiethnisch sein würde. So stand auf dem Protestcamp der Columbia-Universität in New York auch das Zelt äthiopischer Juden, die für die Freiheit der Palästinenser eintraten.Amerikanische Universitäten sind meist keine staatlichen, sondern private Institutionen. Ihre aus Studiengebühren und Spenden gewonnenen Finanzen nutzen sie nicht nur für den eigenen Betrieb. Sie investieren diese Gelder auch in Wirtschaftsunternehmen, unter anderem der Waffenindustrie. Eine der wichtigsten Forderungen der jetzigen Friedensbewegung richtet sich daher direkt an ihre jeweilige Bildungsstätten, die Investitionen in für Israel bestimmte Rüstungsgüter zu beenden. Dieses Ansinnen der sich Gehör verschaffenden neuen Friedensbewegung ging von der Columbia aus. Von einer einseitig „pro-palästinensischen“ und „antisemitischen“ Strömung zu sprechen, ist irreführend, wenn jüdische Studenten in den Protestcamps demonstrativ und ungestört religiöse Rituale vollziehen.Polizei auf dem CampusVon Marianne Hirsch, Professorin für Vergleichende Literaturgeschichte, die zu jenem Teil des Lehrkörpers der Columbia zählt, der die Bewegung aktiv unterstützt, höre ich, dass es während der monatelangen Proteste nur zu wenigen antisemitischen und antimuslimischen Entgleisungen gekommen sei. Die Beteiligten hätten das selbst unterbunden. Unsicherheit sei auf dem Campus erst entstanden, als es auf Wunsch der Universitätsleitung zu mehreren massiven Polizeieinsätzen kam. Die Ordnungskräfte erschienen in schwerer Kampfmontur und prügelten brutal.Am 30. April wurden das schon einmal abgerissene, danach wiedererrichtete Camp sowie der für die US-Antikriegsgeschichte berühmte Hamilton-Saal gewaltsam geräumt und das Universitätsgelände abgeriegelt. An die dreihundert Aktivisten sind verhaftet, einige Studierende inzwischen exmatrikuliert, dazu Lehrkräfte entlassen worden. Die Polizei will den Columbia-Campus bis zum 17. Mai besetzt halten, an dem eine Immatrikulationsfeier geplant ist – bis dahin wird nur noch online unterrichtet.Streit um Antisemitismus-DefinitionObwohl die Teilnehmer der Protestbewegung mit schwerwiegenden Konsequenzen rechnen müssen, setzen sie auf der Straße fort, was ihnen die Lehranstalt verwehrt. Ähnlich halten es mittlerweile die Kommilitonen an gut hundert Universitäten der Vereinigten Staaten. Ich war überrascht, von Hirsch zu hören, dass diese Friedensbewegung deshalb so viel Kraft entfaltet, weil sie bereits mit dem Beginn des Gaza-Krieges entstanden und landesweit vernetzt ist. Der von der Universitätsleitung veranlasste Polizeieinsatz und die Repressionen gegen Studierende würden von einem großen Teil des Lehrkörpers mit Sorge gesehen. Gerade weil die Universitäten private Institute seien, legten sie großen Wert auf Unabhängigkeit von staatlicher Einmischung.Hirsch sieht die ehernen wissenschaftlichen Standards der Columbia gefährdet. Eine dort gegründete Kommission, die Antisemitismus untersuchen will, geht über die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) hinaus, die schon Kritik am Staat Israel als antisemitisch verwirft. Sie bewertet Antisemitismus nur nach den subjektiven Befindlichkeiten von Juden. Was man derzeit an der Columbia spüren würde, so Hirsch, sei aber weniger Angst als eine reale Verunsicherung, die erst mit den massiven Polizeieinsätzen auftrat. Nachfahre von Opfern des Holocaust zu sein, rechtfertige auf keinen Fall Verbrechen gegen ein anderes Volk. Ihrer Auffassung nach gehe es in der Art und Weise, wie auf die Studentenproteste reagiert werde, um eine viel größere Agenda, die auf den Abbau von Demokratie ziele.Divestment-Verhandlungen und Protestcamp-Abbau an der Brown UniversityDer Einsatz von Polizeikräften sei nicht alternativlos gewesen. Die im Staat Rhode Island gelegene Brown-Universität habe den dort aufkochenden Konflikt zwischen dem Leitungsteam und den Studenten beruhigen können, ohne die Ordnungskräfte einzuschalten. Als die Verantwortlichen konzedierten, es werde zur Frage der Investitionen in die Rüstungsindustrie Verhandlungen geben, an denen auch Vertreter der Studentenschaft teilnehmen sollen, bauten die jungen Leute ihr Protestcamp ab.Ob die gegen den Gaza-Krieg und für ein friedliches Zusammenleben im Nahen Osten kämpfende Jugendbewegung dieselbe Ausdauer entfaltet wie jene Aktivisten, die ihren Anteil daran hatten, dass sich die damalige US-Regierung Anfang der 1970er Jahre zum Rückzug aus Vietnam gezwungen sah, lässt Hirsch offen. Weil es seinerzeit in den Vereinigten Staaten noch die Wehrpflicht gab, stand für viele junge Amerikaner buchstäblich das eigene Leben auf dem Spiel. Auch meldeten sich viele desillusionierte Kriegsveteranen zu Wort.
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