Meine Freundin arbeitet in der Abschiebehaft. Wobei es „arbeiten“ nicht trifft. Sie ist Ehrenamtliche bei Amnesty International und beim Jesuiten Flüchtlingsdienst und versucht zu helfen, wo sie kann. Zweimal die Woche geht sie in die Haftanstalt, spricht mit den Geflüchteten, die dort eingesperrt werden, obwohl sie nichts verbrochen haben. Und erledigt alles, was andere nicht tun. Dabei hat sie schon einige Leben gerettet.
Unser Asylsystem sieht vor, dass Geflüchtete, wenn ein „begründeter Verdacht“ besteht, dass sie sich der Abschiebung entziehen könnten, in Gewahrsam genommen werden dürfen – und eingesperrt, bis zu drei Monate (eigentlich). Ein begründeter Verdacht kann dabei unterschiedliche Anlässe haben, beispielsweise, wenn Menschen auf der Flucht ihren Pass weggeworfen haben oder wenn sie illegal eingereist sind. Da es kaum legale Fluchtwege nach Deutschland gibt und vielen Geflüchteten sogar geraten wird, ihre Pässe loszuwerden – ihr ahnt es schon –, besteht bei beinahe jedem*r Geflüchteten potenzielle „Fluchtgefahr“. Willkür, könnte man auch sagen.
In der Abschiebehaftanstalt, in der meine Freundin arbeitet, können um die 90 Gefangene einsitzen – nochmal: die nichts verbrochen haben, als zu fliehen, ihr Menschenrecht auf Flucht und Asyl also zu nutzen – und meistens ist die Anstalt gut gefüllt. Als eine der ersten Maßnahmen im Zuge der Lockerungen nach Corona wurde die Praxis der Abschiebehaft wieder aufgenommen – auch wenn kaum abgeschoben werden konnte, weil die Grenzen vieler Staaten noch dicht waren oder gerade dicht gemacht wurden. Dass es mit allergrößtem Aufwand trotzdem versucht wird (siehe hier, hier und hier), entlarvt die Absurdität des Systems – so wie vieler Systeme während Corona.
Rechtshilfe nur mit Kampf
Die Abschiebehaftanstalt, von der ich rede, befindet sich in einem ehemaligen Jugendgefängnis. Auch wenn die Inhaftierten keine Verbrecher*innen sind, werden sie ähnlich behandelt – oder schlechter. Wer seine Rechte nicht kennt und v.a. in Deutschland auch keine Kontakte hat, hat einfach schlechte Karten. Ohne freiwilliges Engagement von Menschen wie meiner Freundin ginge hier nichts. Sie vermittelt Rechtsbeistand, es gibt tatsächlich ein paar – wenn auch nicht viele – Anwält*innen, die mit ihr Zusammenarbeiten und (Haft-)Beschwerde um (Haft-)Beschwerde schreiben. Beinahe die Hälfte der Fälle gewinnen sie dabei. Im Klartext: Um die Hälfte der Menschen sitzt dort unberechtigt ein.
Und wenn es „nur“ das wäre. Allein der Umstand, dass (deutsches!) Recht gegenüber Geflüchteten in einer Abschiebehaft – immerhin das härteste Instrument unseres Asylsystems, eines, das über Leben und Tod von Menschen entscheidet – tatsächlich nur dann umgesetzt wird, wenn sich eine weiße Deutsche (ehrenamtlich!) dafür einsetzt, also jemand, der eigentlich im System nicht vorkommen sollte – das schockiert ja eigentlich genug. Aber manchmal wird in so vielfacher Weise gegen alles Recht und Gesetz verstoßen, dass es schwer fällt, noch von Unkenntnis oder dummen Zufällen auszugehen. Wer sehr wahrscheinliche Minderjährige abschiebt, während das Gutachten noch aussteht – und klar kommuniziert wurde, dass darauf zu warten ist (hier) –, was versteht der von dem Recht, das er selbst eigentlich auszuführen hat?
Recht gibt es nur, wenn (sehr hartnäckige!) Freiwillige da sind, die sich darum kümmern. Mit meinem Verständnis von Rechtsstaat hat das wenig zu tun, ehrlich gesagt. Ohne sagen zu wollen, dass gegenüber „Kartoffel-Deutschen“ immer mit Recht und Respekt verfahren würde – aber dieses System ist so offensichtlich rassistisch, offensichtlicher geht es nicht. Es ist rassistisch und klassistisch, es nutzt alle Schwächen von ungeliebten Anwesenden und setzt seine Ideologie gegen jede Logik (Abschiebeflüge von 110.000 Euro für eine einzige Frau) und Menschlichkeit (niemand flieht ohne Motiv, das kann mir keiner erzählen) durch. Das ist nicht mein Rechtsstaat.
Kalt durch und durch
Meine Freundin hat oft noch Kontakt mit den Menschen, die sie in der Haft kennengelernt und rausgeboxt hat. Eine dieser Frauen ist heute in der Klinik, schon zuvor hatte sie Angststörungen und Traumata, nach der Haft wurden diese noch mehr. Gegen den Willen der Abschiebehaft und deren Regeln übrigens, hat meine Freundin sie da rausgeholt und als Nervenbündel persönlich in die Klink begleitet, nachdem sie mit dem Anwalt vor das Bundesverfassungsgericht ziehen musste. Um eine offensichtlich – psychologisches Attest lag vor – psychisch Kranke in einer Klinik, statt in einer Haftzelle unterzubringen – dafür braucht es in Deutschland das Bundesverfassungsgericht. Das sagt alles.
Jedenfalls erzählt sie von ihrem ersten Kontakt mit Deutschland. Sie erzählt, wie sie im tiefsten Winter am Flughafen ankam und aufgegriffen wurde, wie ihr alles genommen wurde und sie mehrere Stunden im kalten Warteraum ausharren musste – im T-Shirt.
Es ist kalt in Deutschland – auf so vielen Ebenen.
Kommentare 6
Warum verwenden Sie den Begriff „Geflüchtete“, warum nicht den korrekteren, nämlich Ausgebombte, Vertriebene. Warum setzen Sie nicht an den Ursachen für die gegenwärtige Statusbezeichnung an.
Es ist ungefähr so, als wenn auf einmal 1,2 Millionen (auch durch Deutschland verursachte) Syrien-Ausgebomte/Vertriebene an Deutschlands Türen klopfen und Deutschland startet eine Migrations-Debatte.
Ja, die, ich nenne sie einmal “Sanktionssysteme“, setzen wohl geradezu auf die Ausnahmesituation und Hilflosigkeit von Menschen, die abseits des “regulären Betriebs“ stehen, nichts geben können, sondern auf's Nehmen angewiesen sind. Das hat wohl mehr mit Klassismus, als Rassismus zu tun. Es ist ja auch im Hartz-IV-System nicht viel anders. Dass eben auch gern nach unten getreten wird und gerade die mittlere Sachbearbeiter- und/oder Vollzugsmitarbeiter-Ebene ihre kleine Macht genüßlich ausspielt, ist bestimmt auch mehr gewollt, als zugegeben würde.
Gehen Sie in Pflegeheime, Krankenhäuser - dorthin, wo Menschen auf andere Menschen angewiesen sind, so sie nicht mehr so beisammen sind, dass sie anderen fröhlichen Lebensmut vorgaukeln. Sie werden diese Kälte überall finden, eine Geschäftigkeit, die darüber hinwegtäuscht, dass sie es selbst sind, die Leiden (!) nicht ertragen können und von den Objekten der Fürsorge "wenigstens" verlangen dass sie nett und willens sind, normal zu werden. Normal wie sie, kalt gegenüber Leid und geschäftig mit allerlei Überflüssigem. Werden Sie erwachsen, aber sehen sie HIN. Besonders genau dann, wenn Sie Angst haben und davonlaufen möchten.
Ich habe mir schon im März/April – als eigentlich so gut wie alles »down« war – an den Kopf gegriffen, als ein Mordsaufwand dafür getätigt wurde, unter anderem eine Frau in den Iran anzuschieben, die dort nach menschlichem Ermessen wegen Ehebruch entweder inoffiziell umgebracht oder staatsoffiziell mit den üblichen Maßnahmen (lange Haft, Auspeitschung usw) überzogen wird.
Mit Sicherheit gab es Proteste; möglicherweise – in dem Bereich bieten unsere Qualitätsmedien, Ö/R eingeschlossen, noch Luft nach oben – wurde die Abschiebung sogar erfolgreich verhindert (oder, was wahrscheinlicher ist, zumindest aufgeschoben). Will heißen: mit »Menschlichkeit« haben die agierenden Subsysteme – also Polizei, Justiz, Jobcenter, Kassen, sonstige Behörden – nicht mal in bedingter Form was zu tun. Es ist wahr: Ohne die Intervention (zumeist) weißer Aktivist(inn)en würden selbst elementare Rechtsvorschriften mit Füßen getreten. Was in den diversen Sozialberatungen nicht anders ist. Auch hier besinnen sich Behörden und ähnliche Institutionen erst dann (ansatzweise) auf die Gesetzesvorschriften, wenn eine andere Institution am anderen Ende der Leitung ist. Und auch hier ist das Gros der Klientel: nicht geburtsdeutsch.
Grassieren tut momentan (wenns nicht gleich Morddrohungen sind, die mit Infos aus dem Polizeicomputer angereichert wurden) auch der Bereich Polizeigewalt (gegen Nicht-Geburtsdeutsche). Diesen Monitor-Bericht über Polizeigewalt gegen einen venezuelanischen Krankenpfleger (in D – nicht The United States) möchte man sich nicht ansehen. Kurz zusammengefasst zeigt die aktuelle Gesamtlage in dem Bereich, dass man sich moralingefärbtes Zeigen mit dem Zeigefinger auf die andere Seite des Atlantiks sparen kann. Die uniformierten Killer in Minneapolis wurden, wenn auch mit Hängen und Würgen, wenigstens aus dem Verkehr gezogen. Die Beamten in dem Fall, über den Monitor berichtete, haben gegen ihr schwerverletztes Opfer Gegenanzeige erstattet.
Sie werden diese Kälte überall finden
Zweifellos. Aber hier geht es um das Asylsystem. Und darum, was alles nötig ist, bevor auch nur in Einzelfällen ein Mensch gerettet werden kann.
Von mir aus exemplarisch.
"Die Beamten in dem Fall ... haben gegen ihr schwerverletztes Opfer Gegenanzeige erstattet."
Das wäre nicht der erste Fall in diesem unserem sogenannten "demokratischen" Rechtsstaat und es wird leider nicht der letzte Fall gewesen sein.
Dafür erwarten Polizeibeamte von allen Bürgern dann auch noch "Respekt". Jedenfalls sprach eine Polizeibeamtenanwärterin (3. Qualifikationsebene bzw. gehobener Dienst) in der Reportage, die ich gestern auf irgendeinem Sender gesehen habe, davon. Ist das jugendliche Naivität oder ist das Arroganz oder was ist das? Es gibt Leute, die verwechseln ganz offenkundig Respekt mit Autoritätsgläubigkeit und Untertanengeist.