Gute Nachrichten: Deutschland geht es gut. Laut einer neuen Studie ist das deutsche Nettovermögen seit 2012 um knapp 26% gestiegen. Jede*r deutsche*r Mitbürger*in über 17 verfügt den Wissenschaftlern des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge über 103.000€. Die sozio-ökonomischen Probleme sind gelöst. Doch die schnelle Ernüchterung folgt sogleich: Es handelt sich um den Durchschnittswert. Tatsächlich verfügen lediglich 10% der Bevölkerung über 56% des deutschen Vermögens – im Wert von knapp 7,2 Billionen Euro. Die untere Hälfte hingegen verfügt lediglich über 1,3% des deutschen Vermögens, also nicht einmal 1.400€/Kopf.
Die Zahlen sind an sich nichts Neues, unterstreichen allerdings wiederholt die grassierende Vermögensungleichheit in Deutschland. Ein entscheidender Faktor, auf welcher Seite der Schere man sich befindet, spielt der Immobilienbesitz. Immobilienbesitzer*innen verfügen im Durchschnitt über ein zehnmal so hohes Vermögen wie Mieter*innen. Der Faktor des Immobilienbesitzes spielte beim Nettovermögen zuvor kaum bis gar keine Rolle. Erst seit 2012, vor allem durch die Wertsteigerung von Immobilien und den rasanten Anstieg der Mieten, wirkt dieser nachweislich auf die Vermögensverteilung in Deutschland.
Die Lösung der Wirtschaftswissenschaftler klingt zunächst einmal simpel und einleuchtend: Den unteren und mittleren Einkommen müssen durch staatliche Förderprogramme „bessere Möglichkeiten zur Vermögensbildung angeboten werden, um auch drohender Altersarmut vorzubeugen“. Zudem könne eine Vermögenssteuer nicht die Ungleichheit beseitigen, da sie trotz fiskaler Mehreinnahmen nicht automatisch den vermögensschwächeren Bevölkerungsgruppen zugutekommen würde. So solle im Rahmen der vom DIW geforderten Förderprogramme privater Immobilienbesitz von staatlicher Seite stärker unterstützt werden. Hilfe zur Selbsthilfe. Privater (Immobilien-)Besitz als Problemlösung zur Vermögens- und Alterssicherung. Zwei Fliegen mit einer Klappe.
Dieser Ansatz zur Anpassung der Vermögen hin zu mehr Gerechtigkeit hinkt jedoch. Das Problem des Wohlstands – und das seiner ungleichen Verteilung – lässt sich nicht anhand von Wohlstand für alle durch Eigentum beheben. Das Zauberwort in der Debatte zur Vermögensungleichheit heißt nicht Besitz, sondern Partizipation. Denn die Logik der Vermögensproduktion in der kapitalistischen Marktwirtschaft lassen sich langfristig nicht durch kleinere Stellschrauben aufheben. Parallel zur Veröffentlichung der DIW-Studie versiegt jedoch die gesellschaftliche Debatte um Umverteilung und Mietendeckel im medienlandschaftlichen Nirgendwo. Und auch auf der politischen Bühne sieht es nicht anders aus. Gerade beim Thema Mieten scheinen alle abzuwarten, was aus dem Berliner Mietendeckel-Wagnis der rot-rot-grünen Regierung wird und wie die Sache rechtlich ausgehen wird. Getreu dem konservativen Motto: Keine Experimente. Ein Slogan, mit dem Konrad Adenauer im Bundestagswahlkampf 1957 warb und gewann.
In der aktuellen angespannten wirtschaftlichen Situation – zuhause stagniert die eigene Wirtschaft und draußen jagt ein Handelskrieg den nächsten – mahnen die „weisen“ Wirtschaftsexperten zur Vorsicht und zu einer Lockerung staatlicher Regulationen. Friedrich Merz sieht durch die Fridays-For-Future-Bewegung sogar die freie Marktwirtschaft in Gefahr. Allerdings ist genau jetzt die Zeit für ein sozio-ökonomisches (und ökologisches!) Umdenken und politische Experimente – statt eines stumpfen „Weiter so“. Die liberale Mär vom Wohlstand und Besitz für alle sowie der ewig wachsenden Wirtschaft dank des freien Marktes und Kapitalismus in Zeiten einer ökonomisch bedingten Klimakatastrophe mit ihren sozio-ökonomischen und -kulturellen Folgen ist nicht mehr tragbar.
Der deutsche Vermögens-Kuchen wächst zwar kontinuierlich, doch wie zuvor bekommt der überwältigende Großteil der Menschen ein paar Krümel ab. Das kann es nicht sein.
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