Tod der Serien-Giganten: Dieses bange Gefühl nach der letzten Folge
Streaming Mit „Succession“, „Barry“ und „The Marvelous Mrs. Maisel“ kamen gleich mehrere der erfolgreichsten Serien zu ihrem Ende. Gleichzeitig steigt die Zahl der Absetzungen. Sind die Tage von „Peak-TV“ gezählt?
„The Marvelous Mrs. Maisel“ mit Rachel Brosnahan endete im April 2023
Foto: Anthony Neste/Getty Images
Jetzt, da Succession es dem beliebtesten Satz seiner Autoren nachtat und mit dem Ende der vierten Staffel beschlossen hat, „to fuck off“, sieht sich die Fernsehwelt vor eine große Frage gestellt. Eine Frage, die bestens zu der Serie passt, in der es schließlich darum ging, wer am Ende WayStar Royco, das Medienimperium von Logan Roy, übernehmen würde. Denn: Wer oder was wird nun der Nachfolger von Succession, der vermeintlich „größten“ Drama-Serie des Gegenwarts-Fernsehens?
Im Lauf der letzten zweieinhalb Jahrzehnte – der viel gepriesenen Ära des so genannten Prestigefernsehens – hat es immer die eine Serie gegeben, die den Diskurs dominierte. Zwar mag es an wissenschaftlichen Belegen dafür fehlen, aber es gab da ein
r fehlen, aber es gab da eine gewisse Kombination aus Kritikerlob, Einschaltquoten, Preisen und Euphorie in den sozialen Medien, und die Voraussetzungen waren erfüllt. Sie wissen schon: jene Serien, bei denen man verzweifelt versucht, beim Internetsurfen nicht gespoilert zu werden, wenn man selbst mit Schauen hinterherhinkt. Serien, von denen man jedem die Ohren vollquasselt, der sich gerade nicht wehren kann. Deren Figurenporträts zur „Awards Season“ riesige Plakatwände füllen und deren Emmy- und BAFTA-Siege fast wie Ehrenrunden nach einem Pokalgewinn anmuten. Jene Serien, die einen augenblicklich zum passionierten Anhänger machen und von denen man innerhalb von zwei Wochen sieben Staffeln wie süchtig in sich reinstopft. Als noch im Büro gearbeitet wurde, nannte man es „Water-Cooler-Fernsehen“.Diese Serien haben sich tief in die Herzen und Köpfe der Fernsehzuschauer eingegraben – von Giganten wie The Wire und Die Sopranos bis hin zu Mad Men, Breaking Bad und Game of Thrones. Es ist auch kein rein amerikanisches Phänomen – in Großbritannien genossen die Serien Line of Duty und Happy Valley einen vergleichbaren Erfolg, mit großer bingewilliger Anhängerschaft.Wo sind die Erben?Wenn also Succession im Moment noch die Krone trägt, so fehlt es doch an offensichtlichen Erben. Sämtliche der bereits aufgezählten Serien haben sich Ende Mai nun endgültig von ihrem Publikum verabschiedet (wobei man im Fall von Line of Duty darauf wahrscheinlich so viel geben kann wie auf das Wort eines korrupten Polizisten). Das Breaking-Bad-Spin-off Better Call Saul endete schon 2022, Peaky Blinders, Ozark und Atlanta folgten kurz darauf. In diesem Jahr mussten die Zuschauer zeitgleich mit Succession auch Barry und The Marvelous Mrs. Maisel Lebewohl sagen; Stranger Things befindet sich derzeit in der Produktion für seine letzte Staffel. Selbst The Crown geht zu Ende – die sechste und finale Staffel wird Ende des Jahres auf Netflix erscheinen.Placeholder image-2In der Tradition hat immer wieder eine im Grunde reibungslose Übergabe von Dominanz-Serie zu Dominanz-Serie stattgefunden. Im Moment aber sieht es so aus, als würde der Staffelstab in die Luft geworfen, und keiner ist da, der ihn auffängt. Matthew Weiners Werbebranchenserie Mad Men lief bereits in der sechsten Staffel, als Vince Gilligans Breaking Bad endete, und bot sich schon deshalb als offensichtlicher Nachfolger an. Als 2015 seinerseits mit Mad Men Schluss war, befand sich der Blut-und-Drachen-Mix von Game of Thrones bereits in der fünften Staffel.Im Jahr 2023 kennt man solche langen Laufzeiten jedoch praktisch nicht mehr – von Succession gibt es vier Staffeln, von Happy Valley nur drei. Und dann wäre da auch noch der aktuelle enorme Anstieg von vorzeitigen Absetzungen von Serien nach der zweiten oder ersten Staffel. Wie sind wir hierhergekommen? Und wie geht es weiter?Ich will nicht behaupten, dass es derzeit nichts Gutes mehr im Serienbereich gäbe. Eher gibt es einfach zu viel. Jede neue Serie, die auf den Markt kommt, fühlt sich an wie ein zusätzlicher Eintrag auf einer nicht enden wollenden To-do-Liste. Jüngere Hits wie Severance, The Bear und Bad Sisters könnten auf ihre beeindruckenden ersten Staffeln durchaus weiter aufbauen und zu „großen“ Serien werden. Industry hat eine solche Steigerung bereits geschafft. Die zweite Staffel von Succession lief 2019, im selben Jahr, in dem Game of Thrones zu Ende ging, es gibt also einen Präzedenzfall. Aber eine großartige zweite Staffel zu entwickeln, ist leichter gesagt als getan, und der aktuelle Streik der Writers Guild of America (WGA) wird da leider mehr als nur ein bisschen Sand ins Getriebe der Produktion werfen, zumindest für die nahe Zukunft.Die Flut von „Content“, die das Streaming-Zeitalter mit sich brachte, ist unbestreitbar der Schlüssel zum Verständnis des Problems. In einem kürzlich erschienenen Beitrag für Slate beschrieb der Kritiker Sam Adams die derzeitige Ära des Fernsehens als „Futtertrog-TV“, das polare Gegenteil von dem, was vorher war. Er wies darauf hin, dass die neu zu beobachtende Gewohnheit der Tech-Giganten, Serien erbarmungslos und regelmäßig abzusetzen – manchmal sogar, bevor sie überhaupt ausgestrahlt werden –, eine Landschaft schafft, in der Algorithmen und die faule Ausbeutung von „Intellectual Property“ (IP), von bereits gebrandetem „geistigen Eigentum“, die innovativen Herangehensweisen und den längerfristigen Aufbau eines Zielpublikums ausstechen.Von seinem Haus in New York aus sieht Adams eine Verschiebung der Ausrichtung weg von Originalität und Qualität hin zu einer „Dollar-und-Cent-Berechnung dessen, was Menschen ein Abonnement abschließen lässt“. Er verweist auf die Anfangsjahre von Succession, 2018 und 2019, als parallel die HBO-Serie Ballers von viel mehr Abonnenten geschaut wurde. Darin spielte Dwayne „The Rock“ Johnson in einem schlecht sitzenden Anzug einen NFL-Spieler, der zum Finanzmanager wurde. Ein rücksichtsloser, geschäftstüchtiger Manager hätte unter den damaligen Umständen nicht gezögert, die Serie von Jesse Armstrong abzusetzen. Bis heute ist Succession eher ein Quotenzwerg, aber die Marke HBO baut auf den guten Ruf und das gute Image, die solche Serien mit sich bringen. Was, wenn die neue Ära des Fernsehens eine ist, in der dieser gute Ruf kein so begehrtes Gut mehr darstellt? „Prestige-TV-Fans wollen immer etwas, um das sie sich scharen können, und so werden wir uns immer etwas schaffen, das diesen Platz einnimmt“, sagt Adams. „Ob es aber so gut sein wird wie das, was davor war, bleibt abzuwarten.“Placeholder image-3Neben dem Trend zu Sendungen, die uns zu früh genommen wurden (ihr seid nicht vergessen, Fans von The OA), setzt sich zunehmend der Trend zur Miniserie durch. This Is Going to Hurt, It’s a Sin, Mare of Easttown ... die Liste ließe sich im Gegensatz zur Anzahl ihrer jeweiligen Folgen beliebig fortsetzen. Chris Aird ist Produzent bei Element, der Produktionsfirma, die in diesem Bereich mit den Sally-Rooney-Adaptionen Normal People und Conversations With Friends erfolgreich war. Trotzdem glaubt er nicht, dass der Boom der Miniserien den Tod von Serien bedeutet, die auf eine größere Dauer angelegt sind. „Es geht gerade etwas sehr Aufregendes vor sich in der Branche. Auf einmal reden alle über Serien, die ganz von ihren Figuren geprägt werden“, sagt er. „Serien, bei denen man einen ausgeklügelten Handlungsansatz mit komplexen Charakteren kombinieren kann, zu denen das Publikum immer wieder zurückkehren möchte. Für mich ist das die reinste Form des Fernsehens.“Die Dynamik der GegenwartAird hat zuvor an den britischen Hit-Serien Call the Midwife und Death in Paradise gearbeitet, beides vielleicht nicht gerade hochmoderne, aber gleichzeitig doch sehr populäre Produktionen, die beweisen, dass die Idee des Langzeitdramas nicht völlig überholt ist. Call the Midwife leistet einen enormen Beitrag für die Fernsehindustrie und wurde gerade um eine 14. Staffel verlängert, erzählt Aird. „Ich mache mir überhaupt keine Sorgen über das Ende von Peak-TV.“Jamie Morris, Programmdirektor bei Sky Atlantic, blickt ebenfalls optimistisch in die Zukunft. „Ich bin sehr gespannt auf das, was als Nächstes kommt“, sagt er. „HBO kennt dieses Gerede über das Ende einer Ära schon. Dabei ist das der Sender, der uns Sex and the City, The Sopranos und Game of Thrones gebracht hat. Es gibt immer eine gewisse Ängstlichkeit und Sorge, wenn eine dieser Serien zu Ende geht, aber sie haben Mal um Mal ihre Fähigkeit zur kreativen Erneuerung bewiesen.“ Er verweist auf die erfolgreiche Weltenerweiterung, die der Game-of-Thrones-Spin-off-Serie House of the Dragon gelang, als einer Produktion, die „unter großem Leistungsdruck stand, aber wirklich etwas geliefert hat. Das Gleiche gilt für die Videogame-Adaption The Last of Us. Diese Serien basieren zwar auf bereits gebrandetem IP, gehen aber sehr flexibel und erwachsen damit um.“Wenn man mit Experten spricht, hört man also bei denjenigen, die mit TV-Serien ihren Lebensunterhalt verdienen, einen unbedingten und sehr zuversichtlichen Glauben an die Dynamik der Dinge heraus, während es bei denen, die sich die Serien anschauen, ein unsicheres Achselzucken gibt. Beide Seiten sind sich jedoch einig, dass das Jahr 2023, wenn schon nicht den Tod, so doch zumindest eine bedeutende Veränderung in der Landschaft der Fernsehserien markieren wird. Wie alle guten Plot-Wendungen wird uns das, was als Nächstes kommt, hoffentlich sowohl überraschen als auch in angenehme Hochspannung versetzen.