Kampf gegen Erzfeind RAF: An Abrüstung war dem Staat nie gelegen

Meinung Das einstige RAF-Mitglied Daniela Klette ist gefasst, nach den anderen wird intensiv gefahndet. Eine sinnvolle Strategie im Umgang mit den Terrorist:innen hat die Republik nie gefunden
Ausgabe 10/2024
Fahndung nach den RAF-Terroristen Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg: Polizist:innen am 3. März auf einem Wagenplatz in Berlin-Friedrichshain
Fahndung nach den RAF-Terroristen Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg: Polizist:innen am 3. März auf einem Wagenplatz in Berlin-Friedrichshain

Foto: Michele Tantussi/Getty Images

Mitten in Deutschland, mitten in Berlin, 35 Jahre lang unbehelligt. Allein schon diese Bilanz lässt die Ermittlungsbehörden blamiert aussehen. Hätten sich die ehemaligen RAF-Mitglieder Daniela Klette, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg ihren Lebensunterhalt mutmaßlich nicht mittels Überfällen auf Geldtransporte oder Supermärkte finanziert, wären sie wahrscheinlich gar nicht ins Raster des TV-Hilfssheriffs von Aktenzeichen xy ungelöst geraten. „In keinem Bereich der Kriminalitätsbekämpfung“, konstatierte der Spiegel schon 1989 hämisch in Bezug auf die ausbleibenden Fahndungserfolge, sei „das Verhältnis von Aufwand und Erfolg so ungünstig“.

Die dritte Generation und die Anonymität der Stadt

Dies galt insbesondere für die dritte Generation der RAF, der nicht nur technisches Können nachgesagt wurde, sondern auch die Fähigkeit, keine Spuren zu hinterlassen. Sich aufzulösen in der Anonymität der Großstadt und bei Bedarf den Totstellreflex zu aktivieren, war sichtlich die erfolgreichere Strategie, als in der Fremde abzutauchen, opernhaft wie die erste Generation der RAF oder klandestin wie die zweite. Diejenigen, die in der DDR Deckung suchten, hatten die List der Geschichte gegen sich.

Jetzt prangen die historischen Fahndungsplakate wieder auf Zeitungsseiten, darauf auch Konterfeis längst entlasteter Protagonisten. Die langen Tiraden über den Schrecken der RAF, denen immer noch die Furcht eingeschrieben ist, sollen auch die Jüngeren, die mit der „bleiernen Zeit“ der alten Bundesrepublik kaum mehr etwas anfangen können, daran erinnern, dass der „Krieg gegen den Terrorismus“ mitnichten erst 9/11 begann. Nun rüstet sich der Staat zum Endgefecht gegen ein Phantom. Das – man fasst es kaum – von den Fahndern zunächst übersehene Kriegswaffenarsenal“ im Schrank von Klette legitimiert vorab den Schusswaffengebrauch, vor dem umgekehrt seitens der Untergetauchten gewarnt wird. Vor einem Jahr erinnerte der NDR daran, dass die Vorgänge in Bad Kleinen 1993, bei denen der RAF-Mann Wolfgang Grams ums Leben kam, noch immer nicht endgültig aufgeklärt sind.

An Aufklärung oder gar Abrüstung gegen seinen Erzfeind war dem Staat nie gelegen. Als die RAF im April 1992 erklärte, sie wolle sich „aus der Eskalation zurücknehmen“ und ihre Angriffe auf Repräsentanten des Staates einstellen, da setzte er statt auf die Versöhnung signalisierende Kinkel-Initiative lieber weiter auf seine zwielichtigen und, wie sich dann zeigte, unglaubwürdigen V-Leute. Und es ging auch nie nur darum, die letzten noch frei herumlaufenden Figuren zu fassen, sondern um das Schweigekartell der RAF – das einzig Fassbare, das dieses selbst ernannte politische Himmelfahrtskommando bis heute zusammenhält. Im Schweigen war sich die RAF mit der Kriegsgeneration, der sie den Krieg erklärt hatte, immer eins. Kaum zu erwarten, dass die ergrauten Besiegten sich nun symbolisch unterwerfen.

Wie immer dieses „Endgefecht“ nun ausgehen mag, schon jetzt wird es wie in den 1970er-Jahren begleitet vom Trommelwirbel der Sicherheitsbehörden, die den erweiterten Einsatz der KI-Erkennung fordern. Die Ausweitung polizeilicher Befugnisse und Strafrechtsverschärfungen sind so eng mit der RAF verknüpft, dass man sich wundern würde, sie blieben aus. Für die Linke war das übrigens schon vor 50 Jahren ein Problem, wovon der Staat profitierte. Nur dass es heute kaum mehr jemanden gibt, der sich dagegen stemmt.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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