Die Faltung der Welt, meint Anders Levermann, könnte einige der größten Probleme der Menschheit lösen. Er ist Physiker und Klimawissenschaftler sowie Co-Autor bei den Sachstandsberichten des UN-Weltklimarats (IPCC), mit diesem Buch beschreitet er einen weiteren Weg.
„Faltung“ beschreibt in der Mathematik beziehungsweise Physik ein Phänomen der Chaos-Theorie. Es besagt im Kern, dass ein Objekt innerhalb eines klar eingegrenzten Raumes unendlich viele Möglichkeiten habe, sich zu bewegen, und, ganz entscheidend: dass es diese Möglichkeiten zwangsläufig finde – im Gegensatz zu einem Objekt, das sich frei in unendlichem Raum bewegen kann. Levermann überträgt diese Faltungstheorie auf die Menschheit der begrenzten Erde. Die Grenz
ten Erde. Die Grenzen sind durch ein Klima gegeben, das menschliche Existenz ermöglicht, und durch die Endlichkeit der Ressourcen, die der Mensch verbraucht.Was den Klimawandel angeht, steht Levermann fest auf dem Boden der Szenarien des IPCC. Danach ist es notwendig, den CO2-Ausstoß schnellstmöglich auf null zu bringen, um die Erderwärmung zu stoppen. Wobei er durchblicken lässt: Das Zwei-Grad-Ziel ist kaum noch zu erreichen, eher wird es auf zwei bis drei Grad hinauslaufen.Dazu muss sich allerdings die gesamte Menschheit um die Mitte dieses Jahrhunderts der Null-CO2-Marke nähern. Das bedeutet, es werden einige Kipppunkte überschritten werden, unter anderem wohl das Abschmelzen der Grönland-Eisplatte und auch eines Teils der Antarktis – irreversibel für Jahrhunderte, mit der Folge, dass der Meeresspiegel um mehrere Meter steigt. Allerdings im Verlauf von mehreren hundert oder sogar tausend Jahren, nicht binnen kurzer Zeit. Die Menschheit wird dann sehr wahrscheinlich vor der Daueraufgabe stehen, dem langsam ansteigenden Meeresspiegel Paroli zu bieten.Dazu kommt im Fall von drei Grad Erwärmung eine unkalkulierbare Gefahr, dass die großen Meeresströme und Luftbewegungen entlang des Äquators – die Jetstreams – aus der Bahn geraten. Extremwetterereignisse werden in diesem Szenario deutlich häufiger, von denen jedes einzelne für die betroffene Region Katastrophenalarm bedeuten kann. Mehrere davon, falls sie zeitlich zusammenträfen, könnten ganze Staaten an den Rand des Ruins bringen. Hier sieht Levermann die größten Risiken für die Menschheit, denn er fürchtet, dass solche gehäuften Katastrophen nicht nur den Wohlstand, sondern überhaupt die ganze Lebensart der heute hochentwickelten Länder gefährden könnten. An gleicher Stelle betont er, dass eine endlose, sich aufschaukelnde Erwärmung nicht zu befürchten ist, sofern der CO2-Ausstoß gestoppt wird. Kein Kipppunkt also diesbezüglich.Levermann wagt nun, ausgehend von der Faltungstheorie, Empfehlungen an die Politik. Sie müsse klare Grenzen setzen, anstatt „Mikromanagement“ zu betreiben. Denn Mikromanagement bremse Kreativität von Forschung, Entwicklung und Wirtschaft. Größtmögliche Freiheit dieser drei Bereiche sieht er nämlich als unverzichtbaren Motor für eine gedeihliche gesellschaftliche Entwicklung. Was er damit meint, erläutert er anhand der im Sommer stattgefundenen Debatte um das Heizungsgesetz. Mikromanagement sei es, eine bestimmte Heizungsart vorschreiben zu wollen. Faltung dagegen die Einigung auf einen konkreten Zeitpunkt, ab dem Heizungen kein CO2 mehr ausstoßen dürfen. Der Rest ist der Kreativität der beteiligten Marktteilnehmer überlassen. Entsprechend wäre Faltung global gesehen ein fixer Zeitpunkt für Klimaneutralität.Levermann glaubt, mit derselben Methode – sich auf klare Grenzen einigen, aber innerhalb dieser möglichst keine Freiheiten beschränken – könnte man auch andere Probleme in den Griff bekommen: den Ressourcenverbrauch, indem man einen Zeitpunkt für Null-Ressourcen-Verbrauch festlegt; ausufernde Marktmacht einzelner Unternehmen, indem man eine maximale Umsatz- oder Gewinngröße festlegt; übermäßigen privaten Reichtum, indem man eine maximal vererbbare Geldmenge festlegt; unkontrollierbaren Wertpapierhandel, indem man eine maximale Geschwindigkeit beim automatisierten Trading an den Börsen festlegt.Gut möglich, dass Levermann mit seinem Buch ein bleibendes Narrativ für die Debatte um Wachstum allgemein und Klimawandel im Besonderen in die Welt gesetzt hat. Akteure sind allerdings nationale Gesellschaften und (mehr oder weniger) selbstständig agierende Individuen mit eigenen Interessen. Die Faltung der Welt wird wohl vorläufig ein Narrativ von Utopisten bleiben.Placeholder infobox-1