Warum Frau vor dem Bär im Wald keine Angst hat

TikTok Wenn Sie wüssten, dass im Wald ein Bär und ein fremder Mann unterwegs sind, vor wem hätten Sie mehr Angst? Frauen auf Tiktok haben eine klare Meinung, die viele Männer zum Rasen bringt
Ausgabe 19/2024
Sieht der etwa gefährlicher aus als ein fremder Mann?
Sieht der etwa gefährlicher aus als ein fremder Mann?

Foto: Erik Mandre/iStock

Der Bär hat gerade seinen Meme-Moment. Und das alles wegen einer Frage, die auf Tiktok viral ging und weil Männer emotional nicht mit der Antwort umgehen konnten, die eine Mehrheit der Frauen darauf gab: „Wärst du lieber alleine im Wald mit einem fremden Mann oder einem Bären?“

Wer auch nur ein bisschen Ahnung von Statistik und dem Verhalten von Wildtieren im Wald und dem von Männern hat, weiß, dass es hier tatsächlich nur eine richtige Antwort gibt. Zumindest wenn das Ziel ist, zu überleben und körperlich unversehrt zu bleiben.

Der Bär wird einen nicht gezielt aufsuchen, er greift einen nicht grundlos an, im schlimmsten Fall frisst er einen, wenn er wirklich verzweifelt und kurz vorm Verhungern ist, aber ansonsten wird man ihm im Wald höchstwahrscheinlich überhaupt nicht begegnen. Ein fremder Mann jedoch, der einem alleine im Wald über den Weg läuft, könnte sich ganz anders verhalten und viel schlimmere Dinge mit einem anstellen, als einen einfach aufzufressen.

Männer sind gefährlicher als Bären

Während jede dritte Frau in ihrem Leben einmal Opfer sexualisierter Gewalt wird, endet nur eine winzige Zahl von Zusammenstößen mit Bären in einem direkten Angriff. Noch weniger davon gehen tödlich aus. Wer bei den Zahlen oder allgemein der Interpretation von Statistiken eine Auffrischung braucht: Es gibt zahllose Analysen auf Tiktok, die erklären, warum der Bär weniger gefährlich ist. Manche davon, wie die von @dadchats, sind sogar mit sozialwissenschaftlichem Kontext versehen, so sehr treibt der Bär Leute auf Tiktok um.

Die Reaktion einiger Männer bestätigt dabei wieder einmal nur, warum Frauen mehrheitlich den Bären präferieren. Anstatt sich zu fragen, warum Frauen sich für den Bären entscheiden, erklären Männer dort Frauen kollektiv für dumm – wir sollen endlich Wildtier-Dokus gucken, um zu begreifen, wie gefährlich Bären sind. Außerdem wollen sie wissen, woher wir die Hybris nehmen, zu glauben, wir könnten einen Bären im Kampf besiegen. Erstens: Wir wissen, wie gefährlich Bären sind, aber wir wissen auch, wie gefährlich Männer sind. Zweitens: Die Frage war, ob wir alleine lieber im Wald wären und wüssten, dass da irgendwo ein Bär lebt oder ein fremder Mann unterwegs ist, und nicht, ob wir im Wald alleine lieber einen Bären zum Duell herausfordern würden oder einen fremden Mann. Es gibt auch Kommentare, die fragen, warum Frauen lieber von einem Bären gefressen werden, als ihren Körper, wenn sie denn schon im Wald draufgehen, nicht wenigstens für das Vergnügen des Mannes herzugeben.

Und jetzt erklärt mir bitte noch einmal, warum ich weniger Angst vor einem fremden Mann als einem Bären haben sollte. Dabei wissen auch Männer eigentlich, warum Bären im Wald für Frauen weniger gefährlich sind. Wenn sie uns nachts auf dem Heimweg bitten, eine kurze Nachricht zu schicken, sobald wir zu Hause sind, sind sie nicht wegen wilder Tiere in der U-Bahn besorgt. Auf Tiktok werden Videos geteilt, in denen Mütter Vätern die Frage zu dem Bären in Bezug auf die eigene Tochter stellen. Plötzlich haben auch Männer mehr Angst vor Männern.

Männer ignorieren die Lebensrealität von Frauen

Die Reaktionen zeigen nur eins, diese Männer interessieren sich nur für ihr eigenes Ego und nicht für die Realität von Frauen. Als weiße Frau kann ich es ja auch verstehen, dass Schwarze Frauen den Trend auf Tiktok bescheuert finden, weil er, wie so oft, ihre Realität nicht vollständig berücksichtigt. Women of Color würden sich nämlich auch für den Bären entscheiden, wenn die Alternative eine fremde Frau wäre. Verständlich: Welche Frau oder auch welcher Mann, die*der erkennbar nicht weiß ist, möchte schon einer KKK-Karen alleine im Wald begegnen. Vor der muss man in der Situation mindestens genau so Angst haben, wie vor einem Mann. Nur weil ihre Realität nicht kongruent zu meiner ist, muss ich sie ihnen deshalb nicht absprechen.

Die zahlreichen Memes, die als Antwort entstanden sind, zeigen zusätzlich noch ein anhaltendes gesellschaftliches Problem im Umgang mit Frauen auf, die Opfer männlicher Gewalt werden: Eine Bären-Attacke wird, nachdem sie passiert ist, nicht infrage gestellt, niemand fragt, was man während der Attacke anhatte, den Bären trifft man nachher nicht vorm Familiengericht wegen Unterhaltsstreitigkeiten wieder oder bei der Weihnachtsfeier im Büro. Der Bär wird auch tatsächlich dafür verfolgt, was er einem angetan hat und erschossen, während die meisten Sexualtäter vor Gericht freigesprochen werden, wenn es überhaupt zu einer Anklage kommt.

Ein paar Ausnahmen gibt es allerdings: Männer wie Professor Neil, Yuval oder Dustin Poynter aka „red flag guy“ auf Tiktok, die sich regelmäßig mit dem Frauenhass auf der Plattform auseinandersetzen und andere Männer öffentlich dafür direkt kritisieren, wie sie über Frauen sprechen und mit ihnen umgehen. Wenn ich die Wahl zwischen so einem Mann und einem Bären hätte, würde ich mich hier immer für den Mann entscheiden.

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Geschrieben von

Alina Saha

Redakteurin „Online“

Alina Saha hat in Berlin und Tokio Vergleichende Literaturwissenschaften und Japanstudien studiert. 2019 kam sie als Hospitantin zum Freitag, blieb zunächst als freie Autorin und ist seit Ende 2021 Teil der Online-Redaktion. Ihre Themen sind die Klimakrise, mit Schwerpunkt auf Klimabewegungen, sowie Gesellschaft und Politik Ostasiens.

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