Kommt bald der Bagger?

Lützerath Das Oberverwaltungsgericht Münster hat das Dorf am Tagebau Garzweiler zum Abriss für den Kohleabbau freigegeben. Deutschlands Klimaziele stehen auf der Kippe
Lützerath: Ein Zentrum der deutschen Klimabewegung – selbst Greta Thunberg war schon da
Lützerath: Ein Zentrum der deutschen Klimabewegung – selbst Greta Thunberg war schon da

Foto: Ina Fassbender/AFP via Getty Images

Abgelehnt. So lautet die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster über die Beschwerde Eckardt Heukamps gegen die vorzeitige Besitzeinweisung seines Grundstücks an RWE.

Heukamp ist als „letzter Landwirt von Lützerath” unfreiwillig bekannt geworden, weil er sich immer noch vehement gegen seine Enteignung durch RWE wehrt. Eigentlich hätte sein Hof bereits im Braunkohletagebau Garzweiler verschwunden sein sollen. Während er auf der Pressekonferenz in Reaktion auf das Urteil die nordrhein-westfälische Landesregierung dazu auffordert, Lützerath ein Moratorium zu gewähren, dreht sich keine hundert Meter hinter ihm der Kohlebagger, so nah ist die Grube inzwischen an das Dorf herangekommen.

Obwohl das Hauptverfahren über die Enteignung Heukamps noch nicht abgeschlossen ist, darf RWE mit der Entscheidung des OVG ab sofort mit Vorbereitungen für Abrissarbeiten auf Heukamps Grundstück beginnen. Jederzeit könnte der Konzern polizeilich die Räumung des Dorfes, in dem neben Heukamp eine wachsende Zahl Aktivist:innen lebt, durchsetzen. Die verschiedenen Gruppen der Klimabewegung vor Ort haben bereits angekündigt, Lützerath zu verteidigen. Viele Bäume im Dorf beherbergen inzwischen Baumhäuser. Die Situation erinnert an den Hambacher Forst vor dessen, inzwischen als rechtswidrig eingestufter, Räumung.

Klimabewegung kämpft in Lützerath um 1,5 Grad-Grenze

Dass die Klimabewegung derzeit so stark in Lützerath präsent ist und für den Erhalt des Dorfes kämpft, hat mit dessen Bedeutung für die deutschen Klima-Ziele zu tun. Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) würde das Ende des Dorfes auch das Ende des deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze bedeuten. Weitet sich der Tagebau auf Lützerath aus und die darunter liegende Kohle wird verstromt, wäre das CO2 Budget, das Deutschland im Rahmen des Pariser Klimaabkommens noch bleibt, mehr als aufgebraucht. Es liegt also in unser aller Interesse, dass Eckardt Heukamp seine Heimat nicht verliert.

Im Bergrecht wird die Enteignung von Personen für den Kohleabbau mit dem Allgemeinwohl und der Notwendigkeit einer gesicherten Stromversorgung begründet. Dabei wird das Allgemeinwohl heutzutage weltweit durch die Klimakrise stärker infrage gestellt als durch ausbleibenden Kohlestrom. Das Bergrecht hat daher nur noch wenig mit den aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen zu tun.

Überhaupt haben Gerichte wenig Möglichkeiten, den Klimaschutz als rechtliches Argument zu nutzen. Deshalb kann das OVG Münster in der Urteilsbegründung auch betonen, dass die Kohleförderung unter Lützerath mit dem Klimaschutzgesetz vereinbar ist. Wenn einem Konzern das Recht zugesprochen wird, Menschen zu enteignen, um Kohle zu fördern, die das deutsche Klimaziel ad absurdum führen, bedeutet das: Deutschland hat immer noch keinen effektiven Klimaschutz.

Klimaschutz muss rechtlich verankert werden

Letzten Herbst hat sich die Ampel den Erhalt aller Dörfer am Tagebau Garzweiler, mit Ausnahme von Lützerath, in den Koalitionsvertrag geschrieben. Lützerath sollte den Gerichten überlassen werden. Dabei ist die Entscheidung über die Zukunft des Dorfes eindeutig eine politische.

Juristische Entscheidungen basieren auf politischen Rahmenbedingungen. In Bezug auf das 1,5 Grad-Ziel fehlen diese. Die Regierung muss das Kohleausstiegsgesetz anpassen, darin die Restmenge der noch zu fördernden Kohle festlegen und das Pariser Klimaabkommen so endlich rechtlich bindend machen. Das hat im April 2021 auch das Bundesverfassungsgericht gefordert, als es um die Nachbesserungen des Klimaschutzgesetzes ging. Umgesetzt wurde das bisher nicht.

Das OVG, so Heukamp, habe den Ball mit der Urteilsverkündung zurück an die Regierung gespielt. Bis die sich allerdings bewegt, könnte RWE die Entscheidung selbst in die Hand nehmen und das Dorf dem Erdboden gleich machen. Deshalb fordern sie vor Ort, zumindest bis zur Entscheidung des Hauptverfahrens zur Enteignung Heukamps, ein Moratorium für Lützerath. Anfechten lässt sich die Entscheidung des OVG nämlich nicht.

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Geschrieben von

Alina Saha

Redakteurin „Online“

Alina Saha hat in Berlin und Tokio Vergleichende Literaturwissenschaften und Japanstudien studiert. 2019 kam sie als Hospitantin zum Freitag, blieb zunächst als freie Autorin und ist seit Ende 2021 Teil der Online-Redaktion. Ihre Themen sind die Klimakrise, mit Schwerpunkt auf Klimabewegungen, sowie Gesellschaft und Politik Ostasiens.

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