Eine Beziehung fürs Leben

Arbeitsmarktintegration Engagement ist wichtig, um Geflüchtete auf dem Weg in den Arbeitsmarkt zu begleiten. Fehlt es den Ehrenamtlichen jedoch an Qualifikation, kann das zum Problem werden

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Foto: imago/Gustavo Alabiso

Für Geflüchtete ist die Arbeitsmarktintegration häufig erschwert: Einerseits fehlen soziale Netzwerke, andererseits kommen die meisten Geflüchteten, wie es der Mitarbeiter einer sächsischen Beratungsstelle formuliert, „ohne Systemwissen an. Ist ja irgendwie logisch. Warum sollst du dich mit der ganzen Sache beschäftigen, wenn du aus dem Ausland kommst?“[1] Die fehlenden sozialen Netzwerke zeigen sich zum Beispiel bei der Kinderbetreuung, erklärt ein hessischer Sozialarbeiter, „weil man ja diese ganze Sozialstruktur, die man eigentlich vorher hatte, dieses: Großeltern, passt mal auf, Nachbarn, passt mal auf. Das ist ja alles weg.“ Ehrenamtliche übernehmen vor diesem Hintergrund nicht nur eine Orientierungsfunktion, sondern fungieren teilweise auch als Ersatzfamilie. Junge Geflüchtete mit prekärem Aufenthaltsstatus, berichtet uns die Mitarbeiterin einer Beratungsstelle aus Baden-Württemberg, suchten teilweise vor allem Kontakt: „Sie sprechen sehr schlecht Deutsch, maximal A2 wenn man Glück hat. Wenn sie einen schlechten Status haben, kriegen sie keinen Sprachkurs mehr bezahlt und können sich auch in der Stadt nur schwer bewegen und ihnen fehlt es an Kontakten und Möglichkeiten, Deutsch zu lernen. Das Angebunden sein an irgendwas, das ist ganz wichtig.“ Für Ehrenamtliche bedeute der Rückzug des Staates aus der Verantwortung für diese jungen Menschen eine hohe Belastung, „wenn man das als Ehrenamtlicher übernimmt, ist das sehr zeitintensiv und das macht man nicht mal einfach so nebenher. Es wird aber dringend gebraucht eigentlich.“ Das Ehrenamt sei sehr wichtig. Es gebe „Patenschaften, da ist klar, dass das eine Beziehung fürs Leben werden wird. Wir haben Patenschaften, die fahren sogar mit denen in den Urlaub und so.“ Ehrenamtliches Engagement leiste viel, lobt auch der Mitarbeiter einer niedersächsischen Handwerkskammer, „was Vermittlung in Ausbildungsplätze angeht. Aber auch Sprachvermittlung, soziale Integration. Einfach Menschen zu begleiten, mitzunehmen, vielleicht zum Sportkurs, zum Sportverein, vielleicht einfach einzuladen in Familiensituationen, wo man noch mal Sprache üben kann.“ Professionelle Angebote haben in der Regel keine ausreichenden Kapazitäten, um eine derart intensive Unterstützung zu gewährleisten. Ehrenamtliche sind zudem unabhängiger als Beratungsstellen und staatliche Institutionen, was es ihnen ermöglicht, sich parteilich für die Geflüchteten einzusetzen. „Sie müssen vor niemanden ein Blatt vor den Mund nehmen“, stellt die Mitarbeiterin eines Hamburger Projektträgers fest.

Vom ehrenamtlichen Engagement profitieren jedoch nicht alle Geflüchteten gleichermaßen, stellt die Mitarbeiterin der Beratungsstelle aus Baden-Württemberg fest: „Es gibt manche Familien oder Einzelpersonen, die charismatisch sind und die man sehr schnell sympathisch findet und denen man dann gerne hilft. Denen wollen dann alle helfen und die sind dann eher überbetreut und kommen in die Bredouille, weil man dann vielleicht nicht unhöflich sein will und dann bei jedem sagt, ‚ja, klar, hilf mir‘ und dann kümmern sich am Ende, jetzt übertrieben, vier Leute ums Gleiche und das führt dann wieder zu Verärgerung, wenn die Ehrenamtlichen das merken, dass schon viele andere dran sind. Viele Leute, die vielleicht erst mal nicht so sympathisch sind oder nicht so ein Charisma haben oder sich vielleicht sprachlich schlechter ausdrücken können, die fallen unter den Tisch. Diese Leute fallen oft hinten runter.“ Die Koordination derjenigen, die Geflüchtete im Alltag und auf dem Weg in den Arbeitsmarkt begleiten, ist teils schwach entwickelt. „Teilweise sind an einem Flüchtling drei oder vier Personen, Institutionen oder sonst was dran, ohne dass die voneinander wissen, was natürlich auch selten förderlich ist“, erzählt uns die Mitarbeiterin des Hamburger Projektträgers.

Ein Problem des ehrenamtlichen Engagements sei fehlendes Wissen, erklärt der Mitarbeiter einer Hamburger Beratungsstelle, „dass die Ehrenamtlichen zum Teil durch Desinformation oder Falschinformation in eine Beratung hinein gehen und dann unter Umständen Versprechungen machen, die nicht eingelöst werden oder sich mit Asylgesetzmäßigkeiten nicht auskennen und deshalb falsch beraten.“ Die Mitarbeiterin des Hamburger Projektträgers kritisiert, dass manchmal „gut gemeint“ nicht immer „gut gemacht“ sei. Die Ehrenamtlichen, konstatiert sie, seien sich teilweise der Folgen ihres Handelns nicht bewusst: „Das fing am Anfang an mit Beratungsempfehlungen, bei denen sich Leute angemaßt haben, ausländerrechtliche Teilberatungen durchzuführen, nur weil sie irgendwo an einem Wochenendworkshop teilgenommen haben, bis hin zu an die Öffentlichkeit gehen mit irgendwelchen Sachen, ohne sich darüber im Klaren zu sein, ob durch diese Öffentlichkeit dem Fall eher geschadet wird. Das sind Beispiele, die typisch sind, glaube ich, für ehrenamtliche politische Arbeit.“ Hinzu komme in einigen Fällen ein paternalistischer Umgang mit den Geflüchteten.

Man habe bei Ehrenamtlichen, berichtet die Mitarbeiterin einer niedersächsischen Beratungsstelle, „manchmal den Eindruck, dass es eben kein Empowerment ist, was sie betreiben, sondern das ist ein: ‚So ist das und so musst du das machen und ich schicke dich dahin und dies und das!‘“ Entsprechende Probleme zeigen sich auch im Prozess der Arbeitsmarktintegration, stellt der Mitarbeiter der niedersächsischen Handwerkskammer fest: „Problematisch ist es immer, wenn die Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht bekannt sind, Instrumente der Förderung nicht bekannt sind und jungen Flüchtlingen falsche Vorstellungen vermittelt werden. Weil der Kontakt bei Ehrenamtlichen mit der Arbeitsmarktsituation nicht unbedingt da ist. Was ja auch kein Vorwurf ist, ist ja auch nicht deren Job, das einzuschätzen. Aber das kann durchaus problematisch sein. Zum Beispiel, wenn ich in einer Beratungssituation merke: Okay, die sprachlichen Fähigkeiten reichen nicht aus, um die Ausbildungsinhalte zu erlernen. Eigentlich braucht man eine Einstiegsqualifizierung oder ein Praktikum. Der Mensch ist sich dessen vielleicht auch bewusst, aber die ehrenamtliche Begleitung sagt: ‚Nee, nee! Der kann was, das ist ein Guter und der soll jetzt in eine Ausbildung.‘“ Er sei ein absoluter Gegner davon, „dass man den jungen Menschen Berufe aufzwingt. Das war leider in vielen Gesprächen, bei denen die Ehrenamtlichen dabei waren, so. Dann haben wir 99 Prozent der Zeit mit dem Ehrenamtlichen gesprochen, während der Geflüchtete daneben saß, sich zu nichts geäußert hat und dann wurde oftmals gesagt: ‚Aber das ist doch gut, das kannst du doch machen, das machst du jetzt, das ist ein guter Weg.‘ Das ist etwas, was ich sehr kritisch sehe. Das sind eigenständige Menschen.“ Die Mitarbeiterin der Beratungsstelle aus Baden-Württemberg erzählt vom Extremfall eines Geflüchteten, der gesagt habe: „‘Ich habe da so eine Ehrenamtliche, ich habe keine Ahnung, was ich mit der machen soll, die klingelt jeden Tag und ich will mit der nicht reden.‘ Und dann ging das so hin und her und die große Frage war: ‚Ich habe mit der Person ja überhaupt keinen Vertrag unterschrieben. Wie werde ich die jetzt wieder los?‘.“

Das ehrenamtliche Engagement, so die Erfahrung der meisten unserer Interviewpartner, hat seit 2015 deutlich nachgelassen. Exemplarisch konstatiert die Mitarbeiterin der Beratungsstelle aus Baden Württemberg, dass das Ehrenamt sich sehr verändert habe: „Die meisten Leute, die sagen, sie wollen sich ehrenamtlich engagieren, sagen, sie haben maximal eine Stunde oder zwei in der Woche Zeit und mehr nicht. Also die Leute, die jetzt hierherkommen, und uns ehrenamtlich unterstützen wollen, die sagen, sie wollen das sehr eingegrenzt. Auch die Leute, die wirklich immer noch motiviert sind, haben die Erfahrung gemacht, wenn ich eine Person begleite, was da alles kommt und dass das nie aufhört. Es ist einfach so zeitintensiv durch das ganze Asylsystem und die Bedingungen. Ich glaube dadurch sagen die Leute: ‚ich will mich weiterhin engagieren, aber sehr begrenzt, so dass ich absehen kann, was da auf mich zukommt‘.“ Es sei „tatsächlich gerade unheimlich schwer jemanden zu finden“, der Geflüchtete beim Lernen für die Ausbildung unterstützt. Die Folgen der fehlenden Unterstützung reichen vor allem für Geflüchtete, die aufgrund ihres Aufenthaltsstatus nur einen eingeschränkten Zugang zu professioneller Unterstützung haben, von Schwierigkeiten im Prozess der Arbeitsmarktintegration bis hin zu sozialer Isolation. Der Mitarbeiter der sächsischen Beratungsstelle berichtet, es gebe einige junge Geflüchtete, die „dann auch alles hinschmeißen, komplett den Kopf in Sand stecken. Das kann man ja auch nachvollziehen. Die haben hier nie Fuß gefasst. Die sind eigentlich gefühlsmäßig nirgendwo Zuhause.“ Vor diesem Hintergrund erscheint es einerseits notwendig, professionelle Unterstützungsangebote auszuweiten, dauerhaft zu finanzieren und unabhängig vom Aufenthaltsstatus zu öffnen. Andererseits braucht es angesichts des Rückzugs des Staates aus der Verantwortung für bestimmte Gruppen von Geflüchteten ehrenamtliches Engagement, das im Alltag reflexive Formen der zivilgesellschaftlichen Unterstützung fortführt und wiederbelebt.

[1] Die Zitate sind Interviews entnommen, die im Rahmen des durch das BMBF geförderten Forschungsprojekts „Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland“ (www.welcome-democracy.de, Laufzeit: 10/2017-09/2020) geführt wurden. Sie wurden sprachlich geglättet.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Doreen Bormann / Nikolai Huke

Wir forschen im durch das BMBF geförderten Projekt "Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland" zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten.

Doreen Bormann / Nikolai Huke

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