„Geliebte Köchin“ mit Juliette Binoche: Von purer Sinnlichkeit

Kulinarisch „Geliebte Köchin“ von Regisseur Trân Anh Hùng ist ein Appell für Hingabe und gutes Essen. Angesiedelt in der wunderschönen französischen Provinz mit Juliette Binoche in der Hauptrolle, ist der Film ein Fest für die Sinne
Ausgabe 06/2024
Star-Besetzung: Julitte Binoche und Benoît Magimel in „Geliebte Köchin“
Star-Besetzung: Julitte Binoche und Benoît Magimel in „Geliebte Köchin“

Foto: Stephanie Branchu/CURIOSA FILMS

Bräuche, aber keine Regeln; eine Parade, aber keine Ordnung! Keine Luft, keine Logik, keine Linie!“ Was hier kritisiert wird, ist nicht etwa eine Kriegstaktik, sondern eine Mahlzeit. Keine ganz gewöhnliche Mahlzeit, muss man zugeben. Der in seiner Umgebung als „Napoleon der Kochkunst“ bekannte Großgrundbesitzer Dodin Bouffant (Benoît Magimel) war mit Freunden, allesamt Gourmets aus Leidenschaft, von einem „eurasischen Prinzen“ zum Dinner eingeladen worden.

Das Gelage dauerte mehr als acht Stunden; die Liste der Speisen, die kredenzt wurden, beinhaltete mehr Posten, als gediegene Restaurants auf ihren gesamten Menükarten führen. Einer der Freunde Dodins berichtet, wie er zwischendurch gedacht habe, er könne nicht mehr, aber er habe sich dann zusammengerissen. Doch die Üppigkeit ist keineswegs das, was Dodins Kritik weckte, nein, er kommt nicht darüber hinweg, wie man so unsensibel sein kann, das Mandelgebäck nach dem Eis zu servieren! Wo doch jeder weiß, dass das Eis die Sinne lähmt und einlullt, man also danach so etwas Feines wie Mandelgebäck gar nicht mehr zu schmecken versteht!

Mit Geliebte Köchin adaptiert der französische Regisseur Trân Anh Hùng eine Erzählung des Schweizer Schriftstellers Marcel Rouff (1877 – 1936), der in La vie et la passion de Dodin Bouffant, gourmet dem Typus des französischen Feinschmeckers à la Jean Anthelme Brillat-Savarin Reverenz erwies; Männern, die aus ihrer Passion für gutes Essen eine Kultur kreierten und damit vor allem auch das Schreiben, den Diskurs darüber erfanden und beförderten. „Man sagt, sie seien eine Künstlerin!“, heißt es folgerichtig über Eugénie (Juliette Binoche), Dodins Köchin, die aber bescheiden abwinkt.

Der Film wirkt in mehrfacher Hinsicht wie aus der Zeit gefallen: Sein Setting ist eine idealisierte französische Provinz des ausgehenden 19. Jahrhunderts und der Hauptschauplatz die geräumige Küche eines Landsitzes, die direkt auf einen üppigen Garten hinausgeht. Hier lodert die Kohleglut in mehreren Öfen gleichzeitig, während auf den verschiedenen Arbeitsflächen die allesamt frischen Ingredienzen zur Zubereitung herumliegen: Eier, Zwiebeln, Lauch und Karotten, Kräuter aller Art, ein Kalbskarree, ein ganzer Heilbutt und, und, und. Fast wähnt man sich in einem Edeka-Werbespot.

Zwischen Zutaten, Pfannen und Töpfen sieht man die Schauspieler agieren: Binoche als Köchin Eugénie, die konzentriert den Überblick behält, die Magd Violette (Galatéa Bellugi), die ihr zur Seite steht, aber sichtlich wenig von der „Kunst“ begreift, und Dodin, der selbst von Zeit zu Zeit mit Hand anlegt, nicht zuletzt, um der kleinen Pauline (Bonnie Chagneau-Ravoire) einige Grundsätze zu vermitteln. Zum Beispiel darüber, was eine „geklärte“ Bouillon von einer ungeklärten geschmacklich unterscheidet. Pauline, eigentlich nur kurzer Gast in der Küche, hatte ihr Potenzial fürs Gourmet-Wesen offenbart, weil sie in der Lage war, die mehr als zehn Zutaten der „Sauce bourguignotte“, die Dodin gerade gekocht hatte, quasi blind zu erraten.

Diese Sequenzen des Kochens, Bratens und Backens sind sehr weit weg von der Hektik und dem Stress moderner Küchenerzählungen wie The Bear. Die Gemächlichkeit allein lässt sie fast altmodisch-pittoresk erscheinen. Umso mehr gilt das für die Szenen, in denen Dodin mit seinen fünf Freunden in der guten Stube des Anwesens die Früchte dieser Mühen genießt. Die Herren, alle mit ehrbaren bürgerlichen Berufen wie Arzt oder Advokat, prosten sich mit Sentenzen zu wie „Gott hat das Wasser geschaffen, der Mensch den Wein“ und sinnieren darüber, dass selbiger Mensch (französisch eben „l’homme“) das einzige Tier sei, das trinke, ohne Durst zu empfinden. Sie essen mit Lust und lieben es gleichzeitig, den Genuss zu analysieren. Als Violette die „Omelette norvégienne“ hereinbringt, einen mit Eis gefüllten und von flambiertem Baiser umhüllten Kuchen, erklärt einer von ihnen, wie gut das Eiweiß als Isolator wirke, sodass das Eis selbst im Backofen nicht schmelze. Es handle sich um ein wahrhaft „wissenschaftliches Dessert“!

Den romantischen Spannungsbogen des Films, in dem Dodin von Eugénie endlich das Jawort bekommt, um das er offenbar seit fast 30 Jahren wirbt, unterspielt Regisseur Trân Anh Hùng neben den Gourmet-Diskursen so gekonnt, dass man als Zuschauer kaum merkt, wie nah einem die Geschichte schließlich doch geht. Was man zuerst noch mit Misstrauen sah, das nostalgische Schwelgen in den Traditionen alter Zeiten, wird im Lauf des Films zu einem Appell für nichts weniger als die Sinnlichkeit selbst und das gepflegte Gespräch darüber. Und daran ist gar nichts Altmodisches mehr.

Eingebetteter Medieninhalt

Geliebte Köchin Trân Anh Hùng Frankreich 2023, 135 Minuten

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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