Cheri Cheri Thomas!

Glosse In Rheinland-Pfalz weiß man, wie gute Kunstförderung funktioniert: Man vergibt einen Preis an einen Pop-Dino aus den 80er-Jahren. In diesem Falle Thomas Anders. Aber sonst ist ja kulturpolitisch auch alles bestens im Winzerland
Hat allen Grund zu feiern: Thomas Anders erhielt den Kulturpreis der Stadt Koblenz
Hat allen Grund zu feiern: Thomas Anders erhielt den Kulturpreis der Stadt Koblenz

Foto: Marco Steinbrenner/Kirchner Media/picture alliance

Wie lange haben wir nun darauf gewartet, geradezu hingefiebert – bis Thomas Anders, einer der beiden Pop-Kastraten des 80er- und 90er-Jahre-Duos Modern Talking, endlich den Kulturpreis der Stadt Koblenz erhält. Es wäre ja auch überraschend, wenn nicht gar unredlich gewesen, aus der sonst so kulturlosen Gegenwart irgendeine vermeintlich besondere Persönlichkeit aus den Bereichen Wissenschaft und Kunst zu küren. Um Konkurrenz hätte Anders wohl nur fürchten müssen, wenn etwa Mario Barth oder Désirée Nick einen Koblenz-Bezug (so eine Voraussetzung für die Auszeichnung) aufweisen hätten können.

Und so passend und zeitgemäß der Preisträger, so erlesen fällt auch seine Laudatorin aus: Julia Klöckner. Sie hat schließlich auch Kulturexpertise vorzuweisen, nämlich als ehemalige Deutsche Weinkönigin auf dem Feld der, Sie ahnen es schon, Weinkultur. Die Bedeutung des Werks des Sängers präsentiert sie auf Facebook aber vorbildlich unbeduselt. „Musik“, so ihre Weisheit, sei „als Form von Kunst […] immer ein Spiegel der Gesellschaft. Und Musik ist ein Ventil – gerade in Krisenzeiten.“

Schlager statt Staatstheater?

Nun kann man in dieser Prämierung eines Mannes, dessen große Ära mehr als zwei Dekaden zurückliegt, durchaus eine Provinzposse sehen, aber sie steht indessen paradigmatisch für ein lang währendes, kulturpolitisches Versagen in Rheinland-Pfalz. Zwar lässt sich die Ministerpräsidentin Malu Dreyer immer gern bei der Vergabe des einzig überregional bekannten Preises des Landes, der Carl-Zuckmayer-Medaille und der Eröffnung des Festivals des Deutschen Films in Ludwigshafen ablichten, überlächelt aber konsequent alle kritischen Nachfragen zum beschämenden Kulturetat. Seit Jahren firmiert Rheinland-Pfalz mal auf dem letzten, zeitweise hinteren Plätzen der Pro-Kopf-Ausgaben. Es verfügt lediglich über ein Staatstheater und keine einzige Institution, die vom Netzwerk der Literaturhäuser anerkannt wird. Um den Missstand zu kaschieren, werden dagegen einzelne Leuchtturmprojekte wie die alljährlich stattfindenden Wormser Nibelungen-Festspiele in das Schaufenster der Öffentlichkeit gestellt.

Woran es sowohl in den ministeriellen als auch kommunalen Verwaltungseinheiten mangelt, sind neben den fehlenden monetären Ressourcen aber insbesondere ein Bewusstsein und Expertise. Nennenswerte Künstler:innen und Literat:innen verlassen oft das Land, weil die nötige Infrastruktur für kreatives Arbeit nicht vorhanden ist. Vonnöten wären vornehmlich zwei nicht billig zu habende Bekenntnisse: zum einen der Wille zur verstetigten Finanzierung von Institutionen (entgegen der Ansicht einiger grüner Kulturpolitiker:innen im Land, die am liebsten alles in die freie Szene investieren würden), zum anderen die dringliche Sicherstellung flächendeckender Zugangsmöglichkeiten zu Kunst und Kultur. Beispielsweise fragt man sich, warum eine Universitätsstadt wie Landau in der Pfalz noch nicht einmal dazu bestrebt ist, ein Stadttheater haben zu wollen, wie es in vielen mittelgroßen Zentren mit ähnlicher Bevölkerungsstruktur in der Bundesrepublik anzutreffen ist. Zu diesen Überlegungen genauso wie zum Preis an Thomas Anders fällt einem schlussendlich nur der Leitspruch der Winzerregion ein: Zum Wohl. Die Pfalz!

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