Berlin ist wieder im Wahlkampf und ausgerechnet die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ hat die ersten Plakate geklebt. „Immobilienlobby abwählen“, konnte man schon am Morgen nach dem denkwürdigen Urteil des Verfassungsgerichtshofs in der Hauptstadt lesen – gemeint sind die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und ihr Senator für Stadtentwicklung Andreas Geisel (beide SPD), die CDU, die in Umfragen derzeit knapp vorne liegt, sowieso.
Dabei ist der Volksentscheid selbst von der Wahlwiederholung nicht betroffen, einfach, weil niemand gegen diese Abstimmung Einspruch eingelegt hat. Egal, was im Februar passiert, in dieser Frage bleibt es beim Fahrplan, mit dem es aus Sicht der Initiative allerdings viel zu langsam vorangeht. Denn von einem Gesetz, mit dem die Pläne, die Wohnungen großer Immobilienunternehmen zu vergesellschaften, in die Tat umgesetzt werden könnten, ist man noch ziemlich weit entfernt. Stattdessen setzte der rot-grün-rote Senat erst mal eine „Expertenkommission Vergesellschaftung“ ein. Dass deren Zwischenbericht nun eine Woche vor seiner offiziellen Vorstellung geleakt wurde, konnte einerseits den Linken Rückenwind für ihren Parteitag verschaffen, andererseits die Enteignungsgegner in die Arme von SPD, CDU und FDP treiben – oder auch einfach nur ein gewisses Extra an medialem Interesse sicherstellen.
Die Kommission räumt auf
Tatsächlich ist der Zwischenbericht nicht mehr, als sein Name sagt. Die Kommission räumt die vielen komplexen Fragen auf dem Weg zu einer verfassungskonformen Vergesellschaftung nicht aus dem Weg, sondern allenfalls ein bisschen auf. Hat das Land Berlin überhaupt die Gesetzgebungskompetenz für ein Vergesellschaftungsgesetz? Wohl schon, dieser Punkt ist deutlich weniger umstritten als beim gescheiterten Mietendeckel. Wie hoch müsste eine Entschädigung ausfallen? Keine konkreten Zahlen, aber Abschläge vom Verkehrswert können rechtmäßig sein. Gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den das Bundesverfassungsgericht an alles staatliche Handeln anlegt? Jedenfalls ist ein anderer Maßstab anzulegen als bei einer klassischen Grundrechtsprüfung, was und wie genau geprüft werden muss, ist aber umstritten – und eine der spannendsten Fragen.
Das alles ist gar nicht so schlecht, auch wenn es aus Sicht der Initiative nach Zeitschinderei aussieht. Immerhin wird ernsthaft, auf hohem Niveau und nun auch öffentlich über Artikel 15 des Grundgesetzes diskutiert – eine Norm, die bisher in der Staatsrechtsvorlesung während des Jura-Studiums gern mal übersprungen wurde, weil sie als derartig irrelevant galt.
Genau solche Vorarbeiten sind notwendig. Auch über Artikel 20a des Grundgesetzes, dem vom staatlichen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Verantwortung für die künftigen Generationen, wurde lange theoretisiert, bis Karlsruhe ihn mit dem Klimaschutz-Beschluss zum Leben erweckte.
Mit guten Argumenten allein wird aus „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ nichts, mögen die Mieten in Berlin auch gerade wieder innerhalb eines Quartals um 8,3 Prozent gestiegen sein. Es braucht vor allem eine Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus, die ein solches Gesetz will. Ob die nach der Wahl im Februar bestehen wird, ist offen. Es gibt aber immer weniger Gründe, politischen Unwillen hinter angeblicher juristischer Unmöglichkeit zu verstecken.
Annelie Kaufmann ist Redakteurin bei Legal Tribune Online
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