Natürlich warm: Wie man Häuser ohne Heizung und Kamin baut und trotzdem nicht friert
Architektur Ein Haus ohne Heizung? Das ist gut fürs Klima und erspart einem den Kauf von teurem Gas. Doch noch ist diese Bauweise ein Nischenphänomen. Und das liegt nicht zuletzt an der starken Wohnungswirtschaft
Dämmen, intelligent belüften, Solaranlage aufs Dach – und dann noch den Watt-starken Wärmestrom nutzen, den ein menschlicher Körper abgibt!
Foto: MAŠA STANIĆ/Connected Archives
Ein Haus ohne Heizung, und selbst im kältesten Winter friert man nicht? Das geht! Allerdings muss man sich ein wenig umstellen, denn das Klima in diesen Häusern ist anders als in Räumen, die mit Zentralheizung beheizt sind. „Sogar besser“, sagen die wenigen Architekten, die sich dieser vielversprechenden Nische widmen.
Die Bewohner dieser Häuser verzichten nicht nur auf die Investition einer Heizungsanlage, sondern auch auf die enormen Folgekosten wie Wartung und Kauf von teurem Heizöl oder Gas. In Zeiten exorbitanter Energiepreise müssten solche Gebäude doch eigentlich wie Pilze aus dem Boden sprießen, oder? Doch unser Kapitalismus, allen voran unsere Bau- und Wohnungswirtschaft, ist nach wie vor auf das fossile Geschäft eingestellt.
Pilze aus dem Boden sprießen, oder? Doch unser Kapitalismus, allen voran unsere Bau- und Wohnungswirtschaft, ist nach wie vor auf das fossile Geschäft eingestellt.Einen wegweisenden Fünfgeschosser in Holzbauweise ohne Heizung entwarf im Jahr 2014 das Architekturbüro Thoma. Und zwar im winterlich kalten Zweisimmen bei Bern. Im Extremfall kühlt es in der Schweizer Stadt im Februar nachts auf minus 23 Grad ab. Und ausgerechnet dort soll man ohne Heizung und ohne Solaranlage wohnen können? Tatsächlich gibt es nicht mal einen Kamin mit Feuer in dem Gebäude. Wie kann das funktionieren?Kälter als 18 Grad wird es nieIn den unteren zwei Geschossen befinden sich Büros, in den oberen drei Geschossen Wohnungen. Die Lösung liegt in einer atmungsaktiven Holzhülle ohne Dampfsperren und Folien. Die sorgt dafür, dass die Luftqualität hervorragend bleibt. „Beinahe jeder Fachmann würde zu so einer Idee unmöglich sagen“, heißt es von Thoma. Seit nunmehr fast zehn Jahren wohnen nun Menschen dort. Vorbild war das „Nullheizenergiehaus“, das der Architekt und Energieingenieur Andrea Rüedi schon in den 90er Jahren in Trin, Graubünden, schuf. Die fehlende Heizung machen große Fensterwände nach Süden und Wärmespeicher in Decken, Böden und Wänden wett. Außerdem gibt es eine Dämmung mit einer 30 Zentimeter dicken Schicht aus Zelluloseflocken.Thoma verschlankte das Konzept und verwendete zur Dämmung Flachsfasern. Die Sonneneinstrahlung im Winter wärmt das Haus auf. Doch auch für trübe Tage ist gesorgt: Eine ausgeklügelte Technologie sorgt dafür, dass das Haus nicht auskühlt. Jedenfalls wurden im Winter nie Temperaturen unter 18 Grad gemessen. Zudem, das wird Umweltfans freuen, erfolgte der Bau des Hauses nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip: Man könnte das Haus, wenn man wollte, in seine Einzelteile zerlegen und wieder in den Produktkreislauf einspeisen.Anna-Katharina Zahler, die das Architekturbüro n11-architekten in der Schweiz leitet, weist darauf hin, dass ressourcensparende Bauweise aus mehreren Gründen noch eine Nische ist. „Die gesetzlichen Bestimmungen erschweren Bauweisen, die nicht dem üblichen Standard entsprechen“, sagt sie. „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und er gewöhnt sich an die beheizten Räume und die immer konstant bleibenden Temperaturen. Anderes Raumklima und leicht schwankende Temperaturen werden als unangenehm empfunden.“Weniger vermietbare FlächeNicht dem Gesetz entsprechende Rahmenbedingungen würden von den Bewohnern bemängelt. Für die Architekten bedeutet ressourcenschonendes Bauen natürlich Mehrarbeit. Zahler: „Der Planungsaufwand ist etwas höher als bei der konventionellen Bauweise, da die Unternehmen zurzeit noch nicht auf solche Bauweisen umgestellt haben.“ Aber finanziell zahle sich der Mehraufwand aus. „Wenn Häuser mit weniger Haustechnik auskommen, sind sie auch im Unterhalt günstiger“, so Zahler.In Gräfelfing bei München schuf das Schwarz Architekturbüro mit dem Inoveo Campus ein 50 Meter langes Bürogebäude, das ohne Heizung und ohne Klimaanlage auskommt. Durch ein kluges Sonnen- und Schatten-Management erreicht man hier ein gleichbleibendes Klima in den Innenräumen. Für den Heizwärmebedarf werden die im Haus arbeitenden Personen, aber auch die Rechner, Bildschirme und die Beleuchtung eingerechnet. Und im Sommer, wenn es heiß wird, sorgt eine intensive Nachtauskühlung mit Lüftungsklappen für angenehm kühle Innenräume. Den Großteil des Stroms, der im Haus verbraucht wird, erzeugt eine Photovoltaikanlage auf dem Dach. Warum nur finden solche Häuser in der Bauwirtschaft zum jetzigen Zeitpunkt noch so selten Nachahmung?Das erklärt Hans-Günther Schwarz folgendermaßen: „Wir bauen Häuser mit einer Wanddicke von 75 Zentimetern. Das machen Wohnungsbaugesellschaften in der Regel nicht, dort sind sehr geringe Wanddicken üblich, die dann eine Dämmung mit Styropor erhalten. Wohnungsbaugesellschaften legen aber Wert auf eine große vermietbare Fläche, die man mit den dicken Außenwänden nicht erzielen kann.“ Schwarz moniert, dass Folgekosten und CO₂ -Ausstoß bisher kaum eine Rolle spielen. „Ein Umdenken der bestehenden Bauweisen ist notwendig, um weniger Energie im laufenden Betrieb zu verbrauchen.“Der Architekt zieht selber einAuf der Baustelle des ersten Ziegel-Innovativ-Neubaus in Altdorf bei Nürnberg wird nach einem Entwurf des Büros von Hans-Günther Schwarz seit Februar 2023 das „ZiHaus“ gebaut. Es ist ein kleines, autarkes Wohnhaus, das vollständig ohne herkömmliche Heizung, Kühlung und Lüftung durch Sommer und Winter kommen soll. Schwarz entwickelte diese Bauweise aus Ziegelsteinen. Wenn alles so läuft, wie er sich das wünscht, kann dieses Haus sogar Strom ins öffentliche Netz einspeisen.Luftdicht ist das Haus nicht gebaut, die einzige Technik besteht aus einer Solarelektrik mit intelligenter Steuerung. „Durch selbst entwickelte Elemente kann ich im Sommer bereits Solarenergie für den Winter speichern“, sagt Schwarz. Der Haken dabei: Dieses neue Bauen ist zwar einzigartig, aber auch noch sehr teuer. Deshalb verbindet Schwarz das autarke Haus mit vielen Erleichterungen für altersgerechtes Wohnen, damit sich die Investition wieder auszahlt: Mieter sollen geförderte Senioren-Apartments hier beziehen. Schwarz selbst wird in dem Haus wohnen, worauf er sich schon freut. Er möchte Anstoß geben für ähnliche Projekte, deshalb bietet er jeden Montagabend eine Baustellenbesichtigung an, für die sich jeder anmelden kann.Sven Wünschmann von CSD Ingenieure, die sich auf nachhaltiges Bauen und Bauphysik spezialisiert haben, glaubt: Im Angesicht der hohen Energiepreise wird in Deutschland viel zu wenig über innovative und zukunftsweisende Konzepte, was das Klima in Wohnräumen betrifft, diskutiert. Er erläutert die Hürden: „Die Gebäudehülle muss eine gute Qualität haben und gut gedämmt werden.“ Auch seien Naturbaustoffe in Deutschland eine fast vergessene Nische. Wünschmann: „Nachwachsende Baumaterialien wie Holz oder Holzwerkstoffe sowie Baustoffe, die sich gut recyceln lassen wie Lehm, helfen, eine ressourcenschonende Bauweise umzusetzen und Stoffkreisläufe zu schließen.“Warum die Bauweise wenig verbreitet istBauen, so sieht es Wünschmann, verursache eine enorme Ressourceninanspruchnahme und könne auf Dauer nur in geschlossenen Stoffkreisläufen umweltgerecht gelingen. „Besonders kritisch ist das Bauen mit Beton zu sehen.“ Beton verursache schon beim Herstellungsprozess sowie durch Freisetzen von stofflich gebundenem CO₂ sehr hohe Treibhausemissionen. Weiterhin könne Beton nicht auf gleichem stofflichen Niveau recycelt werden. „Das hat zur Folge, dass mit dem Baustoff sehr sensibel umgegangen werden muss“, so Wünschmann.Wenn man ein Gebäude nicht beheizen wolle, sind laut Wünschmann vier Prämissen zu beachten. Erstens: Es muss möglichst wenig Wärme durch die Fenster und Wände entweichen. Zweitens: Das Gebäude muss intelligent belüftet werden. „Das halte ich für eine Herausforderung für die nächsten Jahre“, so Wünschmann. Drittens: Nutzung von Solaranlagen, auf dem Dach oder auf dem Balkon. Viertens: Die Wärme der menschlichen Körper sollte möglichst gut genutzt werden. Das klingt schräg, aber tatsächlich gibt ein normal großer, 75-Kilo schwerer Mensch nur durch das Sitzen in einem mehr als 16 Grad warmen Raum einen Wärmestrom von 120 Watt ab. Wer keine Heizung haben will, sollte diese Energie nicht verschwenden.Wenn das alles funktioniert, warum ist diese Bauweise dann noch so wenig verbreitet? Die Antwort darauf lautet vermutlich auch: Weil weniger Menschen daran verdienen: Der Heizungsbauer geht leer aus; der Energielieferant guckt in die Röhre; selbst die Firmen, die Klimaanlagen herstellen, werden nicht mehr gebraucht. Angesichts der Klimakrise müssen wir uns fragen: Ist es uns das nicht vielleicht wert?Placeholder authorbio-1
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