Harvey Weinstein steht wieder vor Gericht: Wer ihm glaubt, ist Verschwörungstheoretiker!

Kolumne Das höchste Gericht von New York hat den Schuldspruch gegen Harvey Weinstein aus dem Jahr 2020 aufgehoben. Unser Autor findet: Typen wie ihm, Donald Trump oder Gérard Depardieu kann man nur glauben, wenn man auch Verschwörungsmythen anhängt
Ausgabe 19/2024
Harvey Weinstein am 1. Mai 2024 vor Gericht in New York
Harvey Weinstein am 1. Mai 2024 vor Gericht in New York

Foto: Imago

Es sieht so aus, als ob wir ab September dieses Bild wieder öfter in den Medien ertragen müssen: Harvey Weinstein wimmert vor Gericht, dass er unschuldig sei. Direkt am ersten Prozesstag sagte der Verteidiger des ehemaligen Filmproduzenten, sein Mandant sei es gewohnt, „Champagner zu trinken und Kaviar zu essen“ – jetzt kaufe er sich „Kartoffelchips und M&Ms“ in der Kantine. Schon hart, so ein Leben als verurteilter Sexualstraftäter. Aber statt seine Snacks im Knast zu mümmeln, ist Weinstein zurück vor dem Manhattan Criminal Court.

Zuvor hatte das höchste New Yorker Gericht entschieden, dass die 23-jährige Gefängnisstrafe, die Weinstein 2020 kassiert hatte, nicht rechtens war. Damals war er verknackt worden, weil er die Schauspielerin Jessica Mann vergewaltigt haben soll. Nun haben die Berufungsrichter mit einer Mehrheit von 4:3 entschieden, dass ein neuer Prozess notwendig ist. Juristisch mag das alles richtig sein. Aber es stört mein Gerechtigkeitsempfinden.

Denn eines haben Männer wie Harvey Weinstein, Donald Trump oder auch Gérard Depardieu gemeinsam: Bei ihnen wird die Unschuldsvermutung zur Verschwörungstheorie!

Oder wie wahrscheinlich ist es, dass sich die 87 Frauen, die #MeToo-Vorwürfe gegen Weinstein erhoben haben, absprachen, um einen mächtigen Filmproduzenten zu stürzen? Unter den 87 ist auch Lysette Anthony. 2017 hatte die britische Schauspielerin der Sunday Times gesagt, Weinstein habe sie in den späten 1980ern vergewaltigt. Steckt sie, eine ältere Dame, die vor Kurzem noch erfolgreich im Filmgeschäft war, etwa unter einer Decke mit den vielen jungen Schauspielerinnen und Produktionsassistentinnen, die Weinstein ebenfalls beschuldigen? Wer das glaubt, glaubt an: Verschwörungen.

Deswegen muss sich Gérard Depardieu ab Oktober vor Gericht verantworten

Bei Donald Trump ist das nicht anders. In dem Buch All the President’s Women, das 2019 veröffentlicht wurde, kann man von 43 Frauen lesen, die dem damals amtierenden US-Präsidenten sexuelles Fehlverhalten vorwerfen. Auch eine Zusammenrottung, um den mächtigsten Mann der Welt zu stürzen? Vor einem Jahr wurde Trump, immerhin in einem Fall, zu einer Strafe von fünf Millionen Dollar verurteilt, weil er 1996 die Autorin E. Jean Carroll sexuell genötigt hatte. Auf Truth Social schrieb er, das Urteil sei eine „Hexenjagd“ und er wüsste nicht, wer Carroll sei.

Das Prinzip dieser Typen ist immer dasselbe: Dutzende Frauen werfen ihnen sexuelle Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung vor, trotzdem streiten sie alles ab und bauen darauf, dass nützliche (und meist männliche) Idioten etwas von „Unschuldsvermutung“ faseln. So auch im Fall Gérard Depardieu.

Ab Oktober muss sich der französische Schauspieler vor Gericht verantworten, weil er am Filmset von Les volets verts zwei Frauen sexuell belästigt haben soll. Mehr als zwanzig andere Opfer sollen sich in der Zwischenzeit ebenfalls gemeldet haben. Trotzdem pocht Präsident Emmanuel Macron auf die Unschuldsvermutung und warnt vor „Menschenjagden“.

Ja, die Gesellschaft fiele auseinander, wenn wir nicht erst mal davon ausgingen, dass jemand eine Tat nicht begangen hat. Aber in den genannten Fällen erlaube ich mir, die Unschuldsvermutung über Bord zu werfen. Gérard Depardieu hat 2011 übrigens in einem voll besetzten Flugzeug in den Gang gepinkelt. Zuvor hatte ihn die Flugbegleiterin gebeten, noch ein Viertelstündchen einzuhalten, bis die Maschine in der Luft sei. Er nahm sie nicht ernst. Solche Typen sind das. Denen glaube ich gar nichts. Ihren Gegnerinnen hingegen: alles.

Jetzt schnell sein!

der Freitag digital im Probeabo - für kurze Zeit nur € 2 für 2 Monate!

Geschrieben von

Dorian Baganz

Ressortleiter „Wirtschaft“ und „Grünes Wissen“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin und in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Seit Mai 2024 ist er verantwortlicher Redakteur für die Ressorts „Wirtschaft“ und „Grünes Wissen“.

Dorian Baganz

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen