Ist die Mutter der Stieftochter meine Stieffrau?!

Super Safe Space Familie ist nicht selbstgewählt – wir suchen uns unsere Eltern, Großeltern, Tanten und Onkels eben nicht aus. Geht die Beziehung in die Brüche, verhält es sich ähnlich: Neue Partner:innen haben Kinder im Gepäck, nicht selten auch eine:n Ex
Ausgabe 06/2024
Verlieben sich Eltern neu, haben sie immer schon eine Familie dabei – das kann gut sein, muss aber nicht
Verlieben sich Eltern neu, haben sie immer schon eine Familie dabei – das kann gut sein, muss aber nicht

Foto: Youssef Naddam

Wie nenne ich eigentlich die Mutter meiner Stieftochter? Natürlich nenne ich sie Helen, so heißt sie schließlich – aber wie erkläre ich, wer sie für mich ist? Manchmal erzähle ich Bekannten oder Freundinnen von ihr, sie hat ein Café gegründet und einen Community Garden, sie hat einen tollen Hund, der auch häufig bei mir lebt, und wenn ich sie treffe, dann sage ich: Ich treffe mich jetzt mit meiner … und dann höre ich auf zu reden. Welchen Verwandtschaftsgrad haben wir zueinander? In der Patchwork-Logik von Stieftochter und Stiefmutter wäre sie ja meine … Stieffrau?!

Schon meine Stieftochter findet ihre offizielle Bezeichnung nicht so gut. Auch „Bonustochter“, ach nee. Sie findet „Tochter“ komisch und das „Mutter“ in der „Stiefmutter“ auch, denn wird man mit 14 noch mal die Tochter einer fremden Frau, und wird die dann echt ihre Was-auch-immer-Mutter? Wir haben darüber viel geredet und sind der Meinung: Manchmal bin ich schon mütterlich für sie, und manchmal sind wir eher wie Freundinnen. Also sagen wir so was wie: Stieffreundintochter. Stiefmutterfreundin.

Aber für ihre Mutter habe ich nun wirklich keinen guten Begriff. Klar, ich könnte einfach sagen: Ich treffe mich mit einer Freundin. Die rein zufällig die Ex-Partnerin meines Partners ist und die Mutter seiner Tochter. Aber das stimmt eben nicht, also: dieses „zufällig“. Wäre sie nicht die Mutter der Tochter meines Partners, hätten wir uns ja nie kennengelernt, und ehrlich gesagt: Mit meinen Freundinnen muss ich auch nicht meine Urlaube absprechen, oder wann deren Töchter bei ihnen sein können und wann bei uns. Helen und ich, wir sind Familie, auf ungewohnte Art.

Mit traditionellen Familienbeziehungen haben wir vor allem eines gemeinsam: Wir haben einander nicht ausgesucht. Ich sie nicht, und sie mich noch weniger. Ich hätte ja wenigstens wegrennen können, als ich sie kennenlernte: Was, mit der muss ich meine Familie teilen? Nee, danke. Sie konnte nicht vor mir wegrennen. Ich wurde Partnerin ihres Ex, ob sie wollte oder nicht.

Glücklicherweise wollte sie. Das ist ja eine Frage, die man sich selten stellt: Wie findest du es eigentlich, dass ich die Partnerin deines Ex geworden bin, die Was-auch-immer deiner Tochter? Und genau das wurde sie jetzt gefragt. Helen. Also meine Stieffrau. Von einer Journalistin, die zu Frauen in Patchworkfamilien arbeitet. Na klar, mein Herz blieb kurz stehen, denn ich weiß ja, dass ich sie mag, meine Stief-Whatever, dass ich mag, was sie so tut mit ihrem Café und Community Gardening, wie sie sie so erzogen hat, ihre Tochter, wie sie das Leben sieht und überhaupt.

Stellt sich raus: Helen freut sich auch, dass ihr Ex ausgerechnet mich ausgesucht hat. Sie erzählt, dass sie es mag, wie mitfühlend ich sein kann („empathy“ sagt sie, sie ist Britin). Und dass sie kurz Sorge hatte, bei mir zu Hause sei alles immer ordentlich. Was sich aber als Quatsch herausstellte („indeed“). Und dass sie sich freut, dass ihre Tochter eine Vertrauensperson mehr im Leben hat. Und ihr Hund einen Menschen mehr, der auf ihn aufpasst. Ob sie einen Tipp habe, für andere Mütter, die plötzlich fremde Stiefmütter in das Leben ihrer Kinder lassen müssen? „Loslassen!“, sagt Helen. „Unsere Kinder gehören uns nicht, im Bauch noch, aber nach der Geburt gehören sie niemandem, wir bringen sie auf die Welt, und dann sind sie in der Welt, wir müssen sie loslassen.“ Es ist komisch mit der Familie. Man kann sie sich nicht aussuchen, aber man würde auch keine andere aussuchen wollen.

Super Safe Space

Elsa Koester ist Freitag-Redakteurin. Am 11. Oktober 2023 erscheint ihr zweites Buch, Stiefmutter sein, bei Penguin. Abwechselnd mit Dorian Baganz, Özge İnan, Tadzio Müller und Alina Saha schreibt sie die Kolumne „Super Safe Space“.

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Geschrieben von

Elsa Koester

Redakteurin „Politik“, verantwortlich für das Wochenthema

Elsa Koester wuchs als Tochter einer Pied-Noir-Französin aus Tunesien und eines friesischen Deutschen in Wilhelmshaven auf. In Berlin studierte sie Neuere deutsche Literatur, Soziologie und Politikwissenschaft. Nach einigen Jahren als selbstständige Social-Media-Redakteurin absolvierte sie ihr Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland. Seit 2018 ist sie Redakteurin für Politik beim Freitag, seit 2020 für das Wochenthema und die Titelseite zuständig. Sie schreibt am liebsten Reportagen von den Rändern der Republik und beobachtet mit großer Spannung die Umgestaltung des politischen Systems im Grünen Kapitalismus.

Elsa Koester

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