Meine Tochter und ich sind zwei von mehr als 13 Millionen armutsbetroffenen Menschen in Deutschland. Die ersten Bio-Lebensmittel bekam ich von der Tafel. Denn die Lebensmittelausgabe der Tafel hat je nach Spendenangebot öfter Bio-Sachen, sehr zum Erstaunen meiner in Teilzeit arbeitenden Freundin. An ihre Überraschung erinnere ich mich noch gut: „Du hast Bio-Lebensmittel? Wie kannst du dir das denn leisten?!“
Die Antwort war und ist: gar nicht. Ich bekomme – seit Jahresbeginn – jeden Monat 503 Euro Bürgergeld. Darin sind 155,82 Euro für Lebensmittel und Getränke vorgesehen. Gesunde und ausgewogene Ernährung ist wichtig, aber haben Sie schon einmal versucht, mit 5,73 Euro pro Tag für sich als erwachsene Frau und mit 3,43 Euro pro Tag fürs Kind gesund einzukaufen?
Die armutsbetroffenen Menschen, die ich in meinem Umfeld kenne, würde gerne Bio kaufen, denn sie wissen um den Nutzen und die Qualität. Viele Bio-Lebensmittel schmecken auch einfach besser, ganz zu schweigen, dass für ihre Herstellung keine Pestizide eingesetzt werden müssen. Aber Bio-Lebensmittel zu kaufen, ist für mich und Millionen anderer Menschen in Deutschland nicht möglich, ohne das vorgegebene Essenbudget überzustrapazieren. Bei mir heißt das, dass ich möglichst lange keine Kleidung kaufe, möglichst keine Extras wie Bücher, und dass ich alles Mögliche versuche, um in anderen Bereichen Geld zu sparen. Denn das Wichtigste für mich ist, genug zu essen im Haus zu haben. Das gibt mir Sicherheit. Es gab Zeiten in meinem Leben, in denen ich gehungert habe. Nicht wegen meiner Essstörung – ich war 21 Jahre lang Bulimikerin –, sondern weil nicht genug Geld im Haus war.
Ich weiß nicht, ob mein jetziger Hang zu qualitativ hochwertigem Essen aus dem schlechten Gewissen kommt, meinen Körper jahrelang misshandelt zu haben und ihm nun endlich das geben zu wollen, was er braucht. Oder ob sich da das Wissen aus meinem Abitur am Fachgymnasium für Sozialwirtschaft durchsetzt, das ich in Ernährungslehre mit Chemie gemacht habe. In jedem Fall tut es mir gut, möglichst natürliche Lebensmittel zu essen, weil ich mehrere Lebensmittelallergien und Unverträglichkeiten habe: je weniger Zusatzstoffe, desto besser.
2022 sind die Lebensmittelpreise um 16,6 Prozent angestiegen; wenn ich mir schon in den Jahren zuvor nur selten Bio geleistet habe, dann ist es spätestens seit vergangenem Jahr nicht mehr möglich. Denn es gibt keine armutsbetroffene Person, die keine Angst vor dem Einkauf hat. Mir wird auch jedes Mal schlecht, wenn ich die Preise sehe. Und nach dem Bezahlen denke ich: Hoffentlich reicht das Geld für den Rest des Monats. Meistens reicht es nicht.
Fleisch, alle zwei Wochen
Wir Armutsbetroffenen kaufen das, was günstig ist, das heißt für mich: importiertes Obst. Ich würde so gerne kein Umweltschwein sein und Waren ohne lange Transportwege kaufen, aber ich möchte Obst für mein Kind, und Gemüse. Also gehe ich regelmäßig auf unseren Wochenmarkt, dort gibt es billige Äpfel, die trotzdem regional sind.
Ich bin Vegetarierin, aber meine Tochter bekommt, wenn möglich, alle ein bis zwei Wochen einmal Fleisch. Am liebsten isst sie Rindfleisch, besonders gern Minutensteaks. Die Preissteigerung bei Rindfleisch betrug 2022 im Juli 35,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Da ich auf Qualität und Umweltfreundlichkeit achten möchte, würde ich gern Bio-Rindfleischsteaks kaufen, aber die kosten 10,85 Euro für 300 Gramm. Die „billigen“ kosten die Hälfte. Trotzdem graust es mir, wenn ich daran denke, wie diese Rinder aufgewachsen sind, womit sie gefüttert und wie sie medikamentös behandelt wurden. Auch bei Geflügel habe ich moralisch-ethische Bedenken. Massentierhaltung ist grausam.
Bio-Höfe sind nicht nur umweltgerecht und tiergerecht. Sie machen mir auch Mut, das wir eine Chance auf eine bessere, gesündere Zukunft haben. Wenn ich nur könnte, würden Maus und ich gesünder leben. Und ich würde gern noch viel mehr für die Umwelt tun, aber mein Geldbeutel sagt etwas anderes.
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