Inklusive Gastro: Lob der Entschleunigung

Kolumne In der Gastro haben Effizienz und Schnelligkeit Priorität – nicht selten sind so Ungeduld und Grobheit an der Tagesordnung. Dabei geht es anders: Unser Kolumnist über die beruhigende Wirkung der Langsamkeit in einem inklusiven Restaurant
Ausgabe 15/2024
Wohlwollen ist ein seltenes Gefühl bei einem Café-Besuch, dabei fühlt es sich so gut an
Wohlwollen ist ein seltenes Gefühl bei einem Café-Besuch, dabei fühlt es sich so gut an

Foto: Calugar Ana Maria

Auf dem langen Holztisch in der Mitte des hellen Gastraums liegt eine handgeschriebene Speisekarte. Teils mit einem dicken Marker, teils mit einem dünnen Kugelschreiber sind hier die Gerichte des Tages notiert. An diesem Donnerstagmittag gibt es also feine Lauch-Kartoffelsuppe mit Petersilienschmand oder Quiche mit Salat.

Ein junger Mann in einer dunklen Schürze kommt an den Tisch, um unsere Bestellung aufzunehmen. Meine Verabredung wird mit Handschlag begrüßt, sie verbringt hier offensichtlich des Öfteren ihre Mittagspause. Wir bestellen Maracujaschorle und Ingwertee. Mit einem Stift fährt der Kellner die Liste mit den Getränken auf seinem Block ab. Im Kästchen neben der Schorle macht er ein Kreuz. Den Tee hingegen kann er nicht direkt finden. Als Gelegenheitsgastroaushilfe habe ich das Bedürfnis, ihm auf die Sprünge zu helfen. Damit die Sache schnell über die Bühne gehen kann. Der Kontakt mit den Gästen muss geschmeidig ablaufen, am besten so, dass sie sich im Nachhinein gar nicht daran erinnern können, dass das Personal überhaupt am Platz war.

„In der Kaffeebar arbeiten Menschen mit Behinderungen zusammen in einem Koch- und Serviceteam“, heißt es auf der Homepage des Kunsthauses KAT18, in dessen Erdgeschoss wir uns befinden. Das bedingt eine gewisse Entschleunigung im ohnehin schon eher gemächlichen Süden Kölns. Ich atme aus, entspanne mich und warte, bis der Mann sein Kreuzchen gemacht hat. „Ingwertee“, sagt er und strahlt. Dann kommt das Essen an die Reihe. Ich passe nicht auf und bestelle Quiche mit Salat. Der Mann schaut mich geduldig an. Und weil sein Strahlen ansteckend ist, strahle ich zurück. Wir strahlen um die Wette. „Welche Quiche denn?“, sagt schließlich meine Begleitung, „es gibt ja zwei Sorten. Willst du die mit Fenchel, Champignons und geschmorten Zwiebeln oder die mit Datteln, Feta und Lauch?“

Wir haben beide Geduld miteinander. Ich mit ihm und er mit mir. Das kommt selten vor, denn das Verhältnis zwischen Kellner und Gast ist in der Regel geprägt von gastronomischer Effizienz.

Nach dem Essen kommt ein anderer Kellner. Wir bestellen noch zwei Kaffee. „Noch mal?“, sagt der Mann. „Zwei Kaffee“, sage ich noch mal. „Machen wir“, sagt meine Begleitung behutsam in meine Richtung, „er hat „machen wir“ gesagt.“ Alle lachen.

Als er geht, frage ich mich, warum ich ihn nicht verstanden habe. „Machen wir“, würde ich in diesem Fall vielleicht auch zu Gästen sagen. Aber eher dann, wenn ich schon wieder unterwegs und mit den Gedanken bereits bei der Kaffeemaschine bin. Aber der Kollege vor mir sagt „machen wir“ und rennt nicht gleich weg. Er kommuniziert auf direktem Weg mit mir. Er spricht mit mir, nicht in den Raum hinein.

Das Abräumen erledigt eine junge Frau. Ob es geschmeckt habe, will sie wissen. Meine Quiche hatte genau das richtige Verhältnis zwischen buttrig-bröseligem Vollkornteig und herzhaftem Gemüse-Ei-Belag. Der Salat war allein schon deshalb gut, weil ich so selten mehr Kopfsalat esse. „Lecker“, antworte ich – und meine es auch. Die Frau ist zufrieden und zieht mit den Tellern Richtung Küche. Die Arbeit wird hier offensichtlich mit einer gewissen Hingabe verrichtet. Über kleine Missverständnisse oder Wartezeiten, egal auf welcher Seite, regt sich niemand auf. Gastronomisch also ideale Bedingungen für beide Seiten.

Der Koch

Johannes J. Arens ist Journalist und Autor. Er studierte Design in Maastricht und Kulturanthropologie in Bonn. In den Küchen interessieren ihn besonders das Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Innovation sowie der Zusammenhang von Essen, Politik und Gesellschaft. Er ist Herausgeber des Foodmagazins „Zwischengang“ und Initiator des „Food Reading Festivals Cologne“. Im Freitag schreibt er die monatliche Kolumne „Der Koch

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