Ins rechte Licht gerückt

Indien Kurz vor der Parlamentswahl präsentieren Facebook, YouTube und Co. ihre Lösungen gegen Fake News und Manipulation. Zeit wird's

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Kritische Stimmen meinen, die Manöver der Plattformen kommen zu spät. Der Wahlkampf sei bereits von Falschmeldungen durchdrungen, wie beispielsweise die militärische Eskalation in Kaschmir Anfang des Monats gezeigt hat
Kritische Stimmen meinen, die Manöver der Plattformen kommen zu spät. Der Wahlkampf sei bereits von Falschmeldungen durchdrungen, wie beispielsweise die militärische Eskalation in Kaschmir Anfang des Monats gezeigt hat

Foto: Josip Pejic/Flickr (CC BY 2.0)

Indien, die größte Demokratie der Welt, wählt in wenigen Wochen ein neues Parlament. Rund 900 Millionen wahlberechtigte Inder werden zwischen April und Mai fünf Wochen lang zu den Wahlurnen strömen, um ihre Stimmen abzugeben. Beobachter sagen ein enges Rennen zwischen der Regierung unter Premierminister Narendra Modi und der oppositionellen Kongresspartei seines Widersachers Rahul Gandhi voraus. Modis Regierungsbündnis, die NDA ("Nationale Demokratische Allianz"), droht, ihre absolute Mehrheit in der „Lok Sabha“, der Ersten Kammer des indischen Parlaments, zu verlieren.

Erste indische „WhatsApp“-Wahl

Die Wahlkampfmaschinerie in den sozialen Netzwerken des Landes läuft derweil auf Hochtouren, Politiker aller Parteien machen beherzt Gebrauch von den Plattformen, um Stimmung zu machen und um Stimmen zu werben. Indische Politiker sprechen bereits von der ersten „WhatsApp-Wahl“ des Landes und liegen damit gar nicht so verkehrt, zählt Indien doch auf dem digitalen Sektor zu den größten Wachstumsmärkten der Welt. Mehr als 460 Millionen Einwohner nutzen das Internet, gut 350 Millionen besitzen mindestens einen Social Media-Account. Angesichts des politisch aufgeheizten Klimas im Land kurz vor der wichtigen Wahl, nimmt Modi die Betreiber der Netzwerke verstärkt ins Visier und lässt keine Gelegenheit aus, sie an ihre Verantwortung im Kampf gegen „Fake News“ zu erinnern.

„Wollen diesmal besser vorbereitet sein“

In der Tat stehen die IT-Konzerne unter anderem aufgrund ihrer zweifelhaften Rolle während der US-Präsidentenwahl 2016 unter besonderer Beobachtung. So hatte sowohl Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg als auch Twitter-Chef Jack Dorsey Ende vergangenen Jahres vor einem Untersuchungsausschuss eingeräumt, dass ihre Plattformen im Vorfeld der Wahl in großem Stil für Manipulationen und die Verbreitung von Falschmeldungen missbraucht worden waren. In Indien nun wolle man besser vorbereitet sein, so die offizielle Lesart, und hat deshalb diverse Kampagnen zur Bekämpfung von Falschmeldungen und Manipulationen durch politische Werbung lanciert. „Bei einer Wahl von dieser Größenordnung ist es unsere oberste Priorität, unseren Beitrag dafür zu leisten, dass sie sauber und sicher verlaufen“, erklärte Facebook-Sprecher in Indien, Shivnath Thukral, unlängst gegenüber CNN. Man arbeite seit Monaten an Lösungen, um Missbrauch jeder Art auf der Plattform zu verhindern und nutze dafür auch Erkenntnisse aus Wahlen in anderen Ländern.

Rundumschlag gegen "Sockenpuppen"

So kündigte Facebook bereits im vergangenen Jahr an, sein „Ad Archive“, ein eigens angelegtes Digitalarchiv für sämtliche im Rahmen eines Wahlkampfs geschalteten Anzeigen und Kampagnen, künftig auch auf Indien auszuweiten. Bislang war die Datenbank lediglich in den USA, Großbritannien und Brasilien zugänglich. Das Unternehmen zählt in Indien etwa 300 Millionen Mitglieder, ein Großteil der Fake-Accounts auf der Plattform entfällt auf den indischen Subkontinent. Seit Februar dieses Jahres nun können auch indische User in der „Werbebibliothek“ nach Anzeigen „mit politischen Inhalten oder zu Themen von nationaler Bedeutung“ suchen, die auf Facebook oder seiner Tochter Instagram geschaltet wurden. Die für sieben Jahre gespeicherten Anzeigen enthalten unter anderem Angaben über den Urheber, das Datum der Veröffentlichung, die jeweilige Kostenspanne und die ungefähre Anzahl erreichter Nutzer. Anzeigen, die gegen Facebooks Werberichtlinien verstoßen, werden nicht etwa von der Plattform gelöscht, sondern mit einem Warnhinweis versehen, der sie als inaktiv kennzeichnet. Auf diese Art können Nutzer in der Datenbank nachvollziehen, welche Beiträge es nicht durch Facebooks Filter geschafft haben.

Auch Konkurrent Twitter verschärfte nach den Skandalen rund um die US-Wahl 2016 seine Regeln für politische Werbung, um mögliche Einflussnahme aus dem Ausland zu verhindern und Wahlmanipulationen einzudämmen. So können nur noch von Twitter verifizierte und zertifizierte Accounts politische Werbeanzeigen schalten. Zudem werden die Anzeigen für mehrere Tage in Twitters „Ads Transparency Center“ gespeichert und sind dort für alle Nutzer abrufbar. Bereits Ende vergangenen Jahres hatte der Konzern ferner zu einem Rundumschlag gegen „Sockenpuppen“ – Fake-Profile, die zum Zwecke der anonymen Stimmungmache auf der Plattform genutzt wurden – ausgeholt. Premierminister Modi verlor dabei auf Anhieb über 100 000 Follower.

YouTubes neuester Streich

Google-Tochter YouTube nutzt derweil die Parlamentswahl in Indien, um eine neue Faktenprüf-Funktion für Videos mit „Borderline Content“, grob übersetzt sensible oder kontrovers diskutierte Themen, zu testen. Mit knapp 250 Millionen Nutzern zählt Indien weltweit zu den größten Märkten der Video-Plattform. 2017 stellte das Land einen traurigen Rekord auf, als im letzten Quartal über 9,3 Millionen Videos, die gegen die Community-Richtlinien des Konzerns verstoßen hatten, aus dem Portal entfernt wurden – mehr als irgendwo sonst auf der Welt. Angesichts der Anstrengungen, die YouTube in den letzten Monaten im Kampf gegen Fake News, Verschwörungsvideos und Clickbaits unternommen hatte, freute sich der Konzern unlängst, der Öffentlichkeit nun mit dem „Fact check“ den neuesten Streich seiner Entwickler präsentieren zu dürfen.

Demnach stattet die Plattform Videos, die sensible oder für Fehlinformationen prädestinierte Themen beinhalten, mit Boxen mit entsprechenden Richtigstellungen aus. Das Popup-Fenster gibt darüber hinaus Aufschluss über den Urheber und die Quelle des jeweiligen Videos. „Stellen sich Video-Beiträge als Fake News heraus, so werden diese zwar nicht von der Plattform gelöscht, allerdings weist der "Fact checker" explizit darauf hin, dass es sich um eine Falschmeldung handelt“, erklärte ein YouTube-Sprecher dazu gegenüber dem Online-Portal Social Media Today. Rund ein halbes Dutzend verifizierter Prüfdienste habe das Unternehmen für den Start der neuen Funktion angeheuert. In den Genuss seines Video-Faktenprüfers kommen laut YouTube vorerst nur Nutzer in Indien, wenngleich eine weltweite Einführung langfristig angedacht sei.

Epizentrum im Kampf gegen Fake News

Im Epizentrum des Kampfes gegen Falschmeldungen und Manipulationen steht allerdings ein anderer Konzern: Der Facebook-Messenger WhatsApp. Mit mehr als 200 Millionen Nutzern ist Indien der weltweit größte Markt des Unternehmens. Wie gravierend WhatsApps Fake News-Problem in Indien ist, zeigt allein der Umstand, dass das US-amerikanische Unternehmen in dem Land Anfang des Jahres erstmals seine Weiterleitungsfunktion beschränkt hat. Nutzer können Beiträge fortan an maximal fünf statt der bislang üblichen 250 Kontakte zur selben Zeit weiterleiten. Auf diese Weise soll eine rasche Ausbreitung von Falschinformationen unterbunden werden. Das Unternehmen reagierte mit der Neuerung auf eine Reihe von Lynchmorden im ganzen Land, die zumeist auf Gerüchten und Falschmeldungen basierten, welche sich über die Plattform in Windeseile im ganzen Land verbreitet hatten.

Die aufgezeigten Lösungen sind längst nicht alles, was die IT-Konzerne unternehmen, um sich kurz vor der Parlamentswahl medienwirksam ins rechte Licht zu rücken. Weitere Maßnahmen reichen von der Einrichtung von Beschwerdestellen über großangelegte Aufklärungskampagnen bis hin zu speziellen Factchecking-Trainings für Journalisten. Die Botschaft der Plattformen ist klar: "Wir tragen unseren Teil zu einer sauberen Parlamentswahl bei." Um keinen Preis möchte man als Sündenbock herhalten müssen, sollte es - wie 2016 in den USA - am Ende zu kleineren oder größeren Unstimmigkeiten kommen. Ob all die Maßnahmen letztlich jedoch greifen werden, wird in Indien vielerorts bezweifelt. Die IT-Konzerne selbst halten sich mit Informationen über die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen bislang bedeckt.

Zu spät, politisch nicht gewollt

Für manche Beobachter, wie den Leiter des indischen Think Tanks „Centre for Communication Governance“, Sarvjeet Singh, kommen die Maßnahmen jedenfalls reichlich spät. Der Wahlkampf sei bereits von Unwahrheiten aus allen Richtungen durchdrungen, wie beispielsweise die militärische Eskalation in Kaschmir Anfang des Monats gezeigt hat. Schon kurz nach dem Zwischenfall, bei dem Pakistans Luftabwehr ein indisches Kampfflugzeug über dem pakistanischen Teil Kaschmirs abschoss und den Piloten gefangen nahm, kursierten bereits erste Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken, die auch von Politikern auf oberster Ebene geteilt wurden: Ein Video, das angeblich einen indischen F-16-Jet bei einer Vergeltungsaktion gegen ein pakistanisches Terrorcamp zeigte, entpuppte sich als eine Szene aus einem Videospiel aus dem Jahr 2015. Angebliche Bilder des über Kaschmir abgeschossenen indischen Kampfjets zeigten in Wahrheit Wrackteile eines Helikopters. Indische und pakistanische Regierungsvertreter warfen sich gegenseitig die absichtliche Verbreitung von Fake News vor, und auch die oppositionelle Kongresspartei mischte mit und beschuldigte die Regierung, absichtlich sensible Informationen durchsickern zu lassen, um Desinformation zu befeuern.

Eines dürfte derweil klar sein: Solange führende Politiker zwar die Plattform-Betreiber zum Handeln aufrufen, sich am Ende aber selber nicht an die Regeln halten, wird auch der größte Einfallsreichtum der IT-Konzerne letzten Endes nicht die erhoffte Wirkung im Kampf gegen Fake News und Manipulation erzielen können.

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