Musk oder Messias?

Meinung Jesus Christus ließ Lahme gehen, Elon Musk lässt Blinde sehen. Zumindest hat der Milliardär das vor. Sein Unternehmen Neuralink setzt dafür elektronische Chips in die Köpfe von Menschen ein. Was soll da schon schiefgehen?
Die Gehirn-Chips von Elon Musks Firma sollen verschiedene Krankheiten heilen. Doch die Technologie birgt auch Risiken
Die Gehirn-Chips von Elon Musks Firma sollen verschiedene Krankheiten heilen. Doch die Technologie birgt auch Risiken

Grafik: Rolf Hiemisch/fStop/picture alliance

In der Ferne erkenne ich ein Licht. Da ist Elon Musk, der seine Flügel ausstreckt und langsam in Richtung Boden gleitet. Mit einem goldenen Schweif über der Stirn steht er da und verkündet die Botschaft von Heil und Glück. Von blinden Menschen, die wieder sehen können, ist die Rede. Von Erlahmten, die wieder gehen können. Von einer Welt ohne Depressionen und Parkinson. Ohne Alzheimer und ohne Schizophrenie. Alles was wir tun müssen, ist uns einen Chip ins Gehirn einzupflanzen. Was könnte da schon schiefgehen?

Ausgangspunkt des Technologie-Traums ist das Unternehmen Neuralink, im Jahre 2016 von Elon Musk gegründet. Dieses forscht an Implantaten, die sich Menschen ins Gehirn einsetzen lassen können. Die Chips bestehen aus einer winzigen Sonde und 1024 Elektroden. Diese erfassen die elektrischen Signale der Nerven im Gehirn und leiten sie an einen Computer oder beispielsweise Roboter-Arm weiter. Eine feine Nadel verbindet die Elektroden mit dem Gehirn.

Es kam angeblich zu Flüchtigkeitsfehlern bei den Versuchen mit Tieren

Mittlerweile lassen sich die elektrischen Ströme in verschiedenen Hirnregionen entschlüsseln. So ist es beispielsweise möglich nachzuvollziehen, wie der Gedanke daran, den Arm zu heben, im Gehirn in ein Signal umgewandelt wird, dass dazu führt, dass sich der Arm tatsächlich hebt. Hat der Chip das Muster hinter den elektrischen Strömen im Gehirn erkannt, kann er sie als Handlungsaufforderung, zum Beispiel an einen mechanischen Arm, weitergeben. So könnten sich Menschen mit Lähmungen in Zukunft wieder bewegen.

Seit einem halben Jahr hat Musks Firma die Erlaubnis, die Chips an Menschen zu testen. Im Vorfeld mussten bereits hunderte Tiere sterben. Laut einem Reuters Bericht beschwerten sich Mitarbeiter über den hohen Zeitdruck beim Arbeiten, den Musk persönlich anordnete. Dadurch kam es zu Flüchtigkeitsfehlern im Umgang mit den Versuchstieren. Im Bericht wird von Situationen erzählt, in denen die Chips am falschen Wirbel eingesetzt wurden. Durch ein einfaches Durchzählen der Wirbel hätte man das vermeiden können. Auch operierte man die Chips teilweise in der falschen Größe unter die Haut der Tiere.

Jetzt ist es endlich soweit: Der erste Chip wurde in den Kopf eines Menschen gepflanzt. Ohne Komplikationen, wie Musk auf X mitteilte. „Telepathy“ heißt das Projekt. Getestet wird an Menschen mit einer Querschnittslähmung, bei der Arme und Beine betroffen sind. Ziel der Studie ist es, dass diese mechanische Arme und Beine bewegen können durch die Kraft ihrer Gedanken. Der erste Schritt in Richtung Erlösung wäre damit geschafft.

Wenn Elon Musk uns vor den Risiken bewahren soll, erwartet uns Düsteres

Langfristig plant Musk aber Größeres. In 2019 stellte er seinen „Master Plan“ vor. Mit den Chips könne man Blinden wieder Sehkraft verleihen, wirbt Musk auf der Bühne. Es soll außerdem möglich sein, Gedanken auf einer Festplatte zu speichern und sich neue Gedanken ins Gehirn zu „laden“. Nie wieder Vokabeln lernen, einfach eine neue Fremdsprache ins Gehirn „downloaden“. Hoch lebe der technische Fortschritt!

Stellt sich nur die Frage, wer Hacker und andere Scharlatane davon abhält, die Technik zu missbrauchen. Was passiert beispielsweise, wenn ich mir einen Trojaner auf meinen Gehirn-Chip lade? Wer hält Außenstehende davon ab, meine Gehirnaktivität einzusehen? Läuft in Zukunft Werbung in meinem Gehirn, abgespielt über das Implantat? So viel steht fest: Wenn Elon Musk dafür verantwortlich ist, uns vor den Risiken zu bewahren, erwartet uns Düsteres.

Die Liste an Skandalen um Musk ist lang

Musk wurde erst kürzlich aus seinem privaten Umfeld für seinen exzessiven Drogenkonsum kritisiert. Die Plattform Twitter/X verwandelte der Milliardär nach seinem Kauf in ein Loch aus Hassrede und Verleumdung, das konstant rote Zahlen schreibt. „Free the Bird“, auf Deutsch „befreit den Vogel“ lautete das Motto, unter dem Musk die Plattform damals kaufte. Mit der Vision, mehr demokratische Teilhabe zu ermöglichen, baute er sie um. Am Ende hat er das genaue Gegenteil bewirkt.

Die Liste an Skandalen und Fehltritten lässt sich fortführen. Sie zeigt: Elon Musk ist unberechenbar und wickelt seine Fans gerne in Märchen ein, die Großes versprechen. Lässt man den Milliardär Gott spielen, kommt am Ende nicht selten ein schlecht durchdachtes Projekt raus, das mehr nach Dystopie als nach gelobtem Land aussieht. Die Gehirn-Chips von Neuralink versprechen die Heilung von vielen Krankheiten. Die Vorstellung wirkt verlockend. Man sollte aber nicht vergessen, wer uns den Weg dahin ebnen möchte.

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