Deutschlands eventgesteuerte Öffentlichkeit

Menschenrechte Die von Ankara veranlasste Verhaftung Dogan Akhanli wirft ein Schlaglicht auf unsere Informationsdefizite - die öffentliche Aufmerksamkeit ist wählerisch

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Bis zu vierzig Tage wird Dogan Akhanli in Spanien bleiben müssen. So lange haben die türkischen Behörden Zeit, ihren Auslieferungsantrag an Spanien zu begründen: vierzig Tage - und Nächte. Man schläft unter solchen Umständen nicht gut, auch wenn die Chancen Ankaras, den Auslieferungsantrag erfolgreich abzuschließen, denkbar schlecht stehen. Nichts spricht bisher dafür, das Akhanli, ein deutscher Schriftsteller türkischer Herkunft, einen terroristischen Hintergrund haben könnte.

Trotzdem schlagen die Wellen der Erregung hoch. Immerhin ist Spanien wieder vermehrt ein Urlaubsziel für viele Deutsche, zumal, weil es schon vor der mutmaßlich politischen Verfolgung Akhanlis durch die Türkei Gründe gab, die türkische Gastfreundschaft mit Vorsicht zu genießen. Und schließlich: bis zu vierzig Tage lang beeinträchtigt eine türkische Staatsanwaltschaft die Bewegungsfreiheit eines ausländischen Staatsbürgers, und setzt ihm psychisch zu. Denn auch für einen Menschen, der in einem Rechtsstaat ein Verfahren durchmachen muss, gilt der alte Spruch, dem zufolge man auf See und vor Gericht in Gottes Hand sei.

Was in Deutschland aber nur am Rande erwähnt wird: der schwedische Staatsbürger Hamid Yalcin, ein Journalist und ebenfalls türkischer Herkunft, sitzt laut "Neue Zürcher Zeitung" (vom 23.08.) seit Anfang des Monats hinter Gittern - von Bewegungsfreiheit bis zur Entscheidung des Auslieferungsantrags, den die Türkei gegen ihn gestellt hat, ist offenbar keine Rede. Wer sich über die Behandlung Akhanlis empört, aber nicht über die Yalcins, dürfte lückenhaft informiert sein.

Überhaupt ist der politische Missbrauch Interpols durch streng riechende Regime nichts Neues. Dolkun Isa, ein deutscher Staatsbürger und Funktionär des World Uighur Congress, wurde 2009 bei Ankunft in Südkorea auf dem Flughafen festgenommen und zwei Tage lang festgehalten. Danach durfte er wieder nach Deutschland - aber er durfte nicht nach Südkorea einreisen. Neuerdings wurde er im Juli in Rom vorläufig festgenommen, als er laut der "Gesellschaft für bedrohte Völker" einen Termin im italienischen Senat wahrnehmen wollte.

Die deutsche Öffentlichkeit hat sich daran gewöhnt, sich aufzuregen. Es ist eine flache Form der Aufregung, die die meisten Menschen - zumindest gefühlt - allenfalls mittelbar betrifft. Es ist üblicherweise keine Empörung von der Art, die einen dazu veranlassen könnte, einer Menschenrechtsorganisation beizutreten oder seinen Urlaub abzusagen.

Kann eine Form des Journalismus, der Empörungshäppchen reicht, anstatt zu informieren und einzuordnen, gleichzeitig zum Nachdenken anregen? Vielleicht. Aber Journalisten müssen Geld verdienen, und fairerweise muss man in Rechnung stellen, dass die öffentliche Bereitschaft, Menschen zu konditionieren, nicht erst beginnt, wenn sie lesen können, sondern schon in Kindergarten und Sonntagsschule.

Die Empörung über das, was Akhanli widerfährt, wäre unter sonst gleichen Bedingungen nicht denkbar ohne die seit langem bestehenden Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei. Erst unter solchen Umständen wird aus der Festnahme eines Deutschen aufgrund mutmaßlich politisch motivierter Auslieferungsanträge ein Skandal. Wer unter diesen Bedingungen davon hört, verbucht die Information unter der Prämisse, dass "es" - nämlich das deutsch-türkische Verhältnis - halt "immer schlechter" werde.

Das begründet sich tagtäglich mit der Tatsache, dass "schon wieder" etwas passiert sei. Dabei passiert bei einer herkömmlichen Uhr auch "ständig" etwas: sie tickt sechzigmal pro Minute.

Es müsste - wenn es in unserem Land, in Spanien und der EU überhaupt - noch mit rechtsstaatlichen Dingen zugeht, außer Frage stehen, dass die Zusammenarbeit mit Interpol auf dieser Basis nicht fortgesetzt werden darf.

Aber wem daran gelegen ist, dass auswärtige Beziehungen - und auch der "Kampf gegen den Terrorismus" - sich an rechtsstaatlichen Prinzipien messen lassen müssen, der darf nach einem Tag des Zorns nicht wieder einschlafen. Achtsamkeit ist gefragt.

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Warum es dazu kam, "Die Zeit", 23.08.17

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JR's China Blog

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