Rolling Stones, Beatles und andere Diamanten: Was heißt schon echt?

Musiktagebuch Seitdem Diamanten künstlich herstellbar sind, ist ihr Wert in Gefahr. Gilt das auch für Musikjuwelen wie das neue Album der Rolling Stones oder den nur dank maschinellem Lernen möglich gewordenen Beatles-Song „Now and Then“?
Ausgabe 45/2023
Wie es um den Wert von Bronze bestellt ist, wissen wir nicht, aber dieser Frau scheinen die Statuen von Stones-Mitgliedern Mick Jagger und Keith Richards zu gefallen
Wie es um den Wert von Bronze bestellt ist, wissen wir nicht, aber dieser Frau scheinen die Statuen von Stones-Mitgliedern Mick Jagger und Keith Richards zu gefallen

Foto: Carl Court / Getty Images

Zu Beginn dieser Kolumne muss ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine ernüchternde Nachricht übermitteln: Diamanten, diese funkelnden Edelsteine, symbolischer Ausdruck endloser Zuneigung – sie sind nicht immer so edel, wie man meinen würde. Schon seit einigen Jahren ist es problemlos möglich, täuschend echte Diamanten im Labor zu züchten. Sie sehen exakt aus wie die Steine, die über Millionen von Jahren im Erdboden zu ihrer Einzigartigkeit gepresst wurden. Was dem Diamanten den enormen Wert verlieh, hat sich verflüchtigt. Die Industrie macht das verständlicherweise nervös. Wenn falsch und echt nicht mehr zu unterscheiden sind, welchen Wert hat dann noch ein Original?

Nun, zum Glück gibt es noch einige Steine, die sich wirklich ganz schlecht kopieren lassen, und zu diesen zählen selbstverständlich die Rolling Stones. Passenderweise heißt deren neues Album, das vor drei Wochen veröffentlicht wurde, Hackney Diamonds. Der Titel ließe sich mit „gemietete Diamanten“ übersetzen, ganz so einfach ist es aber nicht: Hackney, das ist auch ein Stadtgebiet in London, das lange Zeit mit einer hohen Kriminalitätsrate assoziiert wurde. Die „Hackney Diamonds“ seien, so Gitarrist Keith Richards in einem Interview, die Glasscherben, die nach einer wilden Nacht übrig blieben.

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„Hackney Diamonds“ ist ein überraschend modernes Stones-Album

Es ließe sich nun eine Menge darüber spekulieren, wie viel von den „echten“ Stones auf diesem Album zu hören ist, gemessen daran, dass ihr langjähriger Drummer Charlie Watts 2021 verstorben ist, dass Keith Richards aufgrund seiner Arthrose mittlerweile sein Gitarrenspiel ein wenig verändern musste und dass Mick Jagger unterdessen seinen 80. Geburtstag feierte. Womöglich hat moderne Produktionstechnik letztlich viel dazu beigetragen, dass dieses erste Stones-Album seit über 15 Jahren so klingt, wie es klingt. Leugnen lässt sich aber schwer: Hackney Diamonds ist auf überraschende Weise ein höchst modernes Stones-Album geworden, das überall Spuren der Vergangenheit enthält. Dass dieses Album vor allem Fans gefallen wird, hat nicht das gleiche Gewicht wie bei anderen Bands, denn: Die Stones haben Fans in der ganzen Welt. Vollkommen zu Recht ist Hackney Diamonds daher jetzt schon ein globaler Erfolg.

Weltweit beachtet wurde vergangene Woche auch eine andere Veröffentlichung, die ebenfalls einen gewissen diamantenen Charakter hat: Now And Then heißt ein Song aus der Feder von keinem Geringeren als Beatles-Mitgründer John Lennon, der nun in voller Bandbesetzung aufgenommen und veröffentlicht wurde. Wie kann das sein? Der 1980 ermordete Lennon konnte die Arbeit an dem Song nie beenden, hinterließ allerdings eine Demo, die er Ende der 1970er Jahre in seiner New Yorker Wohnung mit Klavierbegleitung auf einem Ghettoblaster aufnahm. Der Versuch, nach Lennons Tod hieraus einen vollen Song zu produzieren, scheiterte zunächst: Die Klavierspur überlagerte den Gesang zu stark, zudem soll ein starkes Brummen hörbar gewesen sein.

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Paul McCartney: „Es war, als wäre John da.“

Mithilfe modernster Audio-Restaurierungstechnik, die auf maschinelles Lernen (manche sagen: künstliche Intelligenz) zurückgreift, gelang es nun, Lennons Stimme auf dem Song zu rekonstruieren. George Harrison, der 2001 verstarb, hatte seinen Part in den 90ern aufgenommen und Paul McCartney und Ringo Starr spielten nun ihre ein, um den Song zu vervollständigen, was McCartney begreiflicherweise als emotionalen Moment beschrieb: „Es war, als wäre John da.“

Und tatsächlich: Die computervervollständigte Gesangsspur von John Lennon klingt, als wäre eine Legende noch am Leben, als wären die 70er Jahre nicht knapp ein halbes Jahrhundert her. Ist Now And Then nun „echt“? Nun, streng betrachtet nur teilweise. Aber was heißt das schon, wenn das Ergebnis so wunderschön ist?

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