Die Ärzte, Antilopen Gang, Soffie: Viele Songs gegen rechts sind viel zu nett

Kolumne Nicht spalten, nicht beißen und maximal selektiv solidarisch. So sehen viele musikalische Statements gegen rechts aus. Das geht aber besser, findet unser Autor
Ausgabe 15/2024
Als „Schrei nach Liebe“ rauskam, waren Die Ärzte noch auf Krawall gebürstet. Siehe oben
Als „Schrei nach Liebe“ rauskam, waren Die Ärzte noch auf Krawall gebürstet. Siehe oben

Foto: Fryderyk Gabowicz / picture alliance

Als 1993 der Anti-Nazi-Song Schrei nach Liebe der Punkrock-Band Die Ärzte erschien, weigerten sich Radiosender, ihn zu spielen. Nicht die „kontroverse“ Botschaft – ein Text, der Rechtsextremismus einerseits erklärlich („Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe“), andererseits verächtlich („Du bist wirklich saudumm …“) macht – war das Problem. Dass im Song mehrfach das Wort „Arschloch“ vorkam, störte die Rundfunkanstalten. Gegen Nazis? Gern – aber bitte gesittet!

Über 30 Jahre später wollen dieselben Ärzte wieder ein Zeichen „gegen Rechts“ setzen, diesmal in Form eines Appells an das demokratische Bewusstsein: Demokratie heißt ein vergangene Woche veröffentlichter Song der Berliner Band, der wesentlich staatsbürgerlicher daherkommt als noch Schrei nach Liebe. Neben allerlei onkeligen Floskeln („Freiheit ist keine App aus dem World Wide Web“) empfiehlt die Punkband als Strategie gegen den Faschismus nun das Wählen („Dein Kreuz gegen Hakenkreuze“).

Das ist sicher gut gemeint, kommt aber im Zeitalter des fortgeschrittenen Rechtsrucks daher wie der verzweifelte Appell eines Sozialkundelehrers an eine geschlossen rechtsradikale Schulklasse. Ganz davon abgesehen, dass Wahlen, zumindest in Deutschland, dem Faschismus in vielen seiner Ausprägungen eher Vorschub geleistet haben. Aber zumindest sagt keiner böse Wörter, vielleicht schafft’s der Song ja ins Radio.

Aktuelle Songs gegen rechts

Demokratie reiht sich ein in eine ganze Menge neuer deutsche Gegen-Rechts-Songs. Den Anfang machte im Februar Soffies Für immer Frühling, das die Kollegin Alina Saha (der Freitag 11/2024) bereits korrekt als „handzahm“ einordnete. Boshaft interpretiert ließe sich ergänzen: Die revolutionäre Vision, welche die Sängerin als Konsumparadies zwischen Hummer, Kaviar und Vanilleeis malt, ist schlimmer als nur seicht. „Du nennst es Utopie, ich nenn’ es Heimat“, soll wohl eine straffe Anti-AfD-Botschaft vermitteln, redet der rechten Partei dabei aber mehr nach dem Mund, als es der Sängerin lieb sein mag.

Wo das hinführen kann, wenn der Heimatschutz es wieder so herrichten soll, wie es nie war, das weiß die Band Kettcar zu beschreiben: „First-Defense-Konferenzen, Zäune bauen, hoch die Grenzen […] Sandstrand, Junge tot, Netflix, Abendbrot.“ Die gleichzeitig konkrete und doch abstrakte Assoziationskette im Song Auch für mich 6. Stunde funktioniert, die Schlussfolgerung daraus bleibt offen. Was tun, wenn der Wahnsinn schon vor der Haustür steht? An wen appellieren, wenn die „Wir sind mehr“-Demo mit 65.000 Teilnehmern in Chemnitz nur drei Jahre später von über 600.000 sächsischen Erststimmen für die AfD übertroffen wurde?

„Du und ich gegen die vergifteten Ideen, denn wir sind immer noch viel mehr, das werden die schon sehen“, lautet eine Zeile aus dem Song Bisher alles gut der Band KMPFSPRT, die dem Verlangen nach Aufbruch bereits eine Mikrodosis Zweifel beimischt. Groß können sie sein, die Demonstrationen gegen Rechts, das hat nicht zuletzt der vergangene Herbst gezeigt. Aber sie wären ja nicht nötig, wäre man sich der Überzahl so sicher.

Bloß nicht zu laut

Wie schnell die großen Zahlen täuschen können, besang zuletzt die Rapgruppe Antilopen Gang in ihrem Song Oktober in Europa: „Im September hab’ ich vor der roten Flora noch Klavier gespielt, siebentausend Antifas machen ein’n auf Wir-Gefühl“, heißt es aus dem Mund des Rappers Danger Dan, der 2021 sein mit Preisen überhäuftes Soloalbum Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt veröffentlichte. Seit dem 7. Oktober, dem Angriff der Hamas auf Israel, seien diese Stimmen alle „seltsam ruhig“ und würden sich zwar allzeit für Palästina stark machen, nicht aber gegen den neuerlich massiv gewachsenen Antisemitismus.

Ein bisschen selektive Solidarität hier, ein wenig Angst vor bösen Wörtern dort – und schon war’s das mit „Wir sind mehr“. Bloß nicht spalten, bloß nicht beißen, lieber den Schrei nach Liebe beantworten – wir können sie ja noch bekehren. Oder?

Höchste Zeit, wieder mehr „Arschloch“ zu sagen.

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Konstantin Nowotny schreibt beim Freitag die Kolumne Musiktagebuch. Darüber hinaus schreibt er öfter über Themen rund um die Psyche und hin und wieder über Ostdeutschland

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